Lise Gast

Josi und ihre Freunde


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– kaum waren sie in der Küche, da fuhren die Blitze schon über den Himmel, zischgelb und tausendfach verästelt. Die Jungen waren im Wald.

      „Wo sie nur bleiben!“ sagte Frau Gieseking und sah hinaus.

      Josi schnupperte. „Backen Sie Waffeln?“

      „Ich wollte gerade anfangen.“ Frau Gieseking trocknete sich die Arme mit der Schürze ab. Josi sah zu, wie sie den Teig zähflüssig ins schwarze Waffeleisen rinnen ließ. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. „Darf ich mitessen?“ fragte sie blinzelnd.

      „Als ob wir jemals Waffeln ohne dich gegessen hätten“, sagte Frau Gieseking lachend, „aber trockne dich ab, Kind!“ Sie warf ihr ein Handtuch zu, das am Herd gehangen hatte. Es roch nach Rauch und Sommerwind und kratzte auf der Haut, so grobkörnig war es. Josi hatte einen Fuß auf die Ofenbank gestellt und rieb das Bein ab.

      „Jetzt kommen sie“, sagte sie, ohne aufzublicken, „hören Sie?“

      „Ich höre nur den Regen...“

      Sie gingen zusammen zum Fenster und sahen hinaus. Der Hof war jetzt ein See, aus dem die Tropfen spritzend emporsprangen. Hinterm Wald wurde es schon wieder hell. „Du mußt Ohren haben wie ein Luchs“, sagte Frau Gieseking, „hören kann man doch nichts.“

      Die beiden Jungen kamen um die Hutung. Sie sprangen in weiten Sätzen, Leo vornweg, Ulrich etwas vorsichtiger hinterher. Ihre Hemden klatschten auf der Haut. Josi hielt ihnen die Tür auf.

      „Waffeln fertig?“ war das erste, was Leo rief. Die Mutter legte eben ein paar Scheite auf.

      „Gleich geht’s los. Könnt ihr nicht eher kommen? Naß wie die Wassermäuse seid ihr...“

      Ulrich zog sein Hemd über den Kopf und warf es, klatsch, auf die Ofenbank. Der Schein des Feuers tanzte auf seinem nackten Oberkörper und malte ihn rot an. Leo hockte sich vor die Glut. Er sah wie ein Waldschrat aus mit dem hellbraunen Haar, das sich in der Nässe ringelte und drehte.

      „Na, ihr seid ja reichlich ungeniert, dabei habt ihr doch Damenbesuch“, schalt die Mutter.

      „Ach, Damen!“ meinte Ulrich wegwerfend. Josi am Fenster lachte. Sie hatte ihr Haar glatt nach hinten gestrichen und fühlte es um den Kopf liegen wie einen kühlen Helm.

      „Wenn ich schon keine bin, aber draußen ist eine“, sagte sie.

      „Wo?“

      Sie deutete mit dem Daumen hinter sich. Leo kam neugierig herüber. Eine Dame im regennassen Wald?

      Es war Helga. Josi hätte sie malen können, so genau besann sie sich, wie sie jetzt dastand, ein wenig hilflos, das Pferd am Zügel. Es war der hochbeinige Dunkelbraune, den sie damals ritt. Der Regen sprühte von dem blanken Sattel.

      Ulrich rannte gleich hinaus, um ihr zu helfen. Helga fühlte sich wohl ein wenig fehl am Platz mit ihrer durchgeregneten Reitjacke zwischen den halbnackten Jungen und Josi, die hier wie zu Hause war. Josi fand, daß sie nicht so recht zu ihnen paßte, zu Ulrich, Leo und ihr. Damals schon – und auch noch heute. Obwohl die Jungen sehr nett zu ihr waren...

      Josi hatte beim Schwelgen in Gedanken alle Waffeln aufgegessen. Jetzt tat ihr das leid. Eine hätte sie doch als Heimwehbrot aufheben sollen. Sie lachte: Heimweh? Wo die Jungen unten wohnten? Nein, Heimweh gab es nicht. Sie streckte sich aus und schob den Arm unter die Wange. Wo Ulrich war, war auch sie zu Hause. Schnell war sie eingeschlafen.

      Helga stand am Waschtisch und ließ das Wasser über die Hände laufen, minutenlang, wie vor einer Operation. Draußen nieselte es – unerfreuliches Wetter, fast schon November. Helga fror und hatte zu nichts Lust. Es war noch Zeit bis zur Reitstunde. Ob Josi vielleicht...

      Da kam sie schon draußen durch den Regen gesaust, Helga sah es durchs Fenster. Josi trug zu einem kurzen Rock ihre Skijacke, ihr Gesicht war naß vom Regen und munter – beneidenswert munter. Mit einem Satz sprang sie vom Rad und trug es, noch im Schwung, drüben zur Seitentür hinein. Helga fragte sie, warum sie denn so zeitig käme. Die Stunde finge noch nicht an.

      Seit Josi da war, war alles anders, auch die Jungen – wacher, lebendiger. Sie unternahmen mehr, sie ließen sich mitreißen von ihrem Tempo, und Josi tat, als gehörten sie ihr. Das, fand Helga, war übertrieben.

      Bisher hatten sie sich um sie. Helga, förmlich gerissen. Und sie hatte sich zwischen den beiden Knappen recht wohl gefühlt. Sie „standen“ ihr gut. Ulrich war bestimmt begabt und wurde sicherlich einmal etwas Großes, und Leo, einfacheren Gemütes, wäre sicher für sie durchs Feuer gegangen, bisher. Und nun war es auf einmal Josi, die den Ton angab. Wie kam das nur?

      Sie dachte an ihre Mutter. Neben der war es auch schwer, sich zu behaupten, deswegen hatte sie, Helga, wohl angefangen Medizin zu studieren. Mutter hatte das als junger Mensch auch einmal gewollt, und so glaubte Helga, am ehesten vor ihren Augen bestehen zu können. Das Interesse für all die Wunder und Zusammenhänge des Lebens hatte sie in sich, und ein gutes Gedächtnis auch. So hatte sie das Physikum ohne Schwierigkeiten gut bestanden. Nun kam also das Klinische.

      Ob Mutter sich gefreut hatte, als sie telegrafierte, sie habe bestanden? Ob Mutter – Herrgott, immerzu Mutter und Mutter. Lieber sollte sie sich jetzt um ihren Lord kümmern, den sie so gern ritt. Sie stand auf, ungeduldig über sich selbst, und ging zum Stall hinüber. Gerade kam Leo geschusselt.

      „Helga? Willst du auch Stallbursche werden? Dort drin steht Josi und mistet aus. Für dich ist auch noch eine Gabel da!“

      „Ist nicht wahr. Putzen tut sie“, sagte jetzt Ulrich herankommend. „finde ich übrigens ganz gut. Selbst putzen und satteln – wir sind doch keine Herrenreiter. Von jetzt an...“

      Der Reitlehrer verteilte die Pferde. Ulrich bekam den Kardinal und saß auf, strahlend vor Stolz. Er ritt gut, fast so gut wie Leo. Helga sah noch, daß Josi den Loki bekam, ein kleines, nicht sehr dekoratives Pferd, aber einfach zu reiten. Eigentlich gehörte sie noch in die Anfängerabteilung.

      „Wir wollen es mal hier versuchen, kleines Fräulein“, sagte der Reitlehrer eben zu ihr. „Schneid und Energie haben Sie ja. Gehen Sie hinter den Lord, so. Freien Schritt reiten!“

      Helga fand es schade. Josi nicht beobachten zu können. Natürlich ritt sie selbst besser, sie hatte ja schon zu Hause viel geritten, auch unter Anleitung. Hier tat sie mehr mit, um in Übung zu bleiben, Mit dem Lord wäre Josi vermutlich nicht fertig geworden.

      Es wurmte Helga, daß Josi in diese Abteilung durfte. Sie bekam zwar manchen Rüffel – Reitlehrer sind ja nie sehr höflich –, und einmal benahm sich der Loki auch ausgesprochen störrisch und wollte nicht mehr auf den Hufschlag zurück; da ritt Helga schweigend aus der Reihe und setzte sich vor ihn, nahm ihn mit, bis er wieder drin war. Josi rief ein halblautes: „Danke schön, Helga!“, das sehr erleichtert klang. Aber was war das schon groß.

      Als sie absaßen, sah sie, daß Josi kaum laufen konnte. Es war wohl erst ihre dritte oder vierte Stunde, und anfangs machte das Reiten ja einen unmäßigen Muskelkater. Aber sie lachte nur und grub Zucker aus der Hosentasche, und das Haar hing ihr verstrubbelt in das erhitzte und erschöpfte Gesicht. Sie sattelte selbst ab und kam daher erst in den Umkleideraum, als Helga schon fertig war.

      „Du, das war prima von dir, ich glaub’, der Gestrenge hätte mich sonst rausgeschmissen“, sprudelte sie hervor, „dabei möchte ich doch...“; und nun ergoß sich ihre ganze Reit- und Pferdebegeisterung über Helga. Die Jungen klopften schon an die Tür und riefen und trieben an, da stand Josi noch in der Strumpfhose da und ereiferte sich. Sie wollte unbedingt wissen, wie man antrabt, wie man richtig wechselt und woran man merkt, daß man – schweres Verbrechen! – auf dem falschen Fuß trabt oder angaloppiert.

      Es war schon dunkel, als sie das Reithaus verließen. Josi und die Jungen schoben die Räder, da Helga zu Fuß war, und man beratschlagte, was heute noch zu unternehmen sei. Nach dem Reiten mußte ein schöner Abend folgen, das gehörte zum Programm.

      Ulrich fuhr aus dem Schlaf, als der Wecker rasselte. Er hatte ihn auf sechs gestellt. Aufstehen, los, sonst kam er keine einzige Minute an die Arbeit.

      Mit