Carrie Firestone

Girl Power!


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Wie war noch mal der Titel, Liza?

      Liza: Eine Insel, grün und blau.

      Ich: Stimmt. Es war so toll. Okay, lass uns über die Kleiderordnung sprechen. Wie waren deine Erfahrungen?

      Liza: Ich habe dafür extra mein Tagebuch mitgebracht.

      Ich: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Liza hat ihr Tagebuch hinten aufgeschlagen, und sie hat, lasst mich zählen, fünf, sechs … siebenunddreißig Stellen markiert.

      Liza: Nachdem ich gleich am ersten Schultag gekleiderordnet wurde, habe ich angefangen, alles aufzuschreiben. Ich habe die Shorts, die wir zusammen gekauft haben, nicht mehr getragen, aber egal, was ich anhatte, die Fingerspitze fand immer etwas an mir auszusetzen. Mein BH-Träger guckte hervor, mein Shirt war nicht lang genug, meine Hose zu eng, mein Ausschnitt zu groß. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist, mich von Kopf bis Fuß zu mustern und mich dann zu kritisieren. Kein Witz.

      Ich: Wie hast du dich dabei gefühlt?

      Liza: Im Badezimmer war mal eine Spinne im Waschbecken. Ich habe die Lupe von meinem Bruder geholt und habe die Spinne beobachtet. Es war faszinierend. Schließlich kam meine Mutter dazu und hat die Spinne mit der Lupe zerquetscht. Wie ich mich jedes Mal fühle? Wie die Spinne.

      Ich: Mensch, Liza.

      Liza: Jup.

      Ich: Was hat sich verändert, als sie beschlossen haben, uns mit der Klassenfahrt zu bestechen?

      Liza: Meine Mom musste ihren gesamten Monatslohn für hässliche Klamotten ausgeben, die mir zwei Nummern zu groß sind, so wie das, was ich gerade anhabe.

      Ich: Nicht so wirklich dein Stil.

      Liza: Nein, gar nicht, oder?

      Ich: Liza, hast du Lust, mit mir gegen die Kleiderordnung zu verstoßen, jetzt, wo wir nichts mehr zu verlieren haben?

      Liza: Ja. Das wäre wunderbar.

      Wie hast du dich dabei gefühlt?

      Durch die Therapie habe ich gelernt, wie ich Leute für meinen Podcast befragen kann. In dem Sommer, nachdem ich die Mittagsstunden-Runden aufgegeben hatte, bin ich vier- oder fünfmal hingegangen. Meine Mom hielt das für eine gute Idee, als sie merkte, dass Danny immer gemeiner und ich immer stiller wurde. Die Frau (ich weiß ihren Namen nicht mehr) hat mich immer gefragt: »Und wie hast du dich dabei gefühlt?« Und ich habe immer mit dem Lieblingswort meines Vaters geantwortet: »Grottenschlecht.«

      Mom hat allen erzählt, dass die Therapie Wunder bewirkt hätte und ich nach ein paar Stunden wieder ganz die Alte gewesen sei, obwohl Danny noch immer schrecklich war.

      Ich war wieder ganz die Alte wegen der Baumhaus-Schleim-Fabrik, aber die Therapie-Tante hat auch ein bisschen dazu beigetragen.

      Jedem Anfang wohnt kein Zauber inne

      Wenn ich auf dem kleinen Klo neben der Garage sitze, kann ich alles verstehen, was Mom und Dad im Arbeitszimmer hinter verschlossener Tür sagen. Zuerst wollte ich gar nicht lauschen: Ich saß einfach nur auf dem Klo. Aber dann hörte ich das Wort Pass und wurde neugierig. Mom zählt Dad lauter Orte auf, an die sie hinziehen will, damit Danny neu anfangen kann. Jedes Mal, wenn Mom einen Ort nennt, sagt Dad: »Na, dann erkundige dich mal. Dann bin ich bereit, darüber nachzudenken.« Und Mom sagt: »Das müssen wir zusammen machen. Es ist eine weitreichende Entscheidung.« Dann fangen sie an zu streiten, und ich spüle und verschwinde so schnell wie möglich.

      Hier ist die Liste (in keiner bestimmten Reihenfolge):

      Thailand

      Schottland

      Oregon

      Toronto

      Florida

      Seattle

      Portugal

      Neuseeland

      Ich werde nicht neu anfangen. Werde. Ich. Nicht.

      Rasurbrand

      Liza und ich werden beide ganz normal lange Shorts tragen. Wir planen das Ganze, während unsere Mütter sich in der Auffahrt unterhalten. Liza sagt: »Ich werde das Outfit tragen, aber ich finde, wir sollten noch mehr tun, als gekleiderordnet zu werden und uns dann zu weigern, etwas anderes anzuziehen.«

      »Okay, aber was?«

      »Ich lass mir was einfallen.«

      »Wir ziehen uns morgen so an, und dann werden wir ja sehen, was passiert«, sage ich.

      Am nächsten Morgen will ich eigentlich meine Mom daran erinnern, dass sie versprochen hat, nicht sauer zu sein, wenn ich gekleiderordnet werde. Aber dann mache ich es doch nicht. Sonst überlegt sie es sich vielleicht anders. Ihr fällt noch nicht einmal auf, dass ich die Shorts trage, über mein Tanktop ziehe ich einen Hoodie. Als ich in der Schule bin, verschwindet der Hoodie in meinem Schließfach.

      Es fühlt sich an wie am ersten Schultag in der siebten Klasse, als ich allein und verloren durch die Gegend gerannt bin, voller Angst, dass die Fingerspitze mich zur Schulleitung schickt. Liza fühlt sich bestimmt genauso. Ohne Probleme nehme ich meinen Platz im Klassenzimmer ein, wahrscheinlich, weil Ms Lane eine der nettesten Lehrerinnen überhaupt ist. Sie würde nie eine Schülerin beschämen, weil sie Shorts und ein Tanktop trägt.

      Meine Beine kleben an dem kalten Sitz fest. Ich schaue nach unten und merke, dass ich einen ziemlich auffälligen Rasurbrand auf meinem Schienbein habe. Diese Hautausschläge werden langsam echt zum Problem. Ich muss unbedingt zum Hautarzt. Erst Pickel und jetzt Rasurbrand. Was kommt als Nächstes?

      In der Mittagspause kommt Liza zu mir gelaufen. Ich sitze wie üblich zusammen mit Bea, Ashley, Navya und einem Schüler namens Tom am Tisch. Tom hat seit einem Skiunfall ein Schädel-Hirn-Trauma und ist meistens ziemlich verwirrt. Wir sind die Einzigen, die ihn beachten.

      »Vielleicht solltest du Tom fragen, ob er mit dir zum Abschlussball geht«, hat meine Mom bestimmt schon zwei Mal gesagt, weil sie eine ABZ-Neurose hat – eine Abschlussball-Zwangsneurose. Und es kann ab jetzt und in den nächsten drei Jahren nur noch schlimmer werden, wenn der Abschlussball dann tatsächlich ansteht.

      »Wurdest du gekleiderordnet?«, fragt Liza mich und setzt sich Tom gegenüber.

      »Noch nicht«, sage ich. »Du?«

      »Oh ja. Als ich in der Bücherei anstand, hat die Fingerspitze mich aus der Warteschlange gezogen und mir gesagt, dass meine Shorts zu kurz sind. Ich habe ihr gesagt, dass meine Mom sie wegen Belästigung verklagen wird, wenn sie mich noch mal damit nervt.«

      »Hast du nicht«, sagt Ashley.

      »Okay, habe ich nicht. Wollte ich aber. Ich habe einfach gesagt, dass meine Mutter Krankenschwester ist und das Krankenhaus nicht verlassen kann, um mir etwas anderes zum Anziehen zu bringen. Sie hat mich gefragt, wo mein Dad ist, und ich habe gesagt, er kümmert sich um meine kranke Tante in Puerto Rico. Dann meinte sie, dass ich jetzt verwarnt bin, und wenn ich noch mal gegen die Regeln verstoßen würde, müssten meine Eltern zu einer Besprechung in die Schule kommen, und ihr ist egal, wie weit weg sie sind.«

      »Das ist so unverschämt«, findet Navya.

      »Hey, Tom«, sagt Bea. »Lenken dich Lizas Shorts von deinen Aufgaben ab?«

      Tom guckt auf Lizas Shorts. »Wie jetzt?«, fragt er.

      »Ach, egal. Doofe Frage.«

      Ich verbringe den Rest des Tages damit, genau das zu tun, was ich am ersten Tag der siebten Klasse nicht gemacht habe. Ich versuche, so oft wie möglich Lehrern über den Weg zu laufen, damit sie mich verwarnen. Aber keiner tut es.

      Dern sieht mich und wendet sich ab, um mit einem Baseballspieler zu reden.

      Ist es, weil Liza einen Busen und einen Hintern und lange Beine hat? Sieht er sie deswegen und mich nicht?

      Bin ich deswegen unsichtbar?