dabei geholfen, nicht mehr an den Thriller denken zu müssen. Wirklich widerlich, was man in so einem Staubsauger alles findet – von rosaroten Kinderhaargummis, halbgelutschten Pfefferminzbonbons bis zu Giacomo Casanovas Hundehaaren. Und neuerdings eben auch einen verbogenen Thriller. Mein Plan lautete, Pa zu erzählen, Philippa hätte das Buch versehentlich aufgesaugt. Das hätte zwei Vorteile mit sich gebracht: erstens Ärger für Philippa (die konnte ich sowieso nicht leiden), zweitens keinen Ärger für mich. Allerdings waren mir, noch während ich mit den Händen in diesem superekeligen Staubhaufen gewühlt hatte, bereits die ersten Zweifel gekommen. Wirklich glaubwürdig klang das alles ja nicht gerade, denn wie sollte der fette Schinken durch das Saugrohr gepasst haben …? Blöderweise blieb keine Zeit, den Plan zu perfektionieren. Mit jeder verstreichenden Minute wurde die Anspannung größer. Um in Ruhe letzte Vorbereitungen für die Veranstaltung treffen zu können, hatte Pa vorübergehend den Laden geschlossen. Doch jetzt war es fast achtzehn Uhr. Bald würde die Menschenmasse, die sich bereits den halben Nachmittag draußen auf der Kopfsteinpflasterstraße vor dem Eingang tummelte, hereinströmen.
»Nein, Leo, das ist die Realität«, brummte ich genervt. Sie erzählte mir jetzt bestimmt schon zum hundertsten Mal, wie aufgeregt sie war. »Und wenn nicht, dann ist es ein Albtraum. Mein Tag war der absolute Horror. Mir tut jetzt noch alles weh!« Ich rieb mir den Rücken dort, wo ich beinahe von dem Thriller gepfählt worden war. Bestimmt prangte an dieser Stelle bereits ein blauer Fleck in der Größe einer Wassermelone.
Leona schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. Sie trug ihre rabenschwarz gefärbten Haare heute zu einem knubbeligen Dutt hochgesteckt, aus dem links und rechts einzelne Strähnen ragten, und blinzelte mir durch die Gläser ihrer eckigen Brille mit den breiten Rändern entgegen. Wie immer wurden ihre smaragdgrünen Augen von einem dicken, schwarzen Kajal umrahmt, seit ein paar Wochen durchlebte Leona nämlich ihre »schwarze Phase«. So nannte Pa das zumindest jedes Mal, wenn er sie zu Gesicht bekam. Es bedeutete nicht nur, dass Leona sich schwarz schminkte, sondern auch nur noch schwarze Kleidung trug. Heute war es ein pechschwarzes Kleid, das bis knapp über die Knie reichte. Ihre Füße steckten in plumpen Doc Martens mit rosa Blümchenaufdruck, der einzige Farbklecks an ihrem Outfit. Sie sah ein bisschen aus wie Grufti-Schneewittchen.
»Hast du den ersten Band dann doch noch bis zum Ende gelesen?«, lenkte Leona ungerührt von meiner Verletzung ab und schob sich dabei einen Kaugummi in den Mund. Ein erfrischender Pfefferminzgeruch verbreitete sich. Das bisschen Mitleid, das sie eine Sekunde gezeigt hatte, war wohl schon wieder verflogen.
»Die Frage meinst du wohl nicht ernst?« Ich gähnte demonstrativ.
»Eigentlich schon.«
»Du weißt doch, dass ich den ersten Teil abgebrochen habe, als Esmeralda im Ententeich mit Phil geknutscht hat. Ich wusste bereits vier Kapitel früher, was aus den beiden wird. Und ich hasse es, wenn Storys so vorhersehbar sind.«
»Du kannst das gar nicht wissen, weil es noch nicht mal am Schluss von Band zwei geklärt wurde«, entgegnete Leona. »Wir erfahren es erst heute. Außerdem war es ein Badeteich!«
Sie pustete eine Kaugummiblase und ließ sie mit einem lauten Knall wieder platzen.
»Dann verrate ich es dir gerne schon einmal.« Ich lehnte mich lässig zurück und sah meiner Freundin direkt in die Augen. »Esmeralda und Phil werden nach Möglichkeit A: heiraten, natürlich erst, nachdem sie herausgefunden haben, dass doch auch Esmeralda durch den Zeitschrank gehen kann, weil die Zeitreisefähigkeit bei zu viel Körperkontakt ansteckend wirkt und sie in der Lage ist, eine umgedrehte Zeitschleuse zwischen dem einundzwanzigsten und dem neunzehnten Jahrhundert zu öffnen. Oder Möglichkeit B: gemeinsam durchbrennen, weil Phil dem Streit mit Vinzenz entkommen möchte. Möglichkeit B hat allerdings dann auch wieder Möglichkeit A zur Folge. Es besteht aber auch noch eine winzige Chance auf Lösung C: Sie sterben. Mein Favorit, dann gibt es nämlich sicher keine Fortsetzung. Passiert aber leider nicht, weil es ein Happy End geben muss.«
»Schwachsinn.«
»Du wirst schon sehen. Vielleicht bekommt Esmeralda aber auch noch vorher ein magisches Zeitreisebaby. Das wird der Protagonist vom vierten Band.«
»So ein Quatsch.« Leona stupste mich gegen die Schulter. »Esma ist fünfzehn! Und es muss sich jetzt erst einmal klären, wie die Sache zwischen ihr und dieser rätselhaften Ballbegleitung weitergeht.«
Ach ja. Das hatte ich glatt vergessen. Der miese Cliffhanger von Band zwei, bei dem Esmeralda auf einem Maskenball von einem geheimnisvollen Jungen – bei dem es sich nur um Oberfiesling Vinzenz handeln konnte – zu einem Tanz verführt worden war.
Leona hatte sich tagelang darüber aufgeregt, wie die Autorin ihren Fans so ein gemeines Ende hatte antun können, wenn sie doch genau wusste, dass die ein Jahr auf die Fortsetzung warten mussten.
»Ich hätte auch gern so ein aufregendes Leben wie Esmeralda, vielleicht sollte ich nächsten Sommer Au-pair in England werden«, schwärmte Leona weiter. Sie seufzte verträumt und knabberte am Nagel ihres Daumens, was nicht so klug war, da der Lack dadurch noch mehr bröckelte.
Ich schmunzelte. »Dann müsstest du aber erst der Schminke und den schwarzen Klamotten abschwören, sonst nimmt dich keine versnobte Adelsfamilie. Sie würden dich für eine teufelsanbetende Gruftibraut halten, die sich nachts auf Friedhöfe schleicht, um dort mit den Toten zu sprechen. Kann ja niemand ahnen, was für ein Hosenscheißer du in Wahrheit bist.«
Ausgerechnet in diesem Moment betrat Pa den Raum. Er musterte mich mit kritischer Miene, und es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, weshalb er so übertrieben streng guckte, obwohl er ganz genau wusste, dass Leona und ich nur miteinander herumalberten. Er war nicht alleine.
Das Erste, was ich von ihr wahrnahm, war ein pudriger Rosenduft, der sich innerhalb kürzester Zeit im ganzen Raum verbreitete. Ich kannte dieses Parfum von meiner Oma Frieda. Offenbar hatte Hannah Ruderer eine Vorliebe für Alte-Frauen-Parfums. Seltsam für jemanden, der aussah wie Mitte dreißig, romantische Schnulzen schrieb und dann auch noch einen derartig wild gemusterten Blazer über einer knallpinken Bluse mit weißen Tupfen trug. Minnie Maus wäre bestimmt vor Neid erblasst!
Ich konnte fühlen, wie sich Leonas gesamter Körper neben mir anspannte.
Hannah Ruderer stand direkt hinter Pa und hielt einen nagelneuen Mitternachtsroman in ihren Händen. Sie drückte das Buch so fest gegen ihren Oberkörper, als hätte sie Angst, es würde jede Minute runterfallen. Dabei musterte sie uns neugierig mit ihren dunkelbraunen Augen.
»Sind das die Mädchen, Cornelius?« Ihre Stimme hatte einen zuckersüßen Klang. Viel zu süß für meinen Geschmack. Wie jemand, der davon ablenken möchte, dass er eigentlich irgendeinen ganz bösen Plan verfolgt. Das machte mich sofort misstrauisch.
Wieso nannte sie Pa überhaupt ›Cornelius‹? Normalerweise taten Geschäftskontakte das nicht. Und wieso hatte er ihr von Leona und mir erzählt? Obwohl sich natürlich eigentlich viel mehr die Frage stellte, was Pa ihr gesagt hatte.
Gut, was Leona betraf, gab es da schon einige Dinge, die bestimmt nützlich waren, wenn man sich bei Hannah Ruderer einschleimen wollte. Mir fielen auf Anhieb hundert Sachen ein: Der größte Fan, den die Welt jemals gesehen hat, hat die ersten beiden Bände schon so häufig gelesen, dass sie selbst nicht mehr sagen konnte, wie viele Male es nun wirklich gewesen waren, und, und, und … Aber über mich?
Pa neigte sich zu Hannah Ruderers Ohr. »Ja, jetzt lernst du meine Emma kennen.«
Huch. Was hatte das denn zu bedeuten? Vermutlich hätte ich dieses Getuschel gar nicht hören sollen, so verschwörerisch klang es. Doch Heimlichtuerei war noch nie Pas Stärke gewesen. Schon als Vierjährige war mir keines seiner Geheimnisse entgangen, weshalb Weihnachten, Ostern und meine Geburtstage immer ein bisschen langweilig gewesen waren. Auf der anderen Seite mochte ich Überraschungen sowieso nicht.
»Wie aufregend«, machte Hannah Ruderer meine Verwirrung noch schlimmer.
Im Gegensatz zu Pa versuchte sie gar nicht erst zu flüstern. Ihr Blick durchbohrte mich, als wäre ich ein besonders wertvoller Gegenstand – zum Beispiel die letzte Zitrone auf Erden, die sie sich dringend in