Hanne-Vibeke Holst

Die Kronprinzessin


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von der Dreistigkeit der Presse, aus dem Verhör der Journalisten befreien muss. Wie heißen die Kinder? Sind das Zwillinge? Wie alt sind sie? Sind sie im Kindergarten? Wie heißen Sie? Was machen Sie? Sind Sie beide verheiratet?

      »Entschuldige, war vielleicht keine so gute Idee«, sagt er, als er zu ihr vorgedrungen ist, küsst sie flüchtig auf die Wange und schnappt sich die Kinder.

      »Ich fand nur, sie sollten das erleben ...«

      »Das ist okay«, sagt sie und nickt zu den Palastwachen, die dafür sorgen sollen, dass sie mit ihren Kollegen durch das Tor kommt, bevor es wieder geschlossen wird. Eine Armada frisch geputzter Ministerautos wartet im Hof, sie sollen geordnet und in der richtigen Reihenfolge abfahren. Sie als eine der Letzten.

      »Ich muss mich beeilen«, sagt sie, küsst die Kinder, lenkt sie ab, indem sie auf die Gardisten hinter sich zeigt – »Schaut mal, ihre Mützen sind aus Bären gemacht!« –, und steht auf. »Bis nachher!«

      »Verflixt«, sagt Thomas. »Du siehst schön aus.«

      Wie man begeistert notiert, lächelt sie ihn »liebevoll« an, bevor sie durch das Tor in den Hof verschwindet, wo sie den kolossalen silberfarbenen BMW vorfindet, der sie in Zukunft standesgemäß befördern wird. Ihr Chauffeur, den sie schon auf dem Weg hierher hatte begrüßen können, öffnet ihr mit einem höflichen »Glückwunsch!« verlegen die rechte Rücksitztür.

      »Danke«, sagt sie, holt tief Luft und steigt ein, auf den glatten, cremefarbenen Sitz.

      »Was für ein Schlitten!«, platzt sie heraus, als der Chauffeur sich hinter das Lenkrad gesetzt hat und weich anfährt.

      »Ein BMW 7351, falls Ihr Mann fragen sollte.«

      »Mein Mann?«, lacht sie laut. »Der versteht wirklich gar nichts von Autos! Der fährt Fahrrad. Ist das ein Fernseher, den wir da haben?«, fragt sie und zeigt auf den Monitor, der in der Rückenlehne des Vordersitzes eingebaut ist.

      Es ist einer. Und es gibt auch ein Telefon und einen kleinen Kühlschrank.

      »Wahnsinn«, kichert sie kopfschüttelnd und lehnt sich im Sitz zurück, um sich dekorativ aufzurichten, als sie an der Reihe sind, durch das Tor zu gleiten, als vorletzter Wagen in der Ministerkolonne.

      »So, und jetzt müssen Sie es genießen«, klingt es vom Vordersitz. »Es gibt zwei Touren, an die sich alle Minister für immer erinnern. Die erste und die letzte ...«

      »Und die letzte pflegt kein Genuss zu sein?«, fragt sie trocken und winkt ein paar standhaft Neugierigen zu, die immer noch auf dem Schlossplatz stehen. Thomas und die Kinder sind nicht mehr zu sehen.

      »Nein, das ist es ja gerade«, sagt er und trifft ihren Blick im Rückspiegel. »Na, jetzt haben Sie fünf Minuten zum Entspannen.«

      Sie lächelt vor sich hin, kneift sich heimlich in den Arm. Freddy heißt er, der Chauffeur. Und er kommt aus Århus. Das ist irgendwie beruhigend.

      *

      Das ganze Blumengeschäft ist in Aufruhr, als Ingrid Damgaard kommt und einen Fleurop-Strauß für ihre Tochter bestellt. Schließlich kommt es nicht jeden Tag vor, dass so eine nordjütländische Kleinstadt auf die Dänemarkkarte gesetzt wird.

      »Glückwunsch! Ich habe es gerade im Radio gehört«, ruft die redselige, mollige Blumenhändlerin, als Ingrid den Laden betritt. »Die vom Rathaus haben auch schon angerufen, der Bürgermeister schickt auch einen Strauß, das wäre ja noch schöner gewesen! Was musst du stolz sein, Ingrid!«

      »Ja, das bin ich ja auch«, lächelt sie die Inhaberin, deren mageren Mann und die beiden anderen Kunden, die auch an dem Plausch teilhaben, gezwungen an. Nicht weil sie nicht stolz ist – sie ist absolut außer sich, hätte gute Lust, eine ganze Wagenladung Blumen nach Kopenhagen zu schicken –, aber irgendwie ist es fast zu überwältigend. Zu viel, um es selbst zu fassen. Und steht es ihr überhaupt zu, stolz zu sein?

      »Was soll auf der Karte stehen?«, fragt die Blumenfrau, zum Notieren bereit.

      »Ähm, ›Herzlichen Glückwunsch zur Ernennung, liebe Grüße, Mama‹«, versucht sie sich, aber sie merkt, dass das teilnehmende Publikum enttäuscht ist.

      »Nein«, verbessert sie sich: »›Herzlichen Glückwunsch zur Ernennung. Wir sind so stolz auf dich. Liebe Grüße, Mama.«‹

      Erst als sie hinterher in ihrem Skoda sitzt, auf dem Weg zum Friedhof in Løkken, mit einem Kranz für die Grabstelle, die sie nie besucht, erkennt sie, was die Pluralform wirklich bedeutet. Mama und Papa.

      Sie macht die Scheibenwischer an. Glaubt, dass es angefangen hat zu regnen.

      *

      In besonders beengten Situationen leidet Charlotte an einer leichten Tendenz zur Klaustrophobie. Einmal war sie in einem überfüllten Zug in Kenia in Panik geraten. Einkaufszentren vor Weihnachten rufen dieselbe Art von Beklemmungen hervor, und gerade als sie den Speisesaal betritt, wo wieder ein Presseaufgebot wartet, wie ein riesiges, vielköpfiges Ungeheuer auf dem Sprung, muss sie nach Luft schnappen und einen unmittelbaren Fluchtimpuls unterdrücken. Schweiß tritt ihr auf die Stirn, während sie sich darauf konzentriert, ihren Platz zwischen dem neuen Justizminister und Elizabeth Meyer, zwei Sitze neben dem Staatsminister, zu finden, sich hinzusetzen und ohne zu zittern die Hände auszustrecken, nach der Mineralwasserflasche zu greifen und sich ein Glas einzuschenken. Es gelingt ihr, die Panik zu dämpfen. Meyer lächelt schmal, auf ihre eigene unmerkliche Weise behält sie sie im Auge, bereit, jederzeit einzugreifen. Sie hatten gestern Abend lange telefoniert, und es war ihr Champagner, überbracht per Ministerchauffeur, mit dem Thomas und sie gestern gegen Mitternacht angestoßen hatten. Aber sie hatte nicht vor, das zu erzählen, falls jemand auf die Idee kommen sollte, danach zu fragen. Sie geben sich bewusst Mühe, kein freundschaftliches Verhalten an den Tag zu legen, niemand konnte sie bei vertraulichen Gesprächen sehen oder erkennen, dass sie in engem Kontakt standen. Aber natürlich hat Elizabeth ihre Protegé gebrieft, sie auf den ganzen Zirkus vorbereitet und sie daran erinnert, vor wem oder was sie sich besonders in Acht nehmen musste.

      Charlotte ist nicht naiv. Sie ist es gewohnt, mit der Presse zu arbeiten, und stimmt völlig mit Meyers Analyse überein, dass sie es sein wird, auf die man sich stürzt. Sie ist – abgesehen von dem Kirchenminister der Radikalen, einem Volkshochschulleiter aus West-Seeland – die einzige richtige Neuheit. Und er ist keine junge Frau mit Vergangenheit in der Umweltbewegung.

      Der Staatsminister klopft gut gelaunt an sein Glas, um Ruhe zu schaffen, was nur teilweise gelingt, und fängt dann den klingelnden Handys zum Trotz an.

      »Heute ist der kürzeste Tag des Jahres. Aber wie Sie sehen können, gehen wir lichteren Zeiten entgegen«, sagt er erneut und erntet vereinzeltes Lachen. Dann stellt er seine Minister der Reihe nach vor, verknüpft mit jedem eine witzige Bemerkung, während reihum genickt, gelächelt und errötet wird.

      »Und hier haben wir die neue Außenministerin«, sagt er und legt eine Hand auf Elizabeth Meyers Schulter. »Ich muss gestehen, dass ich dank dieser Ernennung davon ausgehe, bald einen bedeutenden Rationalisierungsgewinn einstreichen zu können.«

      Kunstpause, während Elizabeth Meyer spöttisch fragend zu ihm aufblickt.

      »Denn ich rechne damit, dass wir Heer und Verteidigungsministerium getrost auflösen können, wenn die Welt da draußen dich, ›das stärkste Mannsbild der Regierung‹, erst einmal kennen gelernt hat!«

      Brüllendes Gelächter erhebt sich wie eine Flutwelle, ist fast abgeebbt, als Meyers Replik eine weitere hervorruft:

      »Oh, du spielst auf meine Fähigkeiten als Schlichterin an?«

      »Okay«, lacht Vittrup und legt den Kopf in den Nacken. »Punkt für dich!«

      Charlotte starrt ihn fasziniert an, zoomt auf seinen Mund mit dem charakteristischen Gold-Schneidezahn. Er liebt das. Er liebt das wirklich. Obenauf zu sein. Als er fertig ist mit Lachen und Elizabeth Meyer losgelassen hat, wendet er sich Charlotte zu, die zuvorkommend lächelt. Ihr Puls rast unter ihrer Bluse. Der schwarze, gesteppte Nylonrock spannt über den Hüften. Sie