Lise Gast

Josi und ihre Freunde


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sah ein wenig vorsichtig zu Helga hinüber, die außerhalb des Lichtkreises der Lampe saß, noch in der Jacke. Ihr Haar schimmerte matt. Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.

      „Und ich? Komme ich auch in eurem Roman vor?“ fragte Leo jetzt herzerfrischend unbefangen in die Stille hinein. Ulrich lachte erlöst. „Du möchtest wohl gern?“ fragte er.

      „Wenn ihr mich nicht zu blöd hinstellt – übrigens, der Tee ist fertig. Ulrich, du mußt das Zahnputzglas nehmen, nein, laß den Löffel drin, sonst springt es, der Tee ist heiß. Die Tasse muß Helga haben, unsere einzige vornehme mit Untertasse.“

      „Ach ich – ich brauch’ doch keinen“, sagte Helga und stand auf, „ich wollte sowieso hinauf.“

      „Nanu, warum denn?“ fragte Ulrich so erstaunt, daß sie sich schämte.

      „Ich meine, ich arbeite doch nicht, und der Tee soll doch bei der Arbeit munter halten“, sagte sie leise und rasch.

      „Ach deshalb – ich tu’ ja auch nichts“, meinte Leo gemütlich und goß ein, „hier ist der Zucker. Nein, Josi, du hast schon, ich hab’ ihn dir gleich reingetan. Du bekommst meinen Löffel. Und nun wird’s auch allmählich warm. Gib die Jacke her, Helga, ich häng’ sie auf.“

      Helga hatte sich, halb widerstrebend, wieder gesetzt. Er ließ sich mit einem Plumps neben sie fallen, so daß sie, die Tasse in der Hand, auf der schlecht gefederten Liege zur Seite sank. „Hoppla, entschuldige, hast du geschwappt? Ja, die sogenannte Gute-Stuben-Couch! Erst war sie ein Bett, dann ein Diwan, und nun wird sie den Ehrennamen Couch tragen. Was den Federn nicht viel ausmacht, denen kann nichts mehr schaden.“

      „Du bist wohl wieder dran?“ fragte Josi lachend, während sie einen neuen Bogen einspannte. „Weil du so schmähst.“

      „Ich bin meistens dran. Jetzt jedenfalls, wenn ihr schreibt. Da penne ich zu guter Letzt hier ein, und wenn ich irgendwann einmal wach werde, liegt Ulrich im Bett und ist nicht zu erwecken.“

      „Wir werden ein zweites Bett organisieren“, versprach Josi im Ton einer Mutter, die dem kleinen Jungen auf den verletzten Finger pustet, „heile, heile, Segen. Nun aber schön Ruhe, wir müssen arbeiten...“

      Ulrich lachte und diktierte weiter. Seine anfängliche Scheu, den Roman vor anderen laut zu lesen, begann sich zu legen. Josis unbefangene Teilnahme tat ihm wohl, er fragte sie auch hie und da um Rat. Sie bezwang tapfer ihre Müdigkeit. Es war doch etwas Großartiges, hier mitzuschaffen an einem Werk, das Ulrich berühmt machen würde. Und sie war in dem Alter, in dem man eine Nacht durchschuften kann, sich dann die Augen wäscht und in den neuen Tag startet, als habe man acht Stunden tief geschlafen. Außerdem hält es wach, wenn man tätig ist. Helga dagegen fielen die Augen allmählich buchstäblich zu. Sie merkte es und riß sich ärgerlich hoch. Irgend etwas trieb sie, wach zu bleiben, solange Josi wach war. Leo war längst sanft entschlummert, er lag halb sitzend quer über der Liege und schnarchte vernehmlich. Endlich legte Ulrich die handgeschriebenen Blätter weg, zufrieden aufseufzend.

      „Ich glaube, wir machen Schluß. Wann hast du denn morgen Kolleg?“

      „Schon ab acht. Aber nur bis elf“, sagte Josi. „Wenn du willst, können wir in der Mittagsstunde weitermachen.“

      „Wirklich? Au fein, du! Da kommen wir vorwärts. Wenn wir erst über die Stelle hier weg sind – hier...“ Er las murmelnd ein paar Sätze, griff nach dem Bleistift und strich durch, schrieb darüber und strich wieder aus. Josi stützte den Kopf in beide Hände und starrte auf die Buchstaben der Tastatur. Sie schlief fast sofort ein, wie sie so dasaß, todmüde und erschöpft. Er merkte es nicht. Als sie hochfuhr, hatte sie noch die Erinnerung an einen langen und bunten Traum.

      „Entschuldige, hab’ ich gepennt? Na so was, jetzt aber in die Falle! Helga, kommst du mit?“ – Sie ließ die Maschine stehen, wo sie stand, und schob den Stuhl zurück, endlos gähnend. „Nein, steck die Zigarette wieder ein, Ulrich, rauch sie lieber morgen.“ Sie lachte ihm zu, taumelig vor Müdigkeit.

      „Na gut, meinetwegen.“ Er steckte die Packung wieder ein. „Und schönen Dank auch.“

      „Gefällt dir der Roman? Ich finde ihn fabelhaft“, sagte Josi, als sie oben vor ihren Zimmertüren standen.

      „Sicher. Ich würde ihn gern mal ganz lesen“, sagte Helga.

      „Ja, tu das nur. Die Hälfte haben wir jetzt.“ Josi gähnte wieder, am liebsten wäre sie in den Kleidern ins Bett gekrochen. Helga stand eine Weile allein im Dunkeln.

      „Wir“, hatte Josi gesagt. Es war vielleicht nur ein Zufall.

      Nein, das war es nicht. Helga stand und fühlte Tränen in den Augen. Immer wieder „wir“. Und ich? Wer fragt nach mir, wer bezieht mich mit ein, wer kümmert sich um mich?

      Frau Martens stand am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus in den Schnee. Die Dämmerung hing weich und lila über dem schlafenden Garten, kein Windhauch regte sich. Auf den allerkleinsten Ästen lag die Schneelast noch, man konnte glauben. Bäume und Sträucher hielten den Atem an. Übermorgen war Heiligabend. Wenn es doch kalt bliebe! Wie lang hatte es keine weißen Weihnachten mehr gegeben!

      Es war unglaublich gemütlich im kleinen Zimmer mit dem halbhohen, weißen Kachelofen. Nicht einmal eine Zigarette mochte sie rauchen, so wohlig war ihr. Die Hyazinthen am Fenster standen still und verheißungsvoll unter ihren Hütchen. Im Februar, wenn sie anfangen würden zu duften...

      Nein, im März erst. Ende März. O du gütiger Himmel, gab es denn solch ein Glück? Es war keine vage Hoffnung, kein Traum, hundertmal geträumt in mehr als zwanzig Jahren und nun am Wahrwerden! Sie war so sicher, daß es ein Sohn sein würde. Bei Helga hatte sie keinen Augenblick daran gezweifelt, daß sie eine Tochter bekommen würde, eine große Schwester für die kleinen Brüder, die folgen würden. Diesmal wurde es ein Sohn. Sie war so sicher.

      Helga – heute sollte sie kommen. Was würde sie sagen? Die Tür ging auf, es war ihr Mann.

      „Du sitzt hier im Dunkeln, ist dir nicht gut?“ fragte er erstaunt. Sie lachte. Sie hatte noch jenes merkwürdig junge, jungmädchenhafte Lachen von früher.

      „Doch, sehr gut, Lieber. Soll ich Licht machen?“

      „Wolltest du nicht Helga abholen? Der Schlitten ist draußen. Oder möchtest du lieber nicht?“

      „Ich möchte am allerliebsten hier auf Helga warten“, sagte sie und griff nach seiner Hand. Sie war kalt und frisch, er kam von draußen. „Fahr du, das freut sie sicherlich!“

      „Na schön. Josi Fischer nehm’ ich dann auch gleich mit...“

      „Ja, und die beiden Jungen vom Förster“, sagte Frau Martens, „Helga schrieb, daß sie alle vier zugleich kämen.“

      „Die beiden Giesekings? Meinetwegen. Du, sag mal, wie steht Helga eigentlich zu den beiden jungen Männern? Weißt du etwas darüber?“

      „Ich? Nein. Jedenfalls nicht mehr als du. Helga läßt ja nicht viel verlauten. Aber ich denke, sie halten gute Kameradschaft miteinander. Eigentlich sind es wohl mehr Josis Freunde.“

      „Josis? Hm. Hast vielleicht recht. Der eine studiert wohl Landwirtschaft, oder?“

      „Ja, der Jüngere. Warum fragst du?“

      „Ich meine nur. Man macht sich manchmal so Gedanken. Also mehr Josis Freunde. Ich fahre dann also. Wartest du mit dem Tee?“

      „Ich denke. Grüß Helga inzwischen schön, und die andern natürlich auch. Josi wird ja spätestens morgen hiersein.“

      Ob der Junge ihrem Mann ähnlich sein würde? Sie lachte leise in sich hinein. Da benahm sie sich doch wirklich wie eine ganz junge, noch nicht ein Jahr lang verheiratete Frau und hatte schon eine so große Tochter! Sie freute sich auf Helga, sie freute sich auf Weihnachten, sie freute sich auf das neue Jahr. Sie stand noch einmal auf der Schwelle des Glücks, und sie wußte um das Glück, das in diesem Freuen lag.

      Am zweiten Weihnachtsfeiertag, vormittags,