auf den Bus. Sie sah aus, als würde sie sich gleich übergeben.
»Ist dir schlecht, Mary Kate?«, habe ich sie gefragt.
»Ich glaube schon«, sagte sie.
Mary Kate ist ein Jahr jünger als ich, und wir sind gute Nachbarschafts-Freundinnen, aber sie ist ein bisschen zu behütet. Ihre Eltern erlauben ihr nicht, Fernsehen zu gucken, und ein Handy darf sie schon gar nicht haben. Ich verstehe ja, dass die Welt da draußen sehr gefährlich sein kann, aber ein Kind so sehr zu behüten, kann auf Dauer nur nach hinten losgehen. Zum Beispiel, wenn das Kind dann so unglaubliche Angst davor hat, in einem Bus voller älterer Kinder mitzufahren, dass es fast kotzt.
Seit diesem ersten Schultag sitzt Mary Kate auf der Fahrt nach Hause immer neben mir.
»Kröte, hast du was zu essen?«, fragt Danny Mary Kate. Er nennt sie Kröte und mich Frosch. Wir haben keine Ahnung, warum.
»Nein«, sagt sie. Als er nicht hinguckt, schiebt sie ihre Hand in die Außentasche ihres Rucksacks und gibt mir ein Stück Schokolade, leicht angeschmolzen.
»Stimmt das mit dieser Olivia, dass sie, äh, ihre Dings bekommen hat und also einen Unfall hatte und dann gleich gekleiderordnet wurde?«, fragt mich Mary Kate.
»Ja. Das stimmt alles. Ganz schön schrecklich, oder?«
»Passiert das oft?«
»Dass man gekleiderordnet wird? Bis sie uns mit der Klassenfahrt bestochen haben, täglich, stündlich, minütlich.«
»Nein, ich meine Unfälle.« Mary Kate sieht wieder ganz verschreckt aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie lieber langsam in einem Fass Schokolade ersticken würde, als in der Schule einen Blutfleck auf ihrer Hose zu entdecken.
Ich bringe es nicht über mich, ihr zu sagen, dass ich keine Ahnung habe. »Nein. Wirklich nicht. Aber ich würde mir eine extra Jogginghose ins Schließfach legen, nur zur Sicherheit.«
»Das mache ich.«
Danny streckt den Arm über den Gang und wedelt Mary Kate mit einem Zwanzig-Dollar-Schein vor der Nase herum. »Ich kann sehen, dass du isst, Kröte. Ich gebe dir zwanzig Dollar für einen Schokoriegel.«
»Ich habe keine mehr.« Mary Kate hat auch schreckliche Angst vor Leuten, die vapen.
Danny zieht ein Gerät aus seiner Tasche, das aussieht wie ein USB-Stick, und inhaliert den Dampf. Ich finde das total eklig.
Der Siebtklässler neben ihm, er heißt Ted, stößt ihn in die Seite, weil er auch will. Danny hält ihm das Ding vor den Mund, und Ted saugt daran.
Frosch und Kröte sind so angeekelt, dass sie noch nicht einmal ihre Schokolade aufessen können.
Wenn man kein Elefant ist
Meine Mom behandelt Danny wie ein Kleinkind. Deswegen hat sie es auch für nötig befunden, letztes Jahr ihren Job bei der Tafel aufzugeben, um wieder Vollzeitmutter zu werden.
Sie hat ihren Job geliebt.
»Hallo, Schatz. Wie war dein Tag?«, sagt sie und versucht, so nah wie möglich an ihn heranzukommen. Sie will wissen, ob er nach Minze oder Mango riecht, die beliebtesten Geschmacksrichtungen beim Vapen.
»Gut«, sagt Danny, weicht ihr aus und reißt die Speisekammertür auf. Danny lernt langsam, dass Mom ihn in Ruhe lässt, wenn er einfach »gut« sagt und nicht pampig wird.
»Und deiner, Molly Mae?« Zum Glück will sie nicht an mir riechen. »Wie war dein Mathetest?«
»Es lief gut.« Ich öffne den Kühlschrank auf der Suche nach Milch, um die Schokolade runterzuspülen. Thibodeaux stürzt sich auf mich und bekommt von mir ein Leckerli aus der Tibby-Dose.
»Haben sich alle von der Nachricht wegen der Klassenfahrt erholt? Daddy war echt enttäuscht, dass sie abgesagt wurde. Er hat dir gerade eine richtig coole LED-Taschenlampe bestellt.« Sie schaut Danny hinterher, der über die Treppe nach oben verschwindet.
»Findest du es nicht ein bisschen übertrieben, dass sie die Fahrt wegen der Kleidersache gestrichen haben?«
»Nun, sie wollten euch anspornen. Ich habe schon verstanden, was sie damit erreichen wollten, und wie der Schulleiter geschrieben hat, so sind die Vorschriften.«
Sie rückt näher an mich ran und stellt sich neben mich. »Hat er auf dem Weg nach Hause geraucht?«, flüstert sie. Ihr heißer Atem kitzelt in meinem Ohr.
»Nicht dass ich wüsste«, lüge ich. Ich wünschte, sie würde sich wenigstens ein Mal für mein Leben interessieren. »Die Klassenfahrt ist mir egal.«
»Wirklich? Aber du hast dich doch schon das ganze Frühjahr darauf gefreut.«
»Ich finde, sie gehen mit der Kleiderordnung echt zu weit. Kannst du nicht mal mit dem Schulleiter reden und ihm sagen, dass es nicht in Ordnung ist, zu überwachen, was Leute anhaben? Besonders das, was Mädchen anhaben?«
Sie sieht mich mit einem So-etwas-sagt-Molly-sonst-nie-Blick an. »Ich glaube, wir sollten aus einer Mücke keinen Elefanten machen, mein Schatz. Und außerdem sind es nur noch ein paar Wochen, und dann bist du auf der Highschool. Da nimmt man es mit der Kleiderordnung nicht so genau. Vielleicht nicht genau genug.«
»Kann ich denn jetzt tragen, was ich will, wenn die Klassenfahrt sowieso gestrichen ist?«
»Warum willst du dir den Ärger einhandeln?«
»Weil ich ein Mal in meinem Leben für etwas kämpfen will.«
Sie legt den Kopf schief und denkt wahrscheinlich: Wer ist dieses Mädchen, und was hat sie mit meinem Kind gemacht? Die Klassenfahrt ist ihr egal, und sie will für etwas kämpfen?
»Weißt du was, Molly? Das kannst du gerne machen. Solange wir nicht deinen nackten Hintern zu sehen bekommen, natürlich.«
»Wenn du also einen Anruf bekommen solltest, dass du mir Klamotten zum Wechseln bringen musst, wirst du nicht sauer sein?«
»Nein. Ich werde nicht sauer sein. Ich werde ihnen sagen, dass meine Tochter gut angezogen ist. Okay?«
»Danke, Mom.«
»Ich bin stolz auf dich, mein Schatz.«
Manchmal sind Mücken genauso wichtig wie Elefanten.
Wolfgang Waffel Winzling der Dritte
An einem verregneten Oktobermorgen in der ersten Klasse wurden Bea und ich gezwungen, Freundschaft zu schließen. Alle Schüler, die am Schulausflug teilnahmen, stellten sich in die Schlange für den Bus, und wir hatten das Pech, die einzigen Mädchen in unserer Busgruppe zu sein. Wir gerieten in Panik, starrten einander an und setzten uns nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen. Zuerst guckten wir einfach geradeaus, denn ich kannte sie nicht, und sie kannte mich nicht. Aber dann bot sie mir einen Keks aus ihrer Frühstücksdose an, und ich bot ihr Chips aus meiner Frühstücksdose an.
»Bäh?«, fragte ich, als ich den Namen auf ihrer Dose las.
»BE und A«, sagte sie. »Bea.«
Wir kicherten, weil man das in der ersten Klasse so macht.
Wir hielten uns an den Händen und folgten der Lehrerin durch das Dorf, sahen den als Siedlern verkleideten Schaustellern beim Weben und Teigkneten zu und ließen uns die Wirkung der Pflanzen im Kräutergarten erklären.
»Guck mal, eine kleine Maus«, sagte Bea. Sie legte das zitternde Wesen in ihre Handfläche. Es war eindeutig ein Baby, so klein wie der Daumen einer Erstklässlerin. Wir setzten die Maus in meine Frühstücksdose (nachdem ich vorher mein Brot und die Chips rausgenommen hatte) und machten ihr ein Bett aus Gras und Blättern.
»Ich nehme sie eine Woche, du sie in der nächsten Woche«, hatte Bea gesagt. Obwohl wir große Pläne hatten, uns für den Rest unseres Lebens gemeinsam um die Maus zu kümmern, erlaubte unsere Lehrerin uns nicht, sie zu behalten.
Wir