Jack Vance

NOVA Science-Fiction 30


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heute so rühmt, ohne Beeinflussung durch die Blütezeit der klassischen arabisch-islamischen Kultur kaum denkbar gewesen. Man könnte sogar argumentieren, dass das Christentum genau das war, wovor sich die »westliche Wertegemeinschaft« heute am meisten fürchtet: eine aus dem Nahen Osten eingedrungene Import-Religion, die genuine europäische Traditionen verdrängt hat. Horst Pukallus hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass ihm Religionen, gleich welcher Couleur, grundsätzlich suspekt sind, und erklärt in der folgenden Geschichte und seiner Nachbemerkung erneut, warum das so ist. Seine Geschichte spielt vor dem Hintergrund einer viele Sternensysteme umspannenden menschlichen Nachfolgezivilisation der fernen Zukunft. Ihre Aussage ist aber eine ganz irdische: Der eigentliche Konflikt, dem sie nachspürt, ist nicht der zwischen verschiedenen Glaubenssystemen sondern zwischen geerdeter, menschenwürdiger Vernunft und irrationalem religiösem Fanatismus.

      Horst Pukallus: Das lange Jahr der kurzen Tage

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      Denn das Volk und das Reich, das dir nicht dient, geht unter; ja, die Heidenvölker werden gänzlich vertilgt.

      Bibel, Isaias 60,12

      Siehe, wir werden auf das Volk dieser Stadt Rache vom Himmel hinabsenden für ihre Missetaten.

      Koran, Sure 29,33

      Die Tage sind kurz geblieben, dachte Sedigeros Deguello, aber das Jahr ist sehr lang gewesen.

      Anders hatte es nicht sein können. Arethusa, Äquatorradius sechsunddreißigtausend Kilometer, rotierte schnell. Knapp zehneinhalb Stunden Neuer Zeitrechnung dauerte der Tag des Planeten, eines für Menschen eigentlich unwirtlichen Riesen, dessen düstergelbe, nur von Staub durchwallte, von kryophilen Organismen bewohnte Wasserstoff-Helium-Atmosphäre blaues Elektrogluten durchwetterte, die mondlosen Nächte erhellte. Eisige Sandstürme tobten über die ausgedehnten, steinigen Ebenen. Arethusa bot ausschließlich eine Attraktion: stark quarzhaltiges Erz, das die Raumfahrt für den Astro-DML-(Dunkle-Materie-Licht)-Funk brauchte. Die kurze Wellenlänge des DML, tausendmal schneller als die normale Lichtgeschwindigkeit, ermöglichte in Kombination mit der Dirac-Quantenteleportation zwischen den Sternen eine relativ zeitnahe Kommunikation.

      Das Warten hatte, indem die Spannung wuchs und wuchs, das Jahr in die Länge gezogen. Arrogant hatte die KKK per Astro-DML-Funk den Anflug ihrer zwei Megalo-Orlogiganten der Stympaliden-Klasse ein Jahr im Voraus avisiert. Sie hegte keinen Zweifel an der absoluten Überlegenheit ihrer Ideologie und ihrer Waffen. Allerdings beanspruchte die Flugzeit tatsächlich ein Jahr: Raumfahrzeuge bewegten sich trotz ultramoderner Nexutron-Triebwerke, die virtuell-artifizielle polytachyonische Singularitäten n-dimensionaler Qualität erzeugten und die Stympaliden, gelenkt durch mit Neuroakzeleratoren ausgestattete Pavian-Biotron-Piloten und Plasmacomputer, quasi phasenperiodisch durchs Raumzeit-Kontinuum forcierten, langsamer als das DML. Daher konnte eine Astro-DML-Funknachricht einem Raumschiff allemal vorauseilen.

      Aus dem Mare Solórzano, wo sich die Fokos-Schürfstätten über Hunderte von Quadratkilometern erstreckten – Roboter erledigten den Tagebau –, stieg das Erz in magnetisch zusammengeflanschten Containern per Strato-Lift bis an die Grenze zum All empor. Von dort verschoben automatisierte Effektorfeld-Bugsierer die Container-Konglomerate zu Satelliten-Sammelstellen, computergesteuerten Plattformkonstruktionen, an denen die Frachtraumschiffe der Klientel sie abholten. Gestört werden konnte diese umfangreiche Transportation nur durch Weltraumschrott, der infolge gelegentlicher, eigentlich harmloser Unfälle, die lediglich Sachschäden verursachten, in allerdings beträchtlichen Mengen entstand.

      Als die Kosmo-Katholislamische Koalition, hinter deren religiöser Fassade sich freilich nichts anderes als eine Konzernokratie verbarg, die Stellare Union mit dem Ultimatum konfrontierte, das System α Sextantis (also die Fokos-Quarz-Förderung) an die KKK abzutreten und zu diesem Zweck ein Konkordat vorschlug, oder es durch militärische Gewalt zu verlieren, auf kompromisslose Ablehnung stieß, ergaben sich aus dieser Impertinenz ernsthaft brisante Folgen. Das Empireum, der Neo-Vatikan des aktuellen Jahrhunderts, kündigte die sofortige Entsendung seiner Megalo-Orlogiganten an, Corpus Christi und Corpus Muhammad, sowie ihre Ankunft in Arethusas' Orbit. Gegen eine solche Erpressung fehlten der Union jegliche Abwehrmittel.

      Wenn ein Jahr begann, schien das Ende in weiter Ferne zu liegen. Vergleichbar verhielt es sich mit in so einem zeitlichen Abstand bevorstehenden Unannehmlichkeiten oder Gefahren. Obwohl man sie absehen konnte, nahm man sie zunächst nicht sonderlich ernst, und vielleicht erst nach Ablauf der halben Frist neigte man allmählich dazu – oder fühlte sich gedrängt –, Betrachtungen über das Unaufhaltsame und seine eventuelle Abwendbarkeit anzustellen. Dann trat erst schleichend, danach jedoch immer häufiger und unübergehbar, eine gewisse Beklommenheit ein, die sich mit der Zeit zu mehr oder weniger stetiger Beklemmung steigerte. Von da an regten sich unter den Betroffenen zusehends mehr Kräfte, die effektive Vorbeugungsmaßnahmen anstrebten. So verlief es auch in diesem Fall.

      Früh hatte Sedigeros begriffen, dass er in seiner Eigenschaft als einzig dem Ultramentalen-Komitee verantwortlicher Chefkoordinator nicht zaudern durfte, bis sich unterschwellige Panik und Ansätze zur Hysterie erkennen ließen, aber auch die Klugheit gehabt, solange Zurückhaltung zu bewahren, bis er unterscheiden konnte, welche Personen für ihn als verlässliche Verbündete taugten. Es wäre möglich gewesen, sich auf seine Weisungskompetenz zu stützen. Aber er zog es vor, wirklich Entschlossene um sich zu scharen, also Mitarbeiter, die freies Denken betrieben, die Wahrheit in den Tatsachen fanden und in Bezug aufs Handeln eher zur Besonnenheit als zum Schneid neigten.

      Er hatte sich zu der Vermessenheit verstiegen, dem Ultramentalen-Komitee und der Bevölkerung Arethusas sein Wort zu geben, dass ihnen nichts zustoßen sollte. Man vertraute ihm: Alle gingen schlichtweg ihren Aufgaben nach, während unaufhaltsam das Verderben nahte. Also durfte ihm kein Fehler unterlaufen.

      Sedigeros saß inmitten des kugeligen Zentralen Funktionsraums der in der Syrtis Sarang Singa gelegenen Kuppel Pinaret D-13 an den Ortungskontrollen der Teleanalysatoren und Neutronenspektrometer. Der Funktionsraum hing wie ein gläserner Tropfen unter dem Scheitelpunkt der Kuppel. Die Finger des Chefkoordinators blieben den in die Armlehnen des Kommandosessels integrierten Sensortasten stets nah. Lautlos huschten dezentbunte Falschfarben-Rasterdiagramme über die Bildflächen der DNS-Computer. Im Fernbereich eingesetzte Patrouillensonden beobachteten die Orlogiganten seit ihrem Einflug ins System α Sextantis und übermittelten Funkdaten an Pinaret D-13. Den Anzeigen der Computer gehörte die Aufmerksamkeit der Kalkulantin Hidden Tsunami, obschon sie die Apparate nicht brauchte. Als Mathematik-Intuitionistin hatte sie eine direkt-integrale, auf das spatiale und temporale Gefüge des Universums und seine Schwingungen eingestimmte Psyche – anscheinend befand sie sich mit dem Kosmos in einem Zustand morphischer Resonanz – und erzielte im Kopf Rechenergebnisse deutlich schneller als die Computer. Arbeitete man mit ihr zusammen, verlief alles durchschaubar, schnell und verlässlich.

      »Trotz der Bremsmanöver nimmt die Entfernung der Stympaliden zügig ab«, stellte Hidden fest. »Meines Erachtens treten sie schon in ein paar Minuten mit uns in Kontakt.«

      Vor einiger Zeit hatte sich bei Sedigeros eine ausdauernde Liebe zu Hidden festgesetzt. Leider erwiderte sie seine Zuneigung nicht, ihr fehlten die Voraussetzungen. Sie litt an Alexithymie, völliger Gefühlsblindheit. Aber Sedigeros wusste, dass wahre Liebe keine Gegenleistung einforderte.

      Die Kalkulatorin erlebte keine emotionalen Verwicklungen, während die meisten Frauen Arethusas’ sich als Doppelbräute betätigten, also zwei Männer hatten, überwiegend ohne mit ihnen zusammenzuleben. So führte Hidden auf jeden Fall ein ruhiges Dasein.

      »Welche Daten übermittelt Dagger?« Orbitalexpertin Dagger Bismillahi, eine Frau mit nahezu drakonischem Durchsetzungsvermögen, arbeitete auf der anderen Hälfte des Planeten in der Kuppelstadt Wandyssa P-19 auf dem Mons Tymbandan. »Ich gehe davon aus, dass die Stympaliden nicht gleichzeitig mit Basilisk über uns eintreffen.«

      »Die Daten ändern sich ständig, aber ich erkenne intuitiv, dass Basilisk sechs Minuten und zwei Sekunden später in Reichweite sein wird. Ist zu befürchten, dass