Jack Vance

NOVA Science-Fiction 30


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auch aus eigenem Erleben. Wer kennt sie nicht, diese Weiber, die quäken: »Aber man muss doch an etwas glauben!« An einen Aberglauben? Warum denn? Will man an etwas glauben, dann doch am sinnvollsten an sich selbst. »Die Kritik der Religion«, schrieb Karl Marx 1844, »endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« Ähnliches vertrat Ludwig Feuerbach: »Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen, so muss auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen sein.«

      Und wer kennt nicht die salbungsvollen Schwätzer, die behaupten, die Kirchen täten »doch so viel Gutes«? Aber ihre karitativen Institutionen finanziert der säkulare Staat, der Steuerzahler, und dabei beharren die Kirchen auf eigenem Arbeitsrecht – bilden einen Staat im Staate –, kassieren zusätzlich Kirchensteuer und sammeln Spenden. Sie indoktrinieren Kinder und Schüler mit erlogenem Unfug. Sollen wir dafür dankbar sein? Warum denn?

      Religionen haben nie etwas Gutes getan und tun es bis heute nicht. Schauen wir uns um. Der polnische Präsident Duda beschreit die katholische Familientradition und pöbelt, unterstützt durch faschistische Horden, gegen sexuelle und andere Nonkonformisten. In Brasilien terrorisiert die klerikalfaschistische Bolsonaro-Despotie das Land mit der neokonservativen Familie-Patriotismus-Nationalismus-Ideologie evangelikaler Kirchen – denen Bolsonaro 4,9 Millionen Euro für Medienpropaganda zugeschanzt hat –, kombiniert mit einem volksfeindlichen ökonomischen Neoliberalismus-Projekt, das auf die Atomisierung aller Sozialstaatlichkeit abzielt. Was die USA betrifft, kann Trumpelstilzchen ohne evangelikalen Hintergrund gar nicht verstanden werden. Bolivien: »Übergangspräsidentin« Jeanine Áñez – natürlich eine evangelikale Putschistin – hat, die Bibel schwingend, rechtlich gleichgestellte Ureinwohner »satanischer Riten« bezichtigt (ist aber am 18. Oktober 2020 erfreulicherweise abgewählt worden). Jahrzehntelang kannte man Indiens Hindus als friedliche Räucherkegel-Einäscherer, heute darf die Welt zusehen, wie sie Frauen vergewaltigen und anschließend verbrennen. Vermutlich war es immer so, bloß hat George Harrison es nicht mitgekriegt. Die Krawalltruppen der hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP sind so dumm, dass sie im Juni 2020 ankündigten, ein Bild des »chinesischen Präsidenten Kim Jong Un« abzufackeln, obwohl Kim Jong Un in Wirklichkeit in Korea Vorsitzender der Partei der Arbeit ist. Auch was der Islam anrichtet, ist allgemein erkennbar. Siehe Türkei, siehe Daesh, siehe Saudi-Arabien: Diktatur, Massaker, Kopf-ab-Justiz. Und selbst die Buddhisten sind dafür bekannt, dass einige Sekten mit zahllosen »Höllen« drohen, gegen die Dantes Inferno als Ponyhof gelten darf. Dankeschön. Die Beispiele ließen sich vermehren.

      Und sie alle nehmen für sich »Religionsfreiheit«, also Narrenfreiheit, in Anspruch. Warum denn? Weil ihre Schweinereien nie ein Ende haben sollen. Zumindest für die BRD kann man feststellen: Im Grundgesetz kommt der Begriff »Religionsfreiheit« nicht vor, es kennt nur eine Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG). Das heißt, jeder darf sich zu einem Glauben bekennen, aber ich darf mich auch dazu bekennen, ihn nicht zu mögen.

      Religion verdient nämlich keine Toleranz. Warum denn sollte sie? Man muss jeder Religion auf die schmutzigen Klauen hauen, wo sie sich am Leben zu vergreifen versucht.

      Um das wieder einmal zu betonen, wurde die Story »Das lange Jahr der kurzen Tage« geschrieben. Aus Feindschaft.

      Die Story hat, was eine Story braucht: Rückständige, aggressive Schurken und (auch geistig) fortgeschrittene Freiheitsfreunde (die nicht die andere Wange hinhalten). Als die klerikalen Kosmofaschos verglühen, bricht der Tag an.

      Da wird sich mancher fragen: Ist der alte Pukallus noch immer radikal? Die Leser sollen erfahren, was radikal ist. Jean Meslier, der bis zu seinem Ableben 1729 Pfarrer war, schrieb grimmig, er wünsche, »dass alle Großen der Welt und alle Adligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden sollten.« Das ist radikal.

      Dem Mann gebührt in jeder Stadt ein Denkmal.

      .

      Das gesteigerte Bewusstsein für Natur und Umwelt, das die Ökobewegung in die zeitgenössischen Debatten eingebracht hat, ist nicht ohne gewisse Naivitäten und Verniedlichungstendenzen, ein allzu idyllisches Bild der natürlichen Welt abgegangen. Wie anders ist es zu erklären, dass Berliner Zoobesucher aufrichtig entsetzt waren, als der selige Eisbär Knut, seinen natürlichen Instinkten folgend, einige in sein Gehegebecken ausgesetzte Karpfen vertilgte? Welch ein Schock müsste es für solche Leute sein, sollte ihnen jemand erklären, dass die knuffigen Eisbärenmädchen Flocke und Anori inzwischen stark und aggressiv genug sind, um einen erwachsenen Menschen mit einem einzigen Prankenhieb aller Befürchtungen um die Altersversorgung zu entledigen. Norbert Stöbe, einer unserer Stammautoren, muss solche Naivitäten im Hinterkopf gehabt haben, als er ausgerechnet dem Wappentier der Öko-Bewegung – dem Großen Panda, im realen Leben keineswegs ein Teddybär, sondern ein kraftvolles Raubtier, mit dem nicht zu spaßen ist – eine verhängnisvolle Rolle in einem versuchten Anschlag von Öko-Aktivisten auf ein chinesisches Fusionskraftwerk einräumte. US-Komikerlegende George Carlin hat sich immer wieder köstlich darüber amüsiert, mit welchem Eifer die Medien die Paarungsaktivitäten Großer Pandas in Zoos verfolgten. Ihm hätte sicher gefallen, wie sich in der folgenden Geschichte zwei brünftige Pandas auf ihre Weise gegen wohlmeinende Einmischungen von Menschen verwahren.

      Norbert Stöbe: RITA flies at 5 p.m.

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      1

      Pedro Bolivar drückte seine Nase an der Glasscheibe platt und atmete mit offenem Mund. Im großen Sitzungssaal des Kongressgebäudes wimmelte es von Aliens. Es gab große und kleine, bunte und graue, schwabblige und feste. Sie tröteten und zirpten, grunzten, kieksten und blökten. Trotz der dämpfenden Wirkung der Scheibe war ihr Geschnatter ohrenbetäubend laut. Staunend schaute er dem Spektakel zu. In der dritten Reihe diskutierte ein blauer Alien mit Trichtermund mit seinem vierschrötigen halslosen Nachbarn. Seine ovalen Augen waren so groß wie Papayas. Eingerahmt waren sie von dicken Wimpernhärchen, die in strudelnder Bewegung begriffen waren. Auf den ersten Blick klatschten die beiden einander permanent ab. Es sah lustig aus, doch es war ihre Art zu streiten. Angefeuert wurden sie von einer hinter ihnen sitzenden Fröschin mit grünem Fell und winzigen Brüsten, die von feucht glänzenden Schalen bedeckt waren. Auf dem Rücken trug sie einen flachen Tornister, von dem ein Schlauch nach vorn führte. Hin und wieder nahm sie einen Zug aus dem Mundstück und pustete sattgelben Dampf auf die beiden Kontrahenten.

      »Gib’s ihm, Alter!«, murmelte Pedro. »Zeig dem Penner, wo der Hammer hängt!« Aus irgendeinem Grund hatte er Partei für den Blauen mit dem Trichtermund ergriffen. Dann wurde er abgelenkt: Eine Art Wurm mit vier Beinen und zwei Armen kroch aufs Podium. Am Rednerpult richtete er sich auf und fuhr einen halben Meter weit den Kopf aus. »Aawrkud«, wurde hinter ihm angezeigt, »Vertreter von Pbsmiftz.« Er stützte die Arme aufs Pult, schaute auf seinen Text nieder und …

      »Verflucht noch mal, zieh die verdammte Brille aus!«, sagte jemand hinter Pedro. Er riss sich die AR-Brille vom Kopf und fuhr herum. Vor ihm stand Luiz Sardo, der Vorarbeiter des Reinigungstrupps. Sein Gesicht war so braun wie Tabaksaft, sein Grinsen schadenfroh. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass die Dinger bei der Arbeit verboten sind?«, blaffte Luiz. »Und nach der Arbeit will ich deine Pisse haben. Heute ist für dich Drogentest angesagt, und wenn der Detektor anschlägt, weißt du, wo du dir deine Papiere abholen kannst.«

      »Si, Señor«, sagte Pedro mit niedergeschlagenem Blick. »Kommt nicht wieder vor, Señor.« Er klappte die Brille zusammen und schob sie in die Tasche. Luiz mochte es, wenn ihm die Leute in den Arsch krochen. »Und der Test? Ich meine, muss der sein, Señor? Bitte?«

      »Wir werden seh’n«, sagte Luiz und entfernte sich mit selbstgefälligem Lächeln.

      Pedro blickte ihm hinterher. Er war auf den Job angewiesen, denn er wohnte außerhalb der Kuppel, und seine Klimaanlage war defekt. Eine neue konnte er sich nicht leisten, außerdem war der Strom kaum noch bezahlbar.