Lise Gast

Josi und ihre Freunde


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Papiere und suchte nach einem Kuli. Das Glück bescherte ihm eine Packung Zigaretten, als er in Leos Hosentasche fuhr, um nach einem Stift zu fahnden. Na also, so ärmlich war man ja gar nicht dran. Er entzündete eine der beiden einsamen und zerdrückten Zigaretten und überlas die letzten Sätze.

      Seine Stimmung stieg. Das letzte war gut, das hatte er ganz sicher im Gefühl, und ein guter Schluß ist ein leichter Anfang. Man mußte nur so tun, als habe man eben erst geschrieben, und sich über den Absatz hinwegmogeln. Es gelang. Der Kugelschreiber eilte, und die Zigarette verglomm ungeraucht. Er merkte es nicht. Von Zeit zu Zeit starrte er geistesabwesend in die Luft, schrieb dann weiter und verbesserte, strich aus, setzte neu an. Und allmählich kam es über ihn wie ein sanfter Rausch. Er sah sich selbst sitzen in der kalten und unordentlichen Bude, fröstelnd und übernächtigt; es war ja sozusagen für die Kunst, daß er hier litt. Für die Kunst und für Helga. Manchmal sah er zu Leo hinüber, von dem nur der Schopf unter der Decke herausguckte und der so hingegeben schnaufte. Und aus dem anfänglichen Neid auf dessen gesunden und genießerischen Schlaf wurde ein Gefühl der Herablassung. Na ja, wer sich nicht schindet, bringt es auch zu nichts. Aber er, Ulrich, würde es zu etwas bringen, zu etwas Großem, bestimmt!

      Im Stockwerk über ihm fing es an zu rumoren. Er stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie erst verheiratet wären, Helga und er. Dann würde er nach einer durcharbeiteten Nacht – daß er erst vor einer reichlichen Stunde aufgestanden war, zählte nicht – hinüber in ihr Schlafzimmer gehen und die Vorhänge aufziehen, damit die Sonne auf ihr verschlafenes, rosiges Gesicht fiel, und sie lächelnd wecken: „Helga, denk nur, ich hab’ das Kapitel fertig!“

      Wie sie dann staunen und sich an ihn schmiegen würde: „Ulrich, das ist großartig! Und ich schlief so schön!“

      Er saß und träumte und erlebte dies alles. Und dann würde er hinausgehen in die winzige Küche, die sie haben würden, den Stecker des elektrischen Topfes einstecken und den Kaffee in die Tüte schütten. Und nachher saß er dann auf ihrem Bettrand und balancierte eine Tasse auf den Knien, und Helga hörte zu, während sie trank. Ach, herrlich würde das sein, großartig, Helga und er!

      Helga und er, so hieß seine Zukunft. So hatte er sie sich schon als halbwüchsiger Junge geträumt. Und wenn die Welt voll Teufel wär’ und wenn er jede Nacht sitzen müßte...

      Er horchte. Nein, es war wohl Josi gewesen, die da oben herumfuhrwerkte. Man hörte es an ihrem halblauten, nicht sehr musikalischen Singen. Josi sang immer, wenn sie aufstand. Dann schepperte es in regelmäßigen Abständen, daß die Lampe klirrte: Josis Frühgymnastik. Der Gesang wurde kriegerischer. Dazwischen ertönte immer einmal ein tiefer Seufzer: „Oh!“ Wahrscheinlich hatte sie Reitfieber. Ulrich lächelte. Eine Tür schmetterte ins Schloß. Ach ja, Josi war sehr anders als Helga.

      Mit dem Arbeiten war es vorbei. Frau Fleischhack, die Zugehfrau, meldete sich, die Dame mit dem Waldlauf am Morgen und den Schnäpsen am Abend. „Gehen Sie erst rauf, oben ist das Nest leer“, trompetete Leo, der inzwischen auch aufgewacht war, durchs Schlüsselloch hinaus, und die Dame entfloh erschreckt die Treppe hinauf. Als sie dann zu dritt das Haus verließen – Josi war längst über alle Berge –, trafen sie den Briefträger. Wieder keine Antwort des Verlages, an den er seine Novelle „Reiterin in der Heide“ geschickt hatte. Dabei befand sich der Verlag in der Stadt. Ulrich tobte.

      „Ruf doch mal an, vielleicht ist was verlorengegangen“, riet Leo, und Ulrich strebte auf das nächste Telefonhäuschen zu. Die beiden andern standen wartend, der Atem rauchte ihnen vor dem Mund. Helga hatte den Kragen ihrer Jacke hochgeschlagen, ihr Gesicht sah fein und ein wenig blaß aus dem Pelzwerk hervor. Wie eine Gräfin sieht sie aus, dachte Leo stolz. Eben wurde die Glastür heftig aufgestoßen, und Ulrich kam heraus, aufgeregt und eilig.

      „Kinder, ich muß in den Verlag“, sprudelte er hervor, „sie wollen persönlich mit mir verhandeln. Paßt auf, sie nehmen sie!“

      „Hast du nicht Kolleg?“ fragte Leo hinterlistig-bieder.

      „Na, das geht ja wohl vor“, rief Ulrich. Er hatte noch keine seiner zahlreichen Arbeiten an den Mann gebracht und war begreiflicherweise empfindlich, wenn jemand deren Wichtigkeit anzweifelte. Leo tat das mit Vorliebe. Sie hasteten weiter. An der Uni schwenkte Ulrich ab, er sah noch Helgas Pelzjacke im Strom der Studenten verschwinden. Einen Augenblick stand er still und überlegte – war er nicht ein bißchen zu salopp angezogen? Dann aber setzte er sich entschlossen in Marsch.

      Das Verlagshaus war groß und gediegen. Ulrich mußte in der Diele warten und blätterte in den Zeitschriften, die auf einem Tischchen auslagen. Wie beim Zahnarzt, dachte er. So ähnlich war ihm auch zumute. Dann aber bat ihn ein kleiner, sehr höflicher Mann einzutreten, und nahm selbst hinter einem riesenhaften Schreibtisch Platz. „Sie kommen wegen der ‚Reiterin in der Heide‘ für unsere Monatshefte“, sagte der kleine Mann und schichtete einige Manuskripte um, die sich vor ihm türmten. „Wie gesagt, sie gefällt mir ausgezeichnet.“ Ulrich strahlte und fand ihn nicht mehr komisch.

      „Aber sie ist zu groß für uns.“

      „Wieso?“ fragte Ulrich töricht.

      „Zu umfangreich, zu lang“, erläuterte der Kleine. „Sie müssen sie kürzen.“

      „Das geht nicht“, warf sich Ulrich in den Kampf. Er war entschlossen, jedes seiner hundertmal überlegten und gefeilten Worte bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Wenn dieser Herr seine „Reiterin“ ausgezeichnet fand, mußte er sie auch nehmen, wie sie war.

      „Tja, das sagen die Herren Autoren immer. Aber glauben Sie mir...“ Er blätterte virtuos eine Nummer der Monatshefte auf, die vor ihm lag. „... der Raum ist ausgerechnet. Zwölf Druckseiten höchstens. Das Manuskript ergibt... ergibt...“ Er rechnete. „Mindestens zwanzig. Das ist zuviel.“

      „Aber ich kann nicht...“

      „Doch. In der Beschränkung zeigt sich der Meister.“

      „Ich kürze nicht. Unter keinen Umständen.“

      „Dann bedauere ich aufrichtig.“ Er erhob sich, Ulrich tat es auch. Er trat an den Schreibtisch heran, sah auf seinen Gegner nieder. Etwas Flehendes kam in sein Gesicht. „Bitte...“, sagte er, und dann kam ihm ein leuchtender Einfall. „Können Sie nicht... Sie müssen dann eben die Novelle in Fortsetzungen bringen, in zwei Hälften.“

      „Das ist nicht üblich.“ Aber es klang zögernd. Ulrich merkte, daß er Boden gewann.

      „Muß man sich denn nach dem Üblichen richten?“

      „Nein, das nicht. Aber unsere Leser – man vergißt so leicht... Sie müssen bedenken, daß nur alle vier Wochen ein Heft erscheint!“

      „Aber einen Fortsetzungsroman haben Sie doch auch, sogar durch vier Hefte laufend.“

      „Das wohl...“

      Ulrich fieberte. Er mußte das Eisen schmieden, solange es warm war. „Ich finde, die Novelle eignet sich prachtvoll als Fortsetzungsgeschichte. Wenn man an der Stelle abbricht, wo Leonore – wo es gerade so spannend ist, im fruchtbaren Moment sozusagen...“ Er hatte das Manuskript erspäht und blätterte es eifrig auf. „Hier, sehen Sie!“ Er fühlte ordentlich, wie die Entscheidung auf Messers Schneide stand. Kaum konnte er Atem holen. Der Gewaltige – jetzt wirkte er plötzlich gewaltig, so klein er war – sah auf den Bogen herunter, den Ulrich herausgenommen hatte, überlegte. Ulrich fühlte alles Blut zum Herzen strömen – er hatte gewonnen!

      „Also gut. Allerdings...“

      Es sauste und brauste um Ulrich. Er lächelte entspannt und nicht sehr intelligent.

      „Bitte, was ist noch?“ fragte er erschöpft.

      „Sie müßten darauf eingehen, daß ich Ihnen nur die Hälfte des Honorars zahle, sozusagen, also quasi das Honorar für das eine Heft, und den Schluß honorarfrei bringe. Ich kann es sonst nicht verantworten.“

      „Bitte. Natürlich“, sagte Ulrich. Er wäre auf ganz andere Bedingungen eingegangen.

      „Das macht dann ungefähr – ungefähr...“