Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde


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hat.

      2016

       Rückt schon mal die Tische zusammen

       Fanny Müller

      Als ich die »Geschichten von Frau K.« las, damals erschienen im kleinen Verlag Weisser Stein, verliebte ich mich sofort in Fanny Müllers ruppigen und doch gleichzeitig liebenswerten Humor. Vor allem die Geschichte »Has­su ma ne Maak?«, als Frau K. mit eben dieser Frage belästigt wird, fand ich hinreißend, denn Frau K. stutzt die vor dem Supermarkt herumlungernden Punks mit den Worten zurecht: »Ich hab selbs keine Maak. Ich hab noch nich ma zehn Maak! Und überhaupt, ihr seid doch noch jung und gesund ... ihr könnt doch ma ne Bank überfalln.« Das war ein Ton, von dem man sofort wusste, der war nicht ausgedacht, das war der Ton einer eigenwilligen, schrulligen, alten Dame, die sich im Hamburger Schanzenviertel zu behaupten weiß und die in ihrem Leben schon alles einmal erlebt hat. »Zweimal«, würde Frau K. korrigieren, die einen sehr unsentimentalen Blick auf die Welt hat, manchmal richtig fies sein kann, aber immer überraschende und un­erwartet weise Worte findet.

      Als der Verlag Weisser Stein pleite ging, hatte ich das Glück, dass Fanny Müller zur Edition Tiamat wechselte, der sie bis zuletzt treu blieb, und das trotz ihres Erfolgs, den sie kurze Zeit später mit dem zusammen mit Susanne Fischer geschriebenen Buch »Stadt Land Mord. Kriminelle Briefe nachgelassener Frauen« hatte.

      Nachgelassene Frauen war eines der Themen, die bei Fanny Müller immer wieder auftauchten, aber nicht im Sinne von »Oje verlassen«, sondern »Gottseidank ver­las­sen« oder »weggejagt«, weil das auch wieder »so ‘n Dös­baddel« war. Es geht also um Frauen, die ihr Leben nicht nach ihrem Typen oder Ma­cker ausrichten, sondern die in ihrem Leben auch ganz gut ohne auskommen mit Ausnahmen selbstverständlich, aber das ist dann eben nichts Ernstes.

      Frau K. war so eine Frau, wobei da der Krieg, die Währungsreform und das Schicksal eine Rolle spielen, man also in einer Zeit lebte, als der damals typische Mann (der aus dem Krieg heimgekehrte Verlierer) als Belas­tung empfunden wurde, weil er zuviel trank und auch sonst zu unpraktisch war, und als es »Liebe und Erotik« noch gar nicht gab. »In der Zeitung stand das auch nicht. Und Fernseh kam ja erst später.« Geblieben ist der faule, hässliche und stinkende Hund namens Trixi. Aber das ist kein Grund, eine Depres­sion zu kriegen, die es im übrigen damals auch noch nicht gab. Damals hieß das noch schlechte Laune. Frau K. ist eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und die auf die neue Zeit und seine Hervorbringungen mit Häme und Spott reagiert, und das ja häufig nicht zu unrecht. Das ist ihre Art, sich gegen die Zumutungen der Welt zur Wehr zu setzen.

      Ein bisschen war Fanny Müller auch so. Auch sie war nicht gerade auf Rosen gebettet, was aber kein Grund war, sich nicht über die Scheidung mit ihrem Ehemann zu freuen, den man sich damals zulegen musste, weil man sonst womöglich keinen »mehr abgekricht hätte«, der dann aber zu nichts nutze war. Wenigstens taugte er für eine Kolumne. Als der Ex-Ehemann dann »bei einer Zeitung angeheuert hatte, von der jeder behauptet, er läse sie nicht, höchstens wegen dem Sportteil«, war das der Anlass für Fanny Müller, sich für »15 Maak« beim Standesamt ihren Mädchennamen wieder zurückzukaufen. Und da weiß man doch sofort, dass Fanny Müller ein funktionierendes soziales Koordinatensystem hatte, wenn man bedenkt, dass sich heute niemand mehr über einen aufregt, der bei Bild arbeitet, sondern vielmehr das sogar »irgendwie geil« findet. Manchmal ist es eben doch nicht schlecht, wenn man auf eine Vergangenheit in einer kommunistischen Gruppe zurückblicken kann, als sowas noch eine Rolle spielte. Nicht dass Fanny Müller darauf stolz gewesen wäre, aber sie konnte, wie sie einmal in ihren »Memoiren einer Tochter aus gewöhnlichem Hause« schrieb, »dank vieler Diskussionen und Schulungen meine diffusen Vorstellungen von oben und unten, von Recht und Unrecht, auf eine solide Basis stellen.«

      Jedenfalls wurde Fanny Müller geboren (und zwar am 17. Juli 1941 in Helmste), ging zur Schule, machte das Abitur, und so ging es dann immer weiter. Sie wuchs mit den Beatles auf, absolvierte eine Hotelfachlehre und war nacheinander Büffetstütze, Kaltmamsell, Aupair in Paris, Stewardess auf dem TEE, Privatsekretärin, Gattin, geschiedene Gattin. Anschließend studierte sie Erziehungs­wissenschaften und Soziologie und wurde Lehrerin an einer Gewerbeschule sowie Bikerbraut. Sie unternahm einmal sogar einen Ausflug in die Politik und wurde in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, wo sie für Arbeit und Soziales zuständig war. Aber da sie wenig ausrichten konnte, verabschiedete sie sich schnell wieder.

      Irgendwann war »ich so alt geworden, dass sich die Frage stellte, ob ich jetzt einfach auf die Rente warten oder vorher noch was auf die Beine stellen sollte. Das Geld auf meinen Sparbüchern wartete auf sinnvolle Verwendung.« Aber statt nach Tibet zu reisen, lautete Frau Müllers Antwort: »Nichts. Ich wollte nichts tun. Vor allem wollte ich wohl nichts tun müssen...« Und irgend­etwas würde sich schon ergeben, man musste »diesem Etwas nur die Chance geben, endlich aufzutauchen«. Und dieses Etwas tauchte schließlich auf, wenngleich es »nicht so spektakulär war, wie ich es früher erträumt hatte«.

      Sie fing an, ihre »Geschichten von Frau K.« zu schreiben und in Kowalski, später dann, als Kowalski pleite ging, im Hamburger Regionalteil der taz zu veröffentlichen, bevor sie dann gesammelt als Buch erschienen, das zahlreiche Auflagen er­lebt hat und inzwischen zu einer Art Klassiker geworden ist, denn wie in einer Zeitreise kann man in ihren Geschichten noch einen Blick auf ein Hamburg erhaschen, das es so nicht mehr gibt. Danach hatte sie eine zeitlang eine Kolumne in der Titanic und schrieb außerdem für die jungle world, die taz, stern, Weltwoche, Frankfurter Rundschau und Spiegel special. Und Brigitte.

      Nicht unbedingt ein Blatt, zu dem sie ein inniges Verhältnis gehabt hätte. In einem Brief schrieb sie mir:

      »Brigitte will unbedingt Glossen haben. Die hab ich auf Mai vertröstet. Da ist jetzt ein neuer Macker, der angeblich ›schrill‹ sein soll, na, ich weiß nicht, und der versuchen will, auch mal ›schrä­ge‹ Sachen reinzubringen. Ich bin ein bisschen nett, damit sie später eine Buchbesprechung bringen.«

      Fanny Müller war sehr gefragt, aber sie hielt immer Dis­tanz und entwickelte nie die Allüren einer Kulturbetriebsnudel. Wenn aber irgendein Redakteur glaubte, in ihren Artikeln herumredigieren oder Vorgaben machen zu dürfen, dann war die Zusammenarbeit schnell wieder beendet, selbst wenn es befreundete Blätter wie Titanic oder die taz betraf. Da sie nämlich etwas »anständiges« gearbeitet hatte und von ihrem Ersparten leben konnte, war sie nicht darauf angewiesen, sich zu arrangieren. Und wenn sie mit einer Anfrage nichts anfangen konnte, lehnte sie höflich, aber bestimmt ab. Als ich ihr vorschlug, für die Anthologie »Das große Rhabarbern« eine der zahlreichen Talkshows zu vernichten, schrieb sie mir: »Bist Du eigentlich Maso­chist? Talkshows kucken? Da winde ich mich schon als Zuschauerin zu Hause vor Scham stellvertretend für die Gäste, die das ja nie tun ...«

      Am 4. November 2005 erhielt sie den Ben-Witter-Preis und Willi Winkler hielt eine ganz wunderbare Laudatio. Als wir dann später in einem noblen Hamburger Restaurant, in dem sonst nur das gehobene Hamburger Bürgertum verkehrte, auf Kosten der Zeit zusammen speis­­ten, sagte sie zu mir: »Ich wusste gar nicht, dass der von mir spricht.« Gefreut hat es sie umso mehr, wenngleich sie immer misstrauisch blieb gegenüber Leuten, die als offizielle Vertreter der Kultur galten, denn wie sie einmal schrieb:

      »Als Kind hielt ich Kultur für etwas, das Erwachsene in einem Beutel mit sich führen, wenn sie verreisen. Dieser Eindruck änderte sich im Laufe meines Lebens, allerdings neige ich heute immer mehr dazu, meinem ursprünglichen Urteil recht zu geben.«

      In ihrem 2008 erschienenen »Tagebuch«, ihrer letzten Veröffentlichung, schrieb sie in ihrem letzten Eintrag:

      »Im Januar werde ich mich einer Operation unterziehen. Eine Alternative gibt es nicht. Nur die zwischen Tod und Leben. Ich habe ›Leben‹ gewählt und wenn es denn der Tod sein muss: Ich habe ein gutes und reiches Leben gehabt, eine Familie, die zu mir steht, Freundinnen und Freunde. Also alles tipptopp und prima. Keine Tränen bitte. Ich rufe dann von drüben an, rückt schon mal die Tische zusammen.«

      Es hat noch eine ganze Zeit gedauert, bis der Tod schließlich doch