Ian Hamilton

Der schottische Bankier von Surabaya


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      Ava schwieg einen Moment. »Lourdes hat mir von der Lebensmittelvergiftung erzählt«, sagte sie dann so beiläufig wie möglich.

      »Das war nichts weiter.«

      »Ich finde es ungewöhnlich, dass du das so häufig hast.«

      »Ich muss aufhören, dieses Billig-Sashimi zu essen.«

      »Daran lag es?«

      »Jedes Mal.«

      »Du hast Geld genug, um dir tausend Mal am Tag das teuerste Sashimi in Tokio zu bestellen.«

      »Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.«

      Sie wusste, dass er damit sein wohlüberlegtes Haushalten mit dem Hongkong-Dollar meinte. »Meine Mutter würde sagen: Da ehrt jemand den Pfennig, während ihm der Taler durch die Finger rinnt!«.

      »Deine Mutter kennt eine Menge Binsenweisheiten.«

      »Das heißt nicht, dass sie nicht stimmen.«

      Er lachte. »Ich werde künftig besser achtgeben.«

      Ava legte auf. Sie war beruhigt, was sein Unwohlsein anging, zugleich aber frustriert, weil er nicht gesagt hatte, sie solle den Fall Theresa Ng ablehnen. Wo sie ihm doch die Absage in die Schuhe hatte schieben wollen. Nun würde sie darauf bauen müssen, dass Theresa nicht genügend weitere Klienten zusammenbrachte.

      5

      IHRE MUTTER WAR KAUM ERWACHT, als Ava sie anrief. Ihre Stimme klang kehlig, kratzig. »Ich habe bis heute früh um sechs Mah-Jongg gespielt«, sagte Jennie.

      »Wie viele Stunden am Stück waren das?«, fragte Ava.

      »Nicht so viele. Wir haben um zwei eine Pause eingelegt und sind ins Big Mouth Kee gegangen, um gebratene Nudeln zu essen.«

      »Soll ich dich lieber später noch mal anrufen?«

      »Worum geht’s?«

      »Um Theresa.«

      »Nein, nein, lass mal. Erzähl mir jetzt gleich, wie du dich entschieden hast.«

      Ava konnte sich nicht erinnern, wann ihre Mutter das letzte Mal so erpicht darauf gewesen war, so früh am Morgen über irgendetwas zu reden. »Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich habe mit Onkel gesprochen, und er sagt, er habe kein Interesse daran, drei Millionen Dollar nachzujagen.«

      »Ava!«

      »Warte, Mummy, flipp nicht gleich aus. Es ist nicht so, wie es scheint.«

      »Wie ist es dann?«

      »Weißt du, uns kostet es gleich viel Geld und Zeit, drei Millionen nachzujagen wie zwanzig oder dreißig Millionen. Onkel hat vorgeschlagen, dass Theresa einige der anderen Leute kontaktiert, die ebenfalls betrogen wurden, und sie dazu bringt, uns ebenfalls zu beauftragen. Wenn wir genügend Leute und eine genügend große Gesamtsumme zusammenkriegen, dann ist er einverstanden, den Auftrag zu übernehmen.«

      Ihre Mutter schwieg, und Ava wusste, dass sie innerlich kochte. Ava begriff, dass sie Theresa längst erzählt hatte, dass es beschlossene Sache war, und ihre Worte zurückzunehmen war das Letzte, was ihre Mutter wollte. »Theresa glaubt, dass du den Fall übernommen hast«, gestand Jennie ein.

      »Ich weiß nicht, wie sie darauf kommt, denn ich habe ihr keine Zusage gemacht. Und selbst wenn, bin ich doch Onkel unterstellt, und letztlich trifft er die Entscheidung.« Damit lieferte Ava ihrer Mutter den Vorwand, den sie benutzen konnte.

      »Das wird nicht leicht für sie sein, weißt du«, sagte Jennie. »Außerhalb ihrer engeren Familie sind Vietnamesen sehr verschlossen. Selbst wenn sie dich engagieren wollten, würden sie doch nicht wollen, dass alle anderen wissen, wie viel Geld sie investiert und verloren haben.«

      »Ich würde das vertraulich behandeln. Wenn es ihr gelingt, sie dazu zu bewegen, uns zu engagieren, würden wir individuelle Verträge mit ihnen abschließen. Sie würden niemandem irgendetwas offenbaren müssen.«

      »Ich spreche mit ihr.«

      »Das ist die einzige Chance.«

      »Das war überflüssig!«, fauchte Jennie.

      »Tut mir leid.«

      Jennie seufzte. »Mir auch. Sie ist einfach eine so nette Frau, und mir ist wirklich daran gelegen, dass du ihr hilfst.«

      Ava spürte, wie sich die Vorboten von Schuldgefühlen anschlichen. »Ich möchte ihr auch helfen. Also rede mit ihr und lass sie weitere Leute an Bord holen. Als ich mit Theresa gesprochen habe, hat sie gesagt, dass sie monatliche Abrechnungen von Emerald Lion bekommen hat. Die anderen müssen bloß die letzte Abrechnung mitbringen, damit ich schwarz auf weiß habe, was man ihnen schuldig ist. Ich brauche außerdem von allen ihre Bankverbindung – Name der Bank, Adresse der Zweigstelle, Kontonummer. Dann sehen wir weiter.«

      »Ich wünschte, du würdest keine weiteren Leute in die Sache hineinziehen müssen.«

      »Onkel will es so.«

      »Und du tust immer, was er will?«

      »Ja«, log Ava.

      Theresa würde mindestens einige Tage brauchen, um Kontakt zu den anderen Geschädigten aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen, und es war keinesfalls sicher, dass sie Ava und Onkel engagieren würden. Dreißig Prozent zu zahlen würde manchen von ihnen schwerfallen, auch wenn, wie Theresa gesagt hatte, siebzig Prozent von etwas besser waren als hundert Prozent von nichts.

      Onkel hatte ihr an dem Tag, an dem er sich mit ihr zusammentat, eine grundlegende Wahrheit über seine Klientel vermittelt. »Anfangs sind sie alle immer hocherfreut, dass wir ihnen helfen wollen, und sie sind bereit, fast jede Summe zu zahlen, die wir verlangen. Doch in dem Augenblick, in dem wir das Geld haben, fällt ihnen wieder ein, dass es alles ihnen gehört hat, und dann gönnen sie uns nicht einmal fünf Prozent, geschweige denn dreißig.« Aus dem Grund ließ Onkel das wiederbeschaffte Geld gewöhnlich über ihr eigenes Bankkonto laufen. Auf diese Weise konnte er das Honorar einbehalten, ehe er die Restsumme an die Klienten weiterleitete.

      Ava duschte und zog sich an. Es war fast schon Zeit fürs Mittagessen, und wo sie nun wieder in der Stadt war, verspürte sie Appetit auf Dim Sum. Sie rief Mimi an, die in fußläufiger Nähe zu Avas Apartment arbeitete, um sie zu fragen, ob sie mit ihr zusammen Mittag essen wollte. Mimi sagte, sie habe ein Lunch-Meeting bei sich im Büro, und so rief Ava bei Maria im Konsulat an, erfuhr aber, dass Maria bei einem Geschäftstermin in Oakville war, einem Vorwort im Westen Torontos. Ava hatte keine Lust auf sonstige Gesellschaft, also musste sie entweder allein Dim Sum essen oder gar nicht.

      Das Dynasty Restaurant lag in östlicher Richtung an der Yorkville Avenue, keine fünf Minuten zu Fuß von Avas Wohnung entfernt. Sie bestellte Sauer-Scharf-Suppe, Har Gau, Hühnerfüße und Tofu, gefüllt mit gedünstetem Schweinefleisch. Als sie sich der Suppe widmete, klingelte ihr Handy. Die Nummer begann mit 905, gehörte also zu einem Außenbezirk Torontos, und war Ava unbekannt.

      »Ava Lee«, sagte sie.

      »Hier spricht Theresa. Ihre Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, was Ihr Boss gesagt hat.«

      »Ja?«

      »Es ist erledigt.«

      »Es ist erledigt?«

      »Mein Bruder und ich haben einige der Leute, die wir kennen, kontaktiert, und sie haben das gleiche gemacht. Ich denke, wir haben etwa zwölf Parteien zusammen, die bereit sind, Sie zu engagieren.«

      »Auf wie viel beläuft sich die Gesamtsumme?«

      Theresa zögerte. »Das kann ich nicht sagen. Wir wollten die Leute nicht fragen, wie viel sie verloren haben. Ihre Mutter hat mir gesagt, was Sie wissen wollen, und wir haben diese Informationen weitergeleitet. Alle, die zu dem Treffen kommen, werden ihre Unterlagen mitbringen. Sie müssen die Informationen jedoch vertraulich behandeln. Das ist Ihnen klar, oder?«

      »Ich