die Turnachkinder von früher kannten.
„Freilich“, sagte Pauline. „Und wir haben jetzt noch eine Merkwürdigkeit in Larstetten. Wir haben eine Amerikanerin —“
„Ja, und sie ist fast immer dabei, wenn wir etwas Lustiges machen“, fiel Otto ein.
„Sie hat einen kuriosen Namen“, erklärte Pauline weiter. „Auf deutsch heißt’s Edith; aber wenn man englisch reden will, muß man sagen Idiß —“
„Eigentlich Idifs“, erklärte Trudi.
„Nein, Idids“, verbesserte Otto. Er machte einen seltsamen Mund und steckte die Zunge zwischen die Zähne, um das schwierige englische th herauszubringen.
Nun versuchten alle Larstetter- und auch die Turnachkinder ihre Kunst:
„Idids, Idifs, Idiß —“ ging es durcheinander, als die Schar zum Städtchen hinein und über den kleinen Kirchenplatz kam.
„Was wollen Sie?“ antwortete eine frische Stimme aus dem Pfarrgarten. „Tun Sie nicht stören mich!“
Die Kinder traten ans Gitter. Vor dem Hause neben Frau Pfarrers Oleanderbäumen stand ein etwa dreizehnjähriges Mädchen mit einer hellblauen Schleife im braunen Haar und versuchte, ein graues Kätzchen auf den Rücken des großen weißen Pfarrspitz zu setzen. Der Spitz knurrte. Er war ein wackeres Tier und wußte manches Kunststück zu machen; aber was ihm nun da zugemutet wurde, ging doch über alles Maß. Und das Kätzchen wollte auch nicht, sondern miaute ärgerlich.
„Was machst du?“ rief Otto. „Das geht nicht!“
„Ich gebe Lektion an diese Tieren“, sagte Edith. „Ich auch muß lernen bei Onkel Pfarrer jedes Vormittag. Guten Abend, kleine Mädchen! guten Abend, kleine Knabe!“ wandte sie sich den Turnachkindern zu, während die kleine Katze die Pause benutzte, um auf das Fenstersims zu springen, von wo sie mit feindselig erhobenem Schwanze auf den Spitz herabsah, der sie anbellte.
Hans bot Edith höflich die Hand, obgleich die Anrede ihn etwas kränkte. Des Mädchens Augen aber fielen auf den Bogen.
„Feiner Gewehr!“ sagte sie anerkennend. „Zeig, Otto —“
Sie spannte den Bogen und schoß den Pfeil hoch zum Dach des Waschhauses hinauf.
„Schlecht getrefft!“ rief sie. „Ich habe wollen durch den Loch von die Kamin.“
Lotti lachte hell auf, weil Edith alles so verkehrt sagte.
„Warum lachen Sie?“ fragte Edith scheinbar ernsthaft. „Es ist sehr traurig, daß deutsche Sprache hat so viel unnütze Worten: der, die das, dem, den — horrible!“
Edith wollte eben den Bogen noch einmal spannen. Aber um die Ecke kam Tante Doktor.
„Ja — Kinder! wo bleibt ihr denn stecken mit Sack und Pack —? Aha, Edith —! Nun, trennt euch jetzt für einmal, in unserm Larstetten findet man sich ja immer wieder.“
„Wir wollen sein Freunde“, sagte Edith, indem sie den Turnachkindern die Hände schüttelte.
„Gud bei!“ rief Otto sich verabschiedend in den Pfarrgarten zurück. „Das bedeutet nämlich, leb wohl“, erklärte er Hans. „Man schreibt es aber g-o-o-d b-y-e. Im Englischen ist die Hauptsache, daß man alles ganz anders sagt, als es eigentlich heißt.“
Die Tante Doktor hatte Mühe, die Kinder vor sich herzutreiben. Immer drehten sie sich wieder um:
„Gud bei, Idifs, gud bei!“ Besonders die Turnachkinder fanden es prächtig, nun auf einmal englisch sprechen zu können.
WIE ES AUF DEM LARSTETTER JAHRMARKT ZUGING
Jedes Jahr im Herbst war Markt in Larstetten. Das war immer ein großes Vergnügen. Schon in aller Frühe wurden die Kinder am Freitag geweckt. Wagen mit quiekenden Schweinen rasselten über das holperige Pflaster. Laut schwatzende Frauen kamen daher mit Körben auf dem Kopfe. Einige Buben mußten bereits Einkäufe gemacht haben; schrille Pfeifen- und Trompetentöne drangen herauf.
„Geld habe ich ziemlich viel“, sagte Trudi beim Frühstück. „Ich hab noch zuletzt vier Zehner verdient!“
„Potz! mit was denn?“ fragte Hans.
„Ja, es war gar nicht so lustig. Allemal am Samstag haben wir zwei Stunden lang gejätet. Man bekommt einen ganz steifen Rücken. Aber ich hab immerfort an das Karussell gedacht. Im ganzen hab ich 70 Rappen Marktgeld.“ Trudi klapperte freudig mit der gelben Hornbüchse, die ihr als Börse diente.
Die andern überzählten auch ihren Besitz. Mama hatte den Turnachkindern zum Glück etwas Taschengeld mitgegeben. Eilig ging’s nun auf die Straße hinunter. Es war kalt und neblig. Undeutlich tauchten die Merkwürdigkeiten des Larstetter Marktes aus der weißen Luft auf. Vor dem Doktorhaus befand sich ein Stand mit Mützen und Hüten, daneben einer mit Schuhen und einer mit geblümten Stoffen; das war nicht besonders interessant. Dann aber kam eine Geschirrbude, von der man die Mädchen nicht wegbrachte; denn sie hatten einen Korb mit Puppengeschirr entdeckt, mit kleinen Tassen, Milchkrügen und braunen Tiegelchen, die man aufs Feuer stellen konnte. Marianne und Lotti kauften zusammen ein weiß und gelbes Töpfchen, und Trudi nahm sechs kleine blaue Teller, die ihr die Händlerin zu 40 Rappen erließ. Dann ging’s weiter. Aber auf einmal, als Marianne zurücksah, war Trudi stehen geblieben.
„Was hast du?“ fragte Marianne.
„Mir ist —“ Trudi schluckte halb weinend. „Mir ist eingefallen, daß ich jetzt schon viel weniger Geld habe. Und ich wollte noch Abziehbilder kaufen und eine Waffel — und dann das K — K —“
Das Karussell blieb im Halse des schluchzenden Trudi stecken.
Da beschlossen Marianne und Lotti, dem von Reue gequälten Cousinchen zwei Teller abzukaufen, worauf Trudi wieder lachte und mit den beiden die Buben einholte, die vor einem Mann in grünem Rock standen. Er hatte keine Bude, nur einen Tisch; aber er redete sehr viel und sagte, er könne alles, was zerschlagen sei, wieder ganz machen.
„O weh, o weh, o weh!“ rief er und hielt zwei Scherben in den Händen mit einem schrecklichen Gesicht des Jammers, der sich plötzlich in die größte Heiterkeit verwandelte, sowie die Stücke wieder aneinander waren.
„Wenn ich nur solche Grimassen machen könnte!“ sagte Otto bewundernd und stellte einige Versuche an.
Marianne aber wurde gegenüber festgehalten. Da saß eine Frau vor einem Kissen, in dem sehr viele Nadeln steckten mit Fäden, und an jedem Faden hing ein Hölzchen. Wenn die Frau die Hölzchen recht rasch übereinander warf, so entstand eine schöne Spitze. Es war wie eine Zauberei. Hans mußte Marianne schließlich am Arm fortziehen.
Die Dreißigrappenbude war weiter oben. Viele Leute standen schon davor. Es war aber auch zum Stillstehen. Hier konnte man alles, geradezu alles haben: Puppen, Dominospiele, Malhefte, Federnschachteln, Perlschnüre, Handwerkszeug, nette Taschenmesser, kleine Käfige mit gelbwollenen Vögeln, Uhren, kurz, was sich nur denken ließ.
„Hört“, flüsterte Lotti. „Balbine hat einmal gesagt, man solle nie so schnell sein auf dem Markt; sie halte immer die Hand in der Tasche und spaziere zuerst bloß so vorbei.“
Doch kaum hatte Lotti den weisen Rat gegeben, so schrie sie laut auf:
„O, o, ein Kaleidoskop!“
„Ein — was?“ fragte Trudi.
„Ein Kaleidoskop!“ Und Lotti fuhr mit der Hand, die sie hatte in der Tasche behalten wollen, nach einer kleinen mit lila Papier überzogenen Röhre. „Man guckt hinein und dreht es. Dann sieht man lauter gelb und rot und blaue Figuren, die sich immer bewegen, Trudi! Wie lebendige Sterne. Es ist furchtbar nett!“
„Jetzt geht es dir dann wie vorhin dem Trudi!“ warnte Otto; aber im selben Moment fiel sein Auge auf einen Kompaß.
„Hans, sieh —!“
„Ach, das kann doch kein rechter Kompaß