Daphne Mahr

Booklove


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für den Boden. Es soll richtig magisch wirken! Die Leute müssen in den Augen geblendet werden, wenn sie vorbeigehen. Ja, das kommt eher hin. Noch mehr! Ach nein, jetzt hast du das Bild verrückt. Man muss Phil und Esmeralda sehen können!« Seine Stimme drang dumpf durch die Scheibe hindurch. Er stand draußen auf der Straße, obwohl es in Strömen regnete. Sein graues Sakko war schon ganz nass und einzelne Regentropfen hatten sich in den Stoppeln seines hellbraunen Dreitagebarts verfangen.

      Ich seufzte und zog eine Grimasse.

      Pa tat, als würde er meine miese Laune gar nicht wahrnehmen, und rückte die runde Brille, die ihn immer ein bisschen wie eine Eule aussehen ließ, zurecht. »Karottenzwerg, ich mach das doch lieber selbst. Bau bitte die Stühle auf, da kann man nichts falsch machen.«

      Das war der Grund, weshalb ich lieber nicht in der Buchhandlung aushalf. Was hatte ich denn, bitte schön, falsch gemacht? Als ob man mir nur Aufgaben für Kleinkinder zutrauen könnte. Außerdem verabscheute ich es, wenn Pa mir diesen absolut belämmerten Spitznamen gab, den mir der orange Flaum eingebrockt hatte, der mir als Baby auf dem Kopf gewachsen war. Karottenzwerg. Den würde ich wohl nie wieder loswerden.

      Ich schnaubte und ließ die Hand energisch in dem Eimer voll Glitzerkonfetti versinken, wodurch er links und rechts überquoll. Dann stand ich so rasch auf, dass ich dabei mit dem Hinterkopf gegen den aufgeklappten Schaufensterrahmen donnerte. Erschrocken trat ich in den Glitzerkonfetti-Eimer und rutschte aus. Um das Gleichgewicht zu halten, ruderte ich noch eine Weile mit den Armen in der Luft herum, doch es war längst zu spät. Ich plumpste mit voller Wucht rücklings auf den Bestsellertisch hinter dem Schaufenster. Die spitze Kante des neusten Thriller-Megasellers bohrte sich zielsicher in meinen Rücken, mein rechtes Bein schoss reflexartig in die Luft und der Eimer wurde einmal quer durch den Verkaufsraum gekickt. Na super. Damit war mein Höchstmaß an peinlichen Aktionen in der Öffentlichkeit für die nächsten paar Jahre hoffentlich endgültig erreicht … Wäre ja eigentlich alles nicht weiter tragisch gewesen, hätte sich nicht das ganze Glimmerkonfetti über mich, die Bücher und den Boden verteilt. Beziehungsweise … wäre der Eimer nicht mitten auf dem Kopf eines alten Mannes gelandet, der eben neben die Kasse getreten war und sich eines der Zitronenbonbons, die dort in einem bauchigen Glas standen, in den Mund geschoben hatte. Zum Glück trug dieser Opa einen schwarzen Hut in Melonenform, so war er wenigstens ein kleines bisschen vor dem unerwarteten Wurfgeschoss geschützt. Es klapperte gewaltig, als der Eimer auf den Boden fiel, dort noch eine winzige Drehung vollführte und schließlich bewegungslos liegen blieb.

      »Nanu?« Der Opa hob eine seiner dichten Brauen.

      Wenige Sekunden später kam Pa zur Tür hereingestürmt.

      Ich warf ihm einen unschuldigen Blick zu und pustete mir eine rote Haarsträhne, die sich aus meinem Flechtzopf gelöst hatte, von der Stirn. Ich wagte es nicht, mich auch nur einen winzigen Zentimeter vom Fleck zu rühren, denn ich konnte genau fühlen, wie sich der harte Buchdeckel des Thrillers unter mir immer mehr verbog. Bestimmt war es besser, wenn Pa davon erst mal nichts erfuhr. Seiner Gesichtsfarbe nach zu urteilen, stand er auch so schon kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

      Er wandte sich an den alten Mann. »Entschuldigen Sie vielmals! Meine Tochter hilft aus, und sie ist wahrscheinlich der größte Tollpatsch, den die Welt jemals zu Gesicht bekommen hat. Haben Sie sich verletzt?«

      »Ach was.« Der Opa schnippte ein Konfetti von seiner Schulter. »Ich finde, sie kann ruhig häufiger aushelfen. Ich bin ein großer Freund der Slapstick-Kunst im Stil des einzigartigen Charlie Chaplin.«

      Slapstick-Kunst? Charlie Chaplin? Was quasselte der denn für seltsames Zeug? Und so was musste ich mir von einem Kerl anhören, der mit seinem schwarzen Mantel aussah, als wäre er geradewegs dem neunzehnten Jahrhundert entsprungen! Warum trug der überhaupt mitten im Sommer einen Mantel? Ich war mir ganz sicher, ihn noch nie zuvor in der Buchhandlung gesehen zu haben. Seine schneeweißen Haare reichten bis knapp über die Ohren, wo sie sich zu dünnen Locken kringelten, und seine Oberlippe wurde von einem beachtlichen Schnauzbart geziert, der sich seitlich links und rechts zu zwei abstehenden Schnecken kräuselte. Am auffälligsten war jedoch das eigenartige Monokel, das er soeben aus der Brusttasche seines Mantels zog und sich mit einem komischen Brummgeräusch vor das linke Auge schob.

      Wer trug denn im einundzwanzigsten Jahrhundert noch ein Monokel?

      Aber der Kerl schien sich damit keineswegs seltsam vorzukommen. Er trat näher an mich heran und beäugte mich durchdringend durch das Glas. »Uns steht ein großer Abend bevor. Nicht wahr?«

      Endlich schaffte ich es, mich aus meiner Schockstarre zu lösen. Während ich vom Bestsellertisch kletterte, ließ ich das zerquetschte Buch mit einem geschickten Handgriff hinter meinem Rücken verschwinden und setzte dazu an, etwas zu sagen, aber meine Zunge war wie gelähmt. Ich brachte keinen Ton heraus.

      Der Mann schien keine Antwort zu erwarten. »Ein wirklich, wirklich großer Abend«, murmelte er leise. Noch mitten im Sprechen machte er sich auf den Weg zur Tür. Bevor er den Laden verließ, nahm er seinen Hut ab und deutete eine leichte Verbeugung in meine Richtung an. Dann verschwand er schnellen Schrittes auf die Straße. Ich konnte ihn nur noch wie einen dunklen Schatten am Schaufenster vorbeihuschen sehen.

      Ich drehte mich zur Kasse, hinter der Pa so tat, als sei ihm nichts aufgefallen. Kein Wunder, eigenartige Kunden waren für ihn Alltag. Da musste man nur mal an die Spinatwachtel denken.

      Pa summte leise die Melodie von O Tannenbaum und zog frisch gedruckte Mitternachts-Trilogie-Fan-Lesezeichen aus ihrer Verpackung. Phil umgeben von lila Glitzer. Kitsch pur.

      »Kanntest du den?«, fragte ich und bemühte mich, den krumm gebogenen Thriller hinter meinem Rücken zu verstecken.

      Pa sah von den Glitzerlesezeichen auf. »Nein, Karottenzwerg. Aber er schien sich für die Lesung heute Abend zu interessieren.«

      »Der Typ war mindestens achtzig«, wunderte ich mich. »Seit wann lesen alte Opas Romane für Teenies?«

      »Ach was.« Pa zuckte die Schultern. »Manche Geschichten sind in jedem Alter schön zu lesen. All Age.« Offenbar war er jetzt mit der Position der am Kassentisch aufgefächerten Lesezeichen zufrieden, nachdem er sie mindestens zehnmal von links nach rechts gerückt hatte.

      Er ging zum Schaufenster und sein Gesumme wechselte zu Hänschen klein. Bei jedem seiner Schritte drehte ich meinen Oberkörper mit. Wie sollte ich dieses doofe Buch bloß wieder loswerden?

      »Kümmerst du dich jetzt um die Stühle?«, erinnerte Pa mich an meine eigentliche Aufgabe. »Und das Glitzerkonfetti muss auch vom Boden gesaugt werden.«

      Das war die Lösung. Der Staubsauger! Ich nickte schwach und machte mich rückwärts auf den Weg in das kleine Büro hinter der Kasse.

      Pa sah mich verwundert an. »Denkst du nicht, dass es schneller geht, wenn du dich umdrehst?«

      »Äh, das Schaufenster wird wirklich schön«, lenkte ich ab und setzte das fröhlichste Lächeln auf, das ich draufhatte. »Aber guck mal, Vinzenz geht’s wohl nicht so gut.«

      Der kleine Pappaufsteller mit Oberbösewicht Vinzenz lag umgekippt neben Phil und Esmeralda.

      »Oh!«, rief Pa. Er ließ sich wirklich leicht auf andere Gedanken bringen, das war gut. Sofort widmete er sich dem armen Vinzenz und kümmerte sich nicht weiter um mich.

      Ich erreichte den Kassentisch, wirbelte herum und verschwand mit einem Affentempo im Büro.

Zwei

      »Ich zittere jetzt schon vor Aufregung.« Leona hielt mir ihre ausgestreckte Hand mit den abgeknabberten, schwarz lackierten Fingernägeln unter die Nase. »Ist das ein Traum? Schlafe ich noch? Emma, zwick mich mal.«

      Es war kurz vor achtzehn Uhr, wir hatten es uns in der letzten Stuhlreihe gemütlich gemacht. Zwei Stunden hatte ich gebraucht, um den Raum für heute Abend in Schuss zu bringen. Hin und wieder