dann bekam er Post aus Berlin.
Damals lebte Willemsen in London. Er kam nach Berlin und klingelte bei mir. Später sagte er häufig, er hätte seine Zusage zu dem Buch davon abhängig gemacht, ob ich ihm im Moment des Türeöffnens sympathisch sei oder nicht. Gut, dass ich von dem Test nichts wusste, aber wir waren uns gegenseitig spontan zugetan, weshalb unter dem Titel »Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland« herauskamen, ein Porträt Deutschlands, in dem die ganzen »netten Leute«, die er in seiner Liste aufgenommen hatte, eine Rolle spielten, weil sie dieses Deutschland nicht unerheblich repräsentierten, ein Horrorkabinett, und keiner auf dieser Liste hätte in einem »Who's who peinlicher Personen« fehlen dürfen.
Als ich unsere Korrespondenz von damals wiederlas, fiel mir eine dreiseitige Replik Willemsens in die Hände, die er auf Broders eigentlich lobende taz-Rezension seines Buches geschrieben und die ich völlig vergessen hatte.
»Zunächst mal: habe ganz lahme Schultern davon bekommen, so oft hat er mir drauf geklopft. Auch wenns gut gemeint ist, ich habs nicht gern, und täusche mich auch nie darin, dass der Rezensent vor allem feststellen wird, dass am Ende doch er selbst der Klügere ist. Formulierungen wie: ›Faustregel, der ich hier nur zustimmen kann‹, ›kann ich ihm meinen Respekt nicht versagen‹ (...) oder ›schreiben kann er‹ verraten mir vor allem, welchen Respekt der Rezensent vor sich selber hat. Würde er Adorno auch so rezensieren? ›Schreiben kann er‹? Also ich für meinen Teil lasse mich entmündigen, sobald mir ein einziger dieser Sätze unterläuft.«
Willemsens Misstrauen war gut begründet, wenngleich in der Frage, ob Broder auch Adorno in diesem Stil rezensiert hätte, bereits eine kleine Hybris aufschien. Willemsen stellte es mir anheim, seine Überlegungen an Broder weiterzuleiten, mit dem ich gerade zusammen »Liebesgrüße aus Bagdad. Die edlen Seelen der Friedensbewegung und der Krieg am Golf« herausbrachte. Ich weiß nicht mehr, ob ich es getan habe, aber auch ohne diese Vermittlung waren sich die beiden nie grün.
An der Anthologie »Liebesgrüße aus Bagdad«, in der u.a. »Hitlers Wiedergänger« von Enzensberger enthalten war, beteiligte sich Willemsen nicht, weil er gegen den Einmarsch amerikanischer Truppen im Irak trotz völkerrechtlicher Gründe Einwände hatte, die sich für ihn auch durch die Hysterie der Friedensbewegung nicht relativierten. Auf der Buchvorstellung von »Kopf oder Adler« im Berliner Literaturhaus trat unser Dissens andeutungsweise zu Tage, tat unserer Freundschaft aber keinen Abbruch. Er belieferte viele der in den neunziger Jahren im Verlag erscheinenden Anthologien wie »Das Wörterbuch des Gutmenschen« mit Einträgen zum Begriff »Dialog«, »Gewaltvideos«, »Streicheleinheiten«, »Vergangenheitsbewältigung« und »Glaubwürdigkeit«, kurze, aber ebenso präzise wie elegante Analysen, die sein Verhältnis zur gesellschaftlichen Realität deutlich machten, wie – nur mal so zum Beispiel – der Eintrag zur »Glaubwürdigkeit« zeigt:
»In der Forderung nach Glaubwürdigkeit wird Ehrlichkeit zum Fetisch. Zwar mag es wünschenswert sein, nicht öffentlich belogen zu werden, konstitutiv für das Wirken von Politik aber ist Ehrlichkeit keineswegs. Ihr systematischer Zusammenhang nämlich ist Kategorien wie ›Wahrheit‹ und ›Lüge‹ völlig entzogen. Diese fungieren vielmehr als Aggregatszustände ihrer Vermittlung und werden vor allem strategisch eingesetzt.«
Auch als regelmäßiger Beiträger für das Jahrbuchs »Warum sachlich, wenns auch persönlich geht. Das Who's who peinlicher Personen« war er tätig, in dem er Rezzo Schlauch, Alice Schwarzer, Helmut Markwort, Stefan Aust und anderen die Gründe ihrer bedauernswerten Existenz aufzeigte und auf welchen schlichten Gedanken, die zu äußern sie sich nicht scheuten, ihre Prominenz bei einem Publikum beruhte, das einem schon immer jeglichen Glauben an eine bessere Gesellschaft ausgetrieben hat. Auch wenn ich immer ein wenig drängeln musste, er lieferte. Aber das gehört zum Geschäft. Dafür bekam ich dann schöne Faxe wie das vom 18.2.94:
»Du fragst mich nach meinen guten Nachrichten für Dich. Ja, ist das nichts, dieses in geradezu metaphysischer Anhänglichkeit an Dich und Treue zu Dir dahinziselierte ›FR-Manuskript‹ [?], mit dem sich die Summe meiner publizistischen Feinde wieder einmal vergrößert? Alles, weil ich damals an Deiner Berliner Haustür nicht rechtzeitig den Schwefeldampf gerochen habe, der von Dir, wie von jedem Teufel, aufsteigt.«
Ich weiß nicht, inwieweit »Kopf oder Adler« dazu beigetragen hat, dass Willemsens Karriere als Autor nun ziemlich schnell Fahrt aufnahm. Bei Redakteuren, die früher bei seinen Texten kalte Füße bekamen, hatte er jetzt carte blanche. Der Spiegel veröffentliche Willemsens Verriss des neuesten Buches von Johannes Gross und auch das Zeit-Magazin öffnete ihm seine Seiten. Das hielt ihn nicht davon ab, sich spöttisch über seine Auftraggeber zu äußern. Wunderbar seine Sottise über die Zeit:
»Die Zeit ist ein wohlerzogenes Blatt und liebt die freie Meinungsäußerung, aber vornehmlich bei Meinungen, für deren Äußerung man keine braucht. Nur die Rechtsradikalen müssen vor ihr wirklich Angst haben. Denen werden hier nämlich derart die Leviten gelesen! Wenn die ihre Wochenration Theo Sommer hinter sich haben, dann kriegen sie vor Unrechtsbewusstsein keinen Molotow mehr hoch.«
Das war zu scharf und zu intelligent, um jemals massenkompatibel zu sein. Als seine Essays und Polemiken 1999 bei Tiamat unter dem Titel »Bild dir meine Meinung« erschienen, war er bereits fernsehbekannt, sein Buch aber profitierte nicht davon. Schon 1990 wurde er vom Bezahlfernsehkanal Premiere für eine tägliche Interview-Sendung entdeckt, obwohl er mit dem Medium vorher nie etwas zu tun hatte. Später verpflichtete ihn dann das ZDF, nachdem sich in der Medienwelt herumgesprochen hatte, was für eloquente und brillante Interviews er führte. Die waren dem ZDF dann aber doch zu eloquent und brillant, weshalb er immer wieder Ärger bekam, weil er Politikern zu sehr auf den Zahn fühlte, bis er schließlich diese Spezies nicht mehr einladen durfte. Legendär war sein Interview mit Helmut Markwort, den er mit seiner Vergangenheit als Pornofilm-Darsteller konfrontierte und den er mit seinen Ausreden und Beschönigungen nicht davonkommen ließ. Willemsen wollte sich mit politischen Gegnern streiten und sie nicht bauchpinseln. Und er hatte die Mittel dazu, denn er war umfassend gebildet, hatte ein unglaubliches Wissen gespeichert, das er jederzeit abrufen konnte, war rhetorisch allem gewachsen und schnell und präzise im Denken.
Da ich dem Medium Fernsehen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehe, war ich von dem etwas schlichten Gedanken überzeugt »Fernsehen verdirbt den Charakter«, wofür es allerdings unzählige Beweise gibt und man muss sich nur eine beliebige Labersendung ansehen, um sich von der rasanten Gehirnerweichung zu überzeugen, die die Darsteller dort reihenweise befällt. In jedem Fall aber glaubte ich, dass Willemsen seine großartigen Fähigkeiten als Autor im Fernsehen vergeudete, und als er anfing, große Galashows zu moderieren, und Gerhard Schröders Karriere vor und nach der Wahl wie eine Homestory dokumentierte, sich ihm »einfühlsam« näherte, war dieser Gedanke ja auch nicht völlig abwegig, denn er begab sich in die Nähe von Leuten, die für ihn früher höchstens als Gegenstand der Polemik taugten. Er wurde durch das Fernsehen noch narzistischer und eitler als man es als Autor und TV-Moderator sowieso sein muss, was mich damals sehr befremdete, mehr als heute.
Als er mich 1998 auf der Buchmesse an meinem Stand besuchte, weil wir das geplante Buch »Bild dir meine Meinung« besprechen wollten, gingen wir ein wenig durch die Hallen. Er wurde dann sehr schnell von einer jungen Frau angesprochen, die er überschwänglich begrüßte und mit der er sich den Rest unseres Spaziergangs unterhielt. Eine alte Freundin, dachte ich, aber dann stellte sich heraus, dass Willemsen sie gar nicht kannte. Die Empathie, mit der er Menschen begegnete, war erstaunlich, gleichzeitig aber auch etwas beliebig und – diesem unangenehmen Gefühl konnte man sich nicht so richtig entziehen –auch etwas routiniert, denn wenn man vielen auf so emphatische Weise begegnet, entwickelt man eine Verhaltenstechnik, die die Empathie nur als solche erscheinen lässt. Als Gegenüber weiß man dann nie, ob die Empathie, die einem entgegengebracht wird, echt oder einfach nur eine launische Übertreibung ist, und man beginnt zu zweifeln, ob der andere sich selbst darüber im Klaren ist. Zudem weckt die ständig zur Schau getragene Begeisterung Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden, denn niemand kann sie in dem Ausmaß erfüllen, wie sie geweckt wurden.
Letztlich lässt sich das schwer