Lise Gast

Josi und ihre Freunde


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und?“ fragte Ulrich.

      „Verstehst du das denn nicht? Josi war bei euch, immer. Damals backte sie weiter, und ich, ich wurde als Besuch behandelt. Und jetzt tippt sie deinen Roman ab.“

      „Ja, aber Helga – das wollte sie doch...“

      „Natürlich. Aber ich?“

      „Was hast du denn damit zu tun?“ fragte er langsam. Er begann etwas zu ahnen.

      „Gar nichts. Das ist es ja. Du hättest ja auch mich bitten können“, sagte sie. Nun war schon alles gleich, fand sie. Ulrich begriff endlich, es verschlug ihm den Atem.

      „Ist es – wegen Josi?“ fragte er. Helga sah ihn einen Augenblick an, ihr Gesicht war nahezu fassungslos. Er hatte sie noch nie so gesehen.

      „Aber Helga, nein, bist du dumm!“ stammelte er dann und umfaßte sie. Sie ließ die Stirn an seine Schulter fallen.

      Er gehörte ihr doch, er gehörte doch zu ihr, sie fühlte es auf einmal deutlich. Nicht zu Josi, zu ihr. Daß er das alles noch wußte, daß er es ihr darbrachte: Sieh, ich habe es für dich bewahrt. Sie stand ganz still und fühlte seinen Arm um ihre Schultern liegen, erst nach einer Weile sprachen sie weiter. Es war sehr schwer, jetzt die richtigen Worte zu finden. In beiden zitterte die Angst, den andern zu erschrecken, zu verprellen.

      „Wenn mein Roman erst gedruckt ist“, sagte Ulrich. Sie nickte. „Er wird bestimmt angenommen. Und du kommst doch Silvester zu uns?“ fragte er noch.

      „Ja, selbstverständlich. Und du – und ihr – zu uns, vorher. Weißt du, Mutter findet das bestimmt sehr nett von sich.“ Sie zog mit der Fußspitze Striche auf dem Boden entlang.

      „Du nicht?“ fragte er vorsichtig.

      „O ja, ich auch. Nur...“ Schon wieder waren Zweifel in ihr, kaum daß er die Arme von ihr genommen hatte. Warum küßt er mich nicht? Hat er Angst, jemand könnte kommen, oder...

      Er dachte dasselbe. Aber was war er denn? Der Roman war ja noch nicht angenommen, und es gibt auch Zufallstreffer. Ein einziger Erfolg war ja noch kein Wechsel auf die Zukunft...

      „Komm, ich muß gehen“, sagte schließlich Helga. Sie traten aus der Wärme des Stalles in die sonnenlose Schneehelle hinaus. Zwei kleine Jungen bemühten sich drüben, die Scheunenbrücke hinunterzurodeln. Aber der Schnee war zu tief. Helga sah geistesabwesend zu.

      „Hallo? Kommt ihr herein? Ulrich, Helga?“

      „Ach, ihr dummen kleinen Kerle, das geht natürlich nicht“, rief Josi und rannte in langen Sprüngen vom Inspektorhaus herüber. Hopp, sprang sie über die aufgeschaufelten Schneewälle vor dem Stall.

      „Wartet, ich schieb’ euch. Seht ihr, so geht es.“

      Die beiden Kleinen lachten und kreischten, während Josi sie über den Hof zog, in vollster Karriere. Vor Ulrich und Helga bremste sie atemlos ab.

      „Nanu? Was macht ihr denn für Gesichter? Wißt ihr überhaupt, was Großvater mir geschenkt hat? Sporen! Nein, wirklich, ich hab’ mich halb krankgelacht. Das wichtigste für meine Reitkünste! Kommt, ihr müßt sie euch unbedingt ansehen.“

      Sie ließen sich ins Inspektorhaus ziehen. Josi riß die Tür zum Wohnzimmer auf. Frau Fischer deckte gerade den Tisch.

      „Oh, wir wollen nicht stören“, sagte Helga betreten.

      „Ach, die Jungen sind auch noch nicht da“, sagte Josi und kam mit ihren Sporen an. Die „Jungen“ waren zwei ihrer Brüder, die zu Weihnachten heimgekommen waren. Ulrich sprach noch wegen Silvester mit Josi, dann gingen sie beide wieder. Josi war am Fenster stehengeblieben und sah ihnen nach. Ihr Gesicht war nachdenklich geworden.

      Sie steckt ihn richtig an mit ihrer Miesepeterei, dachte sie und fühlte einen plötzlichen Ingrimm in sich aufsteigen. Ingrimm, Helga gegenüber? Nein, es war etwas anderes, es war nicht zu greifen, aber da... Sie warf die Sporen achtlos aufs Fensterbrett und wandte sich um. Das Lachen war ihr vergangen.

      An einem regnerischen, unfreundlichen Tag im Januar fing Josi Leo im Treppenhaus ab.

      „Männe“, so nannte Frau Gieseking ihren Jüngsten manchmal noch, und Josi zuweilen auch, „kannst du nicht mal hier hereinkommen? Ich bin eingebrochen bei Sasses, und so recht wohl ist mir dabei nicht...“

      „Eingebrochen?“ fragte Leo belustigt.

      „Na ja, ich hab’ ewig geschellt, bis die Kinder schließlich aufmachten. Drinnen brüllte es, als würde eins geschlachtet, und als ich endlich reinkonnte, sah ich die Bescherung. Die Küche überschwemmt, Renate, die Kleinste – es sind zwei Jungen und ein Mädel, ich hab’ sie schon öfter gesehen –, saß mitten in der Nässe und schrie, und...“

      „Aber geschlachtet war keins?“ fragte Leo und lachte.

      „Nein. Ich hab’ also aufgewischt, und dann dachte ich, ich bleib’ lieber, bis die Mutter wiederkommt. Im Kindergarten, in den sie sonst gehen, scheint Scharlach zu sein, Jürgen sagte so etwas...“ Sie zog ihn mit sich. „Es ist sicherlich besser, wenn wir hier zu zweit hocken, meinst du nicht? Einzubrechen ist so eine Sache, ich hab’ da doch keine Erfahrung drin...“

      Leo folgte. In der Küche saßen die drei Kinder jetzt zufrieden am Tisch und malten. Josi hatte ihnen Papier und Stifte gegeben. „So was! So kleine Kinder sich selbst zu überlassen. Aber es ging vielleicht nicht anders. – Hast du heute nicht Schwimmen?“

      „Ja, ich hätte, aber ich trau’ mich nicht weg. Könntest du nicht was zu essen holen, ein paar Hefestücke vom Bäcker gegenüber? Kochen möchte ich lieber nicht...“

      Leo nickte und ging. Dann schmausten sie alle zusammen. Am Herd trockneten die Sachen von Renate, der Kleinsten, die Josi umgezogen hatte. Es war eigentlich sehr gemütlich. Gottlob war Frau Sasse, als sie heimkam, nur dankbar und fand Josi nicht eigenmächtig, daß sie sich eingemischt hatte. Sie fragte sogar, ob sie ihr einen zweiten Schlüssel geben dürfte, damit sie in Notfällen einspringen könnte. Darüber war Josi sehr froh.

      „Ich seh’ dann ab und zu nach“, versprach sie, „wenn ich zwischen den Vorlesungen mal heimkomme. Jetzt kennen mich die Kinder ja.“

      „Das kam bestimmt davon, daß du da warst“, behauptete sie, als sie neben Leo die Treppe hinaufsprang, vergnügt und sehr erleichtert, daß alles gut abgelaufen war. „Deinen himmelblauen Kinderaugen widersteht keine Frau.“

      „Auch du nicht?“ fragte er lachend.

      „Auch ich nicht.“ Sie nahm ihn um den Hals und gab ihm einen Kuß; im letzten Augenblick allerdings erschrak sie doch über ihre Kühnheit und bog ab, so daß sie immerhin nur die Backe traf. Aber sie war so froh.

      „Immer weiter, bedien dich, bitte!“ sagte er lachend. Sie wurde rot.

      „Das könnte dir so passen! Du, ich bin doch sehr beruhigt, da kann ich mich doch kümmern, bis der Kindergarten wieder aufgemacht Wird. Wie lange dauert denn Scharlach heute? Nicht mehr sechs Wochen oder acht wie früher, oder?“

      „Da mußt du Helga fragen, wozu haben wir denn eine Medizinerin im Haus. Da kommt sie übrigens grade – wie ist das, unternehmen wir heute was? So eine Lebensrettung dreier Kinder müßte eigentlich gefeiert werden!“

      Ulrich erwachte, als es schellte. Er hörte den Briefkastendeckel zufallen und etwas auf die Erde rascheln. Sollte er aufstehen? Zu oft war er enttäuscht worden. Diese blöde Warterei!

      Einmal mußte der Verlag ja antworten. Und er hatte sich fest vorgenommen, dann mit Helga zu sprechen, nicht von „verloben“ oder so was, aber es sollte klar und deutlich feststehen: Wir gehören zusammen. Deshalb...

      Mit einem Ruck, sich selbst überrumpelnd, warf er das Deckbett ab und lief hinaus. Fischte auf der Erde – dußlige Reklame, weiter nichts – und drehte sich wieder um. Da sah er noch was liegen, kleiner als ein Brief, hob es auf, ohne Hoffnung und Spannung. Gleich darauf schrie er laut, so daß Leo kerzengerade aus dem Bett auffuhr, wie der Teufel aus dem Kasten.