Jack Vance

NOVA Science-Fiction 30


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begehrte Fokos-Quarz, ohne dass es sie viel kostete, ihr jedoch für die Zukunft enorme Gewinne verhieß, sicherte er sich endlich die seit Langem ausstehende Beförderung zum Admiral.

      Der Chefkoordinator hätte L’Edefere entgegnen können, dass die Arethuser sich nicht als ›Entartete‹, sondern als Zetetiker verstanden. Aber er hielt es, um Zeit zu gewinnen, für angebracht, über etwas zu reden, was den Konteradmiral-Imam interessierte. Noch vier Minuten fünfundvierzig Sekunden.

      »Bitte erklären Sie mir die Lage, Exzellmir.«

      »Alles ist ohne Weiteres verständlich. Falls Sie nicht kapitulieren, sind Sie Kandidaten fürs Jenseits. Dann wenden wir unsere Universaldestruktoren an. Sie verfallen der Ekpyrosis, dem Kristalltod, werden verbrannt und zu Dschehannam versammelt.« Sedigeros verstand, was er meinte: Die Destruktorwaffe funktionierte durch zerfallsaktive Mineralien, deren Strahlen Organismen in Asche verwandelten. Leben verwehte in Wolken glutheißen Staubs. »Danach setzen wir die Akindschi ab.« Diese Söldnertruppe diente der KKK auf Provisionsbasis. »Auf diesem Wege machen wir Arethusa zu unserem Protektorat, so Gottallah will.«

      Der Interkom-Apparat blinkte. Sedigeros’ Zeigefinger streifte eine Sensortaste. Auf einem gesonderten Laufschriftband des Monitors erschien Dagger Bismillahis Mitteilung, dass Basilisk in den vergangenen Minuten die Kuppelstädte M’bete Okeke L-27, Anakena Ekiti M-08 und Obdorsk E-21 überflogen hatte, sich also rasch näherte. Noch 3 Minuten 59 Sekunden.

      »Will Gottallah es denn? Sie hätten keine Bedenken, Exzellmir, für Ihre Bestrebungen eine große Anzahl unschuldiger Menschen hinzumorden?«

      »Glauben Sie mir, dass solche Entschlüsse nicht leicht gefällt werden. Ich habe zu Gottallah gesprochen und gefleht: Herr, erlaube mir die Sünde. Es sind doch Apostaten. Und Sein Schweigen besagte mir Zustimmung.«

      »Das Ganze klingt mir, um ehrlich zu sein, nach einer Kannibalenhumoreske.« Es galt, Zeit zu schinden. »Exzellmir, Sie haben das Jenseits erwähnt. Stellen wir uns einmal vor, Ihre Waffen töten mich, und wir sehen uns dort wieder. Könnte das nicht problematisch sein?«

      »Nein, überhaupt nicht. Dann werden Sie mir nämlich durch Gottallahs Gnade aus übergroßem Entzücken längst verziehen haben.«

      »Darin sehe ich eine kühne Aussage, zumal Sie mich kaum kennen. Vielleicht bin ich gar nicht so versöhnlich. Bisher wüsste ich keinen Grund, um zu Ihnen eine gütliche Haltung einzunehmen. Ob mit oder ohne Gottallahs Billigung, Sie beabsichtigen Raubmord. Halten Sie sich denn für unfehlbar?«

      »Unfehlbar ist nur Gottallah.«

      »Wenn Sie fehlbar sind, können Sie sich irren.«

      »Ich kann mich nicht irren, weil ich im Namen Gottallahs spreche.«

      »Sie tun mir leid. Der Autoritäre ist immer ein verkümmerter Rebell. Vielleicht hatten Sie einmal die besten Ansätze.«

      »Was für ein Unfug. Dann müsste der Rebell ja der verhinderte Autoritäre sein.«

      »Keineswegs. Er ist die künftige Autorität. Nebenbei: Wir sind keine Rebellen. Wir verkörpern eine Gemeinschaft, die auf Eigenständigkeit pocht. Also Freiheit.«

      »Wissen Sie, welchen Rat für uns in einem derartigen Fall die Genesis enthält?«

      »Nein, Exzellmir. Aber ich möchte es durchaus erfahren.« Zwei Minuten achtunddreißig Sekunden.

      »›Lasst uns den Träumer erschlagen, und wir werden sehen, was aus seinen Träumen wird.‹ Denn afflabit Deus, et dissipabuntor. Genau das ist es, worum unser Gespräch sich dreht.«

      »Ach ja, Deus providebit.« Sedigeros merkte, dass L'Edefere stutzte. Vermutlich hatte er nicht angenommen, dass sein Verhandlungspartner Altsprachen beherrschte. Flüchtig lenkten Donnerschläge Sedigeros ab. Arethusas' kurze Tagesdauer entfesselte heftige atmosphärische Turbulenzen, weil Luftmassen unterschiedlicher Temperatur in ihrem Umwälzungsprozess nie zur Ruhe kamen und in der Folge häufig elektrische Großentladungen entstanden. (Darum krönte ein Kranz aus Blitzableitern und Antistatikfeld-Projektoren jede Kuppelstadt.) Das Gleißen grellen Gewitterns, Gespinsten ähnlich, zerriss die minus hundertdreißig Grad kalte Winternacht. Mit schroffem Prasseln zerschellten dicke Tropfen Methanregens an der metalloiden, molekularflexiblen Wandung des Gebäudes. »Ich habe den Eindruck, Sie sprechen nur für sich, Exzellmir. Allerdings findet zwischen uns und der KKK eine gefährliche Konfrontation statt. Erübrigen Sie kein Bedauern für die Menschen und sonstigen Lebewesen, die Ihrem Befehl unterstehen?«

      L’Edefere schmunzelte geringschätzig. »Soll das eine Drohung sein? Was haben Sie bloß vor, Chefkoordinator?«

      »Also wirklich, Götterliebling: Wenn Sie das Ende vorzeitig erfahren, wie könnten Sie dann verstehen, was geschieht?«

      Der Konteradmiral-Imam wölbte die Brauen. »Und was sollte geschehen, außer dass Sie sich unterwerfen?«

      »Es heißt doch im Buch der Sprüche: ›Der Frevler Weg ist wie finstere Nacht, sie wissen nicht, woran sie scheitern werden.‹ Gibt Ihnen das nicht zu denken?«

      Sichtlich ärgerte es L’Edefere, von Sedigeros Zitate aus den eigenen folkloristischen Dienstanweisungen zu hören. In plötzlicher Nervosität zupfte er an seinen Pleureusen.

      In diesem Augenblick verließ Basilisk den Planetenschatten. Die Drohne hatte die Beschaffenheit eines Zykloden von ungefähr zweihundert Meter Durchmesser. Noch zweiunddreißig Sekunden.

      Sedigeros sah L’Edefere den Kopf zur Seite drehen. Auf einmal gellten im Hintergrund Alarmsignale. Anscheinend hatten die Instrumente der Stympaliden die Drohne erfasst. Vermutlich versuchten die Pavian-Piloten nun Ausweichmanöver einzuleiten, indem sie ihre mit der plasmatronischen Sensorsteuerung gekoppelten Neurochips benutzten, um die Reaktionen der Präventiv-Reflexautomatiken zu beschleunigen.

      »Was ist das für ein absurdes Gebilde?« Verkniffen starrte L’Edefere in die Optik. Seine Stimme klang äußerst gereizt. »Hat der Gesteinigte Satan es geschissen?«

      Sedigeros hatte genug von seinem kurios-spiritistischem Gerede. »Ich kann Ihnen bestätigen: Gewisse Entschlüsse werden nicht leicht gefällt. Das ›Gebilde‹ ist die Satellitendrohne Basilisk. Um einen störungsfreien Ablauf des Quarztransports zu gewährleisten, ist sie mit Impulskonzentratoren ausgerüstet, deren Stoßwellen Orbitalschrott vernichten. Für Basilisk gehören Ihre Raumschiffe in diese Kategorie.«

      Mit einem Mal wirkte L’Edeferes Gesicht kalkig. »Hören Sie zu, Chefkoordinator … Vielleicht ist ja doch eine Einigung möglich, so Gottallah will. Beachten Sie, wir haben vieles zu bieten. Gottallah schenkt durchaus den Lohn dieser Welt.«

      »Der Tod nimmt keine Geschenke an.«

      L’Edeferes Bild zerstob. Sedigeros’ Gemüt verharrte in einem Zustand ungewohnter Härte und Kälte, von dem er sich wünschte, ihn nie, nie wieder erleben zu müssen, während die beiden Megalo-Orlogiganten in einem gewaltigen grellweißen Feuerball verglühten und ein riesenhafter Schwaden bald rötlichen Funkenflugs sich in Arethusas’ Orbit ausbreitete wie eine Siegesfahne.

      Am Horizont der Syrtis Sarang Singa zeichnete sich fahle Dämmerung ab. Das Jahr ist lang gewesen, dachte Sedigeros. Aber die Tage bleiben kurz. Guten Morgen, Basilisk.

      Nachbemerkung des Autors

      Eine Erläuterung zur Story »Das lange Jahr der kurzen Tage« zu verfassen, ist einfach. Die antiklerikale Tendenz ist offenkundig. Wer mich kennt, weiß genau, dass ich ein entschiedener Gegner aller Religionen und ihrer Organisationen bin. Wenn ich sie thematisiere, kann ich ein Zitat des bedeutenden Kirchenkritikers Karlheinz Deschner für mich reklamieren: »Ich schreibe aus Feindschaft.«

      Mit den wenigen Zeilen, die Nova mir zugesteht, kann keine umfangreiche Begründung abgegeben werden. Deshalb verweise ich, was das Christentum angeht, auf Werke wie Jean Mesliers Testament, Otto von Corvins Pfaffenspiegel, Deschners zehnbändige Kriminalgeschichte