Wunschbrunnen-Bruder
Mein Wunschbrunnen-Bruder ist der Bruder, den ich mir jedes Mal wünsche, wenn ich mir am Brunnen vor der Cheesecake Factory etwas wünsche.
»Warum stehst du da so, mit geschlossenen Augen?«, fragt Danny mich immer. »Du siehst bescheuert aus.« Aber mir ist es egal, wie ich aussehe, denn mit geschlossenen Augen kann ich mir den Bruder vorstellen, den ich gerne hätte.
Mein Wunschbrunnen-Bruder redet mit mir, wenn wir zusammen die Straße entlanggehen, und fragt mich, ob ich auch ein Eis haben will, wenn er sich selbst eins holt. Er erzählt mir so lange Witze, bis uns vor Lachen die Bäuche wehtun. Ein Frühstücktablett in den Händen, das wir gemeinsam vorbereitet haben, schleicht er mit mir in das Schlafzimmer unserer Eltern (so wie in der Werbung). Mein Wunschbrunnen-Bruder beschützt mich, wenn die Jungs aus seiner Klasse mich hinter der Bücherei mit Schneebällen bewerfen. Geduldig hilft er mir mit den Hausaufgaben, anstatt zu sagen: »Wie kann man das nicht kapieren!« Er liest mit mir Bücher in Höhlen, die wir aus Decken und Kissen gebaut haben. Und er schlägt mich nie oder tritt mich oder spuckt in mein Ohr, wenn ich schlafe, oder bespritzt mich mit dem Gartenschlauch, wenn ich mich gerade für den Vater-Tochter-Tanz bei den Pfadfinderinnen fein gemacht habe.
Einmal, als ich etwa neun oder zehn war, habe ich ein Einmachglas voller Geld in den Brunnen gekippt, Scheine und alles.
»Warum hast du das gemacht?«, hat Oma gefragt und das durchweichte Geld rausgefischt. Oma geht mit mir immer in die Cheesecake Factory, wenn sie zu Besuch ist.
»Bitte lass das Geld da drin«, habe ich gesagt. »Mein Wunsch ist noch nicht in Erfüllung gegangen.«
Ein Gruppenchat mit 217 Personen
Im größten Gruppenchat, an dem ich bisher teilgenommen habe, waren sechzig Leute. Das war Scott Kleinmans Bar-Mizwa-Gruppenchat, und der war nicht besonders aufregend. Seine Mutter hatte die Gruppe erstellt, um uns darüber zu informieren, wann wir in der Synagoge zu sein hatten, dass wir während des Gottesdienstes unsere Schultern bedecken sollten, dass der Bus nach Hause von der Basketball Hall of Fame zum Supermarkt fahren und uns dort zwischen elf und elf Uhr dreißig absetzen würde.
Ansonsten bestand der Chat zu neunzig Prozent aus Fragen von Mädchen, die wissen wollten, was man anziehen soll. Bis zum Tag vor der Bar Mizwa. Dann waren es zu neunzig Prozent Jungs, die wissen wollten, was man anziehen soll. Ein Junge hat ständig alle gefragt, wie viel Geld sie Scott schenken, weil er gehört hatte, es müsse ein Vielfaches von dreizehn sein. Alle antworteten ihm ständig: achtzehn, also ein Vielfaches von achtzehn. Ich glaube, der Junge hat nie kapiert, dass sowohl Scott als auch seine Mutter mit zur Gruppe gehörten.
Ich wusste gar nicht, dass ein Gruppenchat mit 217 Personen überhaupt möglich ist. Bis gestern, als (ausgerechnet) Scott Kleinman einen Gruppenchat mit dem Titel Klassenfahrt, ja klar! startete:
Meine Eltern und Jessie Laheys Eltern sagen, sie werden uns beaufsichtigen, wenn wir unseren eigenen Campingausflug zum Strawberry Hill State Park organisieren wollen. Selber Tag. Antworte, wenn du mitmachst.
Zweihundertsiebzehn von 220 machen mit. Ich weiß, dass zwei Schüler vor Ende des Schuljahres nach Indien fahren, die sind also nicht dabei. Jemand anders aus der achten Klasse fehlt also noch.
Die Eltern treffen sich gerade in der Bücherei, um den Campingausflug zu besprechen, denn vier Eltern können natürlich nicht 217 Mittelschüler bändigen. Ich hoffe, meine Eltern werden nicht mit reingezogen. Meine Mom war schon fünf Mal Elternvertreterin, und mein Dad war der DJ beim Tanz der Pfadfinderinnen. Ich werde sie daran erinnern, dass sie ihre Pflicht getan haben und jetzt mal andere dran sind.
In der Klassenfahrt, ja klar!-Gruppe wird viel geflucht.
Nick und seine Freunde schmieden schon Pläne, wie sie ihre Vape-Pods mitschmuggeln wollen. Sie fragen, ob eines der Mädchen Lust hätte, die Pods in ihrem BH zu verstecken. Keine antwortet.
Irgendwie hoffe ich, dass Scotts Mom diesmal auch mitliest.
Ein Brief an Scott Kleinman
Wenn es nicht total seltsam wäre, Scott Kleinman einen Brief über seine Bar Mizwa zu schreiben, würde ich ihm Folgendes sagen:
Lieber Scott,
du hast dir ganz schön viel Mühe mit deiner Bar Mizwa gegeben. Es war sehr mutig, wie du vor deiner Familie, deinen Freunden und Leuten von auswärts aufgetreten bist (ich glaube, dein Dad hat gesagt, dass sogar Gäste aus Kalifornien und Miami da waren). Du hast nicht einmal das Gesicht verzogen, als die Kinder aus unserer Klasse einfach nicht still sein wollten. Ich war echt beeindruckt von deinen Hebräisch-Kenntnissen und deinem Projekt, Menschen über Assistenzhunde aufzuklären.
Ich erinnere mich aber vor allem an die Rede deiner Eltern, in der sie erzählten, dass du dein ganzes Leben lang freundlich und großzügig warst, dass du einem Mädchen, das ihre Brezel hat fallen lassen, deine Brezel angeboten hast (als du gerade mal drei Jahre alt warst!). Deine Eltern waren so gefühlvoll, so liebevoll, und es war dir noch nicht einmal peinlich, dass sie dich umarmt haben.
Als ich deine Bar Mizwa verlassen habe, habe ich mich ganz leer gefühlt. So eine wunderschöne Rede könnten meine Eltern über Danny nicht halten. Und über mich könnten sie wohl auch nichts Besonderes sagen.
Jedenfalls, gut gemacht.
Deine Klassenkameradin Molly
Manchmal sind Äpfel einfach böse
Wenn ich früher von der Schule nach Hause gekommen bin, habe ich meinen Eltern immer sofort erzählt, was Nick und seine Freunde an dem Tag gesagt haben:
»Nick hat Bea ›Bohnenstange‹ genannt.«
»Nick hat Amar ›Isis‹ genannt.«
»Nick hat Liza ›Bohnenfresserin‹ genannt.«
»Nick hat Scott ›Jewfro‹ genannt.«
»Nick hat Julissa angespuckt und zu ihr das N-Wort gesagt.«
»Nick hat Sarah Simms ›haarige Bestie‹ genannt.«
»Nick hat Ashley ›Fischstäbchen-Atem‹ genannt.«
»Nick hat Jacob und ein anderes Kind, das autistisch ist, ›geistige Zwerge‹ genannt.«
Auch wenn er die schrecklichsten Dinge von sich gab – für die Danny und ich lebenslang bestraft worden wären –, haben meine Eltern jedes Mal gesagt: »Beachte ihn einfach nicht, Molly. Irgendwo hat er das ja her. Meistens fällt der Apfel nicht weit vom Stamm.«
Aber ich kenne Nicks Eltern. Sie sind wirklich nett. Vielleicht sind sie zu Hause grausam und gemein, aber sie waren zu allen hilfsbereit und freundlich, als sie unsere Klasse bei den Morgenwanderungen begleitet haben.
Vielleicht, nur vielleicht, werden Äpfel ja böse geboren.
Vielleicht hat der Baum gar nichts damit zu tun.
Jetzt hat Nick dafür gesorgt, dass all seine Gefolgsleute »Tampon-Versagerin« zu Olivia sagen. Es hat nie jemand behauptet, dass Nicks Spitznamen besonders schlau wären. Ich wette, meine Eltern würden Olivia sagen, dass sie ihn einfach nicht beachten soll. Er ist nichts weiter als ein fauler Apfel.
Ich werde Olivia sagen, dass sie sich wehren soll. So bin ich nämlich gerade drauf.
Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast Episode zwei
Ich: Hier ist Molly Frost, und ihr hört gerade Nicht in Ordnung – ein Kleider-Podcast. Ich habe mich entschieden, das Thema Kleiderordnung anzusprechen, nachdem meine Freundin vom Schulleiter unserer Mittelschule gedemütigt wurde, weil sie ein Tanktop trug und ihre Schultern zu sehen waren. Ich finde, so sollte man mit einem dreizehnjährigen Mädchen nicht umgehen. Ich habe Gäste eingeladen, mit denen ich über die Kleiderordnung an der Mittelschule sprechen will. Heute heiße ich Liza R. willkommen, bekannt für ihre Talente beim Volleyball und beim Schreiben.