Ida Bindschedler

Die Turnachkinder im Winter


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die Richtung!“

      „In den Sommerferien gibt es ja gar keinen dicken Nebel.“

      Otto ließ sich jedoch nicht abbringen. Entschlossen zählte er sein Geld heraus.

      „Ich häng ihn gleich um. Hans, gib mir ein wenig Bindfaden!“

      Hans hörte nicht. Er hatte einen kleinen Hammer ergriffen und wiegte ihn in der Hand:

      „Genau so einen hätte ich eigentlich schon lang gebraucht —“

      „Hans!“ flüsterte Marianne. „Wir haben ja zwei daheim. Besinn dich doch noch —“

      Plötzlich aber entdeckte sie eine kleine Schachtel, hinter deren Glasdeckel vier Strähnchen bunter Perlen lagen. Da vergaß sie selbst das Besinnen, und im gleichen Augenblick, da Hans seinen Hammer von der Händlerin in Empfang nahm, bot ihr der Mann die eingewickelte Perlenschachtel herüber.

      So, jetzt waren alle fünf Kinder ungefähr gleich weit in ihren Finanzen. Balbine hatte gut reden! Vor diesem Dreißigrappenstand wäre sie gewiß auch nicht vorbeispaziert mit der Hand in der Tasche!

      Nun war es aber höchste Zeit, weiter zu gehen. Trudi stand in Gefahr, sich schon wieder in einen Handel einzulassen.

      „Trudi, du bist wirklich zu dumm!“ sagte Otto. „Eine Uhr, die nicht geht —!“

      „Aber man kann ja den Zeiger drehen. Und von meinem Platz in der Schule sehe ich grad auf den Kirchturm; da könnte ich die Uhr immer richten —“

      „Bis Herr Fink sie dir wegnimmt! Nein, Trudi —!“ Otto zog die Schwester aus dem Bereich der verführerischen Uhr weg. „Komm, jetzt gehen wir zu den Waffeln!“

      Die Waffelbude stand an der Ecke des Seilergäßchens. Ohne sie ließ sich der Larstetter Jahrmarkt nicht denken. Es war ein Hauptvergnügen, da eine frische braungebackene Waffel zu kaufen, nachdem man eine Weile zugesehen hatte, wie die dicke Frau in der Haube die langstielige Form in den Teig tauchte, dann in die Pfanne hielt und hierauf den fertigen Kuchen von der Form klopfte und mit Zucker bestreute.

      Von ihren Waffeln herunterbeißend lenkten die Kinder ihre Schritte zur Halde. Die Sonne schien jetzt hell, und von der Sägenwiese herauf tönte lustig und einladend die Musik des Karussells.

      „So, und den Lebkuchen für die Josephine!“ rief Otto plötzlich anhaltend. Josephine war die Köchin.

      „Dort hat’s Lebkuchen!“ deutete Lotti in eine Seitengasse, wo auch noch ein paar Buden standen. Ein altes Männlein saß da und hielt Lebkuchen feil.

      „Beim Rathaus ist ein viel größerer Stand“, meinte Otto. „Dort kaufen alle Leute.“

      „Vielleicht hat der Mann aber auch gern, wenn man zu ihm kommt“, erwiderte Marianne und ging zu dem Alten, der freundlich nickte.

      „Brav einkaufen! Lauter gute Ware!“ rief er und legte seine Lebkuchen her.

      „Wir möchten einen für zehn Rappen“, sagte Otto.

      „Fünf Kinder und bloß einen kleinen Lebkuchen —?“ Der Alte machte ein enttäuschtes Gesicht.

      „Wir haben eben schon Waffeln gekauft, und jetzt möchten wir zum Karussell“, erklärte Lotti.

      „O jeh, o jeh! heut geht das Geschäft doch gar nicht!“ jammerte das Männchen. „Es kommt kein Mensch da vorbei, und wenn einer kommt, so hat er schon eingekauft. O jeh!“

      Betrübt schob er die Pakete wieder zusammen.

      Die Kinder sahen einander an und berieten leise, bis sie zu dem Entschluß kamen, zusammen einen runden Lebkuchen für 25 Rappen zu kaufen.

      „So ist’s recht!“ sagte das Männlein und suchte den bestgeformten Kuchen aus. „Und wenn man etwa bei euch zu Haus noch mehr brauchen sollte, so denkt an mich.“

      Die Kinder versprachen es. Es war jedoch schwer, das Lebkuchenmännlein im Sinn zu behalten. Auf der Sägenwiese gab es neben dem Karussell noch ein Kasperletheater; das war über alle Beschreibung lustig. Am Nachmittag war große Vorstellung. Es trat ein Sultan Schuri-muri auf mit seinem Diener Karabatschi, und dann der freche Kasperle, der eine Reihe von Missetaten ausführte und sich immer hinausredete, ja den stolzen Sultan sogar in eine Kiste sperrte. Auf diese Kiste setzte er sich und sang: „Tirallala, tirallala!“ bis der Herrscher der Hölle erschien, schwarz und grauenvoll, und den verbrecherischen Kasperle davon schleppte.

      „Wie schade!“ riefen Lotti und Trudi, als nach dieser Höllenfahrt das Stück zu Ende war.

      Sie trösteten sich dann aber mit der Aussicht auf eine zweite Vorstellung um drei Uhr. Inzwischen konnte man wieder zum Karussell oder ins Städtchen hinauf zu den Verkaufsbuden gehen. So wären die Kinder beständig von einer Herrlichkeit zur andern hin und her gelaufen, wenn nicht schließlich etwas Besonderes sie festgehalten hätte ...

      Der Lärm des Jahrmarktes drang nur von Ferne in den Pfarrgarten. Frau Pfarrer pflückte vom Spalier die letzten Birnen; Spitz sah ihr zu, und die schwarze Katze lag in der Sonne. Beide hatten heute frei; denn Edith war nach dem Essen gegangen, sich den Markt anzusehen. Frau Pfarrer wandte sich ein paarmal nach der Straße; jetzt sollte das Kind eigentlich zurück sein.

      Da kamen Doktors Otto und Hans Turnach herangerannt:

      „Guten Abend, Frau Pfarrer —“

      „Guten Abend, Otto! Wißt ihr vielleicht, wo Edith ist?“

      „Ja, sie steht in einer Bude an der Trümpengasse und verkauft Lebkuchen —“

      „Was sagt ihr? Wo steht sie —?“

      „In einer Bude und verkauft Lebkuchen. Es ist ein ganzes Gedränge um sie herum, und wir sollen Einwickelpapier holen —“

      „In einem Lebkuchenstand — auf dem Jahrmarkt — nein, das ist nun doch zu arg! David —!“

      Der Herr Pfarrer sah oben zu dem grün umrankten Fenster heraus und lachte. Er hatte die Geschichte mitangehört.

      „Rege dich nicht auf, Berta! Ediths Taten sind manchmal etwas ungewöhnlich; aber sie meint’s gut.“

      „Nein, David, was zu viel ist, ist zu viel —“

      „Marianne und Lotti und Trudi sind auch in dem Lebkuchenstand“, fuhren Hans und Otto in ihrem Bericht fort.

      Frau Pfarrer seufzte erleichtert auf.

      „Und der Mann ist sehr froh, und wenn Sie uns, bitte, Papier geben wollten — Edith hat gesagt, wir sollten schnell wieder kommen —“

      „Siehst du, Berta“, sagte der Herr Pfarrer. „Gib den Buben, was sie brauchen. Zu deiner Beruhigung und zu meinem Vergnügen gehe ich nachher gleich hinüber in die Trümpengasse und sehe, wie sie es treiben.“

      Das mit der Lebkuchenbude war so gekommen: Edith hatte in der Hauptgasse vor einem Stande, wo man nach Scheiben schießen konnte, die Turnach- und Doktorskinder getroffen.

      „Ich kann nicht verständen“, sagte sie, „daß Tante Pfarrer mich verbietet zu schießen hier. Ist doch eine sehr hübschen Sache.“

      Aber sie widerstand der Versuchung und schlenderte mit den Kindern weiter.

      Auf einmal lief Hans um die Ecke. Der Lebkuchenmann war ihm eingefallen. Der kleine Alte stand wie am Morgen da und sah nach Käufern aus.

      „Einkaufen, einkaufen!“ rief er mit seiner dünnen Stimme, als er die Kinder wieder sah.

      Die Kinder waren etwas verlegen; denn sie hatten gar kein Geld mehr. Und der Edith, die sonst immer viel Taschengeld besaß, war es heute auch ausgegangen.

      „Das ist ein Unglück“, sagte sie. „In zwei oder drei Tage ich bekomme wieder von mein Papa; aber jetzt ich habe nur noch diesen Zwanzig.“

      Dafür nahm sie einen Kuchen. Sie sah umher. Warum kamen denn keine Leute?

      „Sie haben eine