Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde


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Günter Grass. Und das für Humor halten, weil Günter Grass mal an seiner Pfeife suckelnd behauptet hat, auch er hätte selbstverständlich Humor. Womit er zumindest in diesem Fall sogar mal recht hatte.

      Harry Rowohlt hingegen hat zwar keinen Roman geschrieben, sondern »nur« welche übersetzt, aber er hat mit seinen Kolumnen die beiläufige Plauderei zu einer Kunstform gemacht, die einzigartig ist, denn seine »Pooh's Corner« sind funkelnde Kleinode, geschmiedet (falls Kleinode geschmiedet werden) mit scharfem Verstand, grimmigem Humor, mit schrägem Witz und wenn es sein muss auch mit satter Beleidigung.

      Rowohlts neuer Kolumnen-Band »Pooh's Corner. Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand. Kolumnen, Gespräche, Aufsätze und Berichte. 1997-2009« ist große Klasse! Denn obwohl ich die Kolumnen selbstverständlich schon in der Zeit gelesen habe, und deshalb, um nicht in dem Papierberg zu ersticken, beim Zeitungshändler wegen des unhandlichen Formats mit Mühe und unter missbilligender Beobachtung im Feuilleton nach »Pooh's Corner« gefahndet habe, ob es sich lohnt, diese Papiermengen nach Hause zu schleppen, wo ich die Kolumne herausgerissen und gelagert habe, um sie bei Bedarf wieder hervorziehen und vorlesen zu können, obwohl die also für mich eigentlich alte Kamellen waren, war die Vorfreude auf das Buch groß und noch größer dann das Lesevergnügen, denn in diesem Fall lese ich gerne noch mal nach, denn man vergisst ja auch mal was.

      Zum Beispiel, dass Harry Rowohlt einer von fünf Autoren war, der für den Heinrich-Heine-Preis vorgesehen war, jedenfalls erkundigten sich die Preisvergeber beim Schweizer Verlag Kein & Aber nach seiner Telefonnum­mer »für falls«. »Andere Leute hätten die Inlandsaus­kunft angerufen, aber so geht es natürlich auch. Ich stehe dick und fett im Telefonbuch, weil ich Geheimnummern für unterschicht halte, unterschicht mit kleinem u. Mit kleinem u wie Adjektiv.« Harry Rowohlt wurde dann doch nicht gefragt, aber hätte man, dann hätte man er­fahren, dass er am Tag der Preisverleihung sowieso nicht gekonnt hätte, weil er da bereits eine Lesung in Halle hatte. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich mag solche schönen Gemeinheiten, denn die sind viel gemei­ner als irgendein hohles, anprangerndes Statement, aus dem man nur erfährt, wie gemein die Welt im allgemeinen und in diesem Fall aber besonders ist.

      Am lustigsten finde ich die Kolumne »Freiheit für Mumia Abu-Jamal!« Harry Rowohlt hält eine Rede auf einer Demo in Hamburg für ... aber das sagt ja bereits der Titel der Kolumne. Und jetzt muss ich ein bisschen ausführlicher zitieren, weil der hintergründige Witz so viel deutlicher wird als ich das nacherzählen könnte: »Wir sind etwa neunzig Menschen, und die CIA hat ein kleines Mädchen geschickt, welches jeden einzelnen Redebeitrag mühelos mit seinem Geplärr übertönt.« Dann wird Harry Rowohlt angekündigt, und er sagt,

      »vielleicht einen Tick zu subjektiv: ›Am meisten bewundere ich an Mumia Abu-Jamal, dass er jede Woche eine Kolumne raushaut. Ich kann immer nur eine Kolumne schreiben, wenn ich vorher was erlebt habe, und auch dann nur selten. Aber Mumia Abu-Jamal kommt ja so gut wie nie vor die Tür.‹ Rückkopplung, eisige Blicke, Rückkopplung. ›Ich würde empfehlen, ihn eiligst freizusprechen, denn wenn das so weitergeht, wird seine Haftentschädigung unerschwinglich, und wenn er dann freigelassen ist, kann er auf Lesereisen gehen, was erleben und darüber seine Kolumnen schreiben.‹ Eisige Blicke, Rückkopplung, eisige Blicke. ›Wenn er aber beschließen sollte, mit dem Geld von seiner Haftentschädigung einen Zeitungs-und-Tabakwaren-Laden mit Lotto-und-Toto-Annahme aufzumachen, so gönne ich ihm auch das von Herzen.‹ Eisige Rückkopplungen.«

      Es gibt noch jede Menge solcher schönen Stellen. Aber ich kann die ja nicht alle zitieren, und deshalb rate ich Ihnen dringend: Besorgen Sie sich das Buch. Eine gute Investition, und gar nicht teuer. Und man hat was fürs Leben, denn in Zeiten von Alzheimer kann man das Buch immer wieder neu lesen. In jedem Fall gehört es in das Regal, in dem die große Weltliteratur steht. Aber nicht bei Grass und Walser.

      2009

       Wie guter irischer Whiskey

       Harry Rowohlts nicht weggeschmissene Briefe Bd. III

      Die Briefe von Harry Rowohlt gehören zum Lustigsten, das die literarische Welt in Deutschland zu bieten hat. Zwei Bände sind bereits zu Rowohlts Lebzeiten erschienen, nun ist »Und tschüs. Nicht weggeschmissene Briefe Bd. III« auf den Markt gekommen.

      Das Brief-Genre ist eigentlich nicht besonders hoch angesehen. Jedenfalls nicht beim großen Publikum. Und in der Regel ist es ja auch so, dass die nachgelassenen Briefe von Schriftstellern eher das Interesse von Literaturhis­torikern bedienen und das leider zu recht, denn häufig verströmen solche Briefbände alles andere als Charme und Witz. Es gibt wenige Autoren, die im Bewusstsein ihres Nachruhms das Schreiben von Briefen – heute sowieso eine ausgestorbene Form der Kommunikation – als eigenständige Kunstform betrachtet haben.

      Hunter S. Thompson war so jemand, und das schon in jungen Jahren. Er schrieb an Verwandte und Bekannte, nicht bloß um sich mitzuteilen, sondern um sein Leben auf einer anderen Ebene und mit anderen Mitteln fortzuschreiben, was eine gewisse Hybris voraussetzt und den unbedingten Glauben an sich selbst. Aber während Hunter Thompson ein Poltergeist war, der auf brachiale, aber auch auf sehr kunstvolle und originelle Weise schimpfen konnte, bevorzugt Harry Rowohlt den hintergründigen Witz, die Pointe, die sich erst nach einer seiner Abschweifungen, für die er berühmt ist, erschließt. Das heißt aber nicht, dass er in seinen Urteilen nicht vernichtend sein konnte, wenn ihm jemand auf die Nerven ging.

      Manchmal war es auch schlechte Erfahrung, aus der er versuchte klug zu werden, indem er wunderbare kleine Ablehnungsschreiben verfasste. »Für Gerstenberg habe ich schon mal was übersetzt und davon nur durch Zufall erfahren. Diese Zusammenarbeit reicht mir völlig. Wenn Sie das Buch zurückhaben wollen: Bis Samstag 14 Uhr liegt es in meinem Papierkorb.« Oder die Antwort auf eine Anfrage des SWR: »Mir ist plötzlich klar geworden, dass ich eigentlich gar keine Lust habe, am 6. Mai früh aufzustehen, um mir die immer gleichen Fragen stellen zu lassen.« Oder an die Redaktion Season: »Danke für die Anfrage. Ich habe m.W. noch nie eine Frauenbiographie gelesen. Nicht mal eine geschrieben.«

      In seiner herzlichen Abneigung gegenüber seinen Über­setzerkollegen Hans Wollschläger lief er zur Hochform auf:

      »Der verehrte Kollege Wollschläger – und wenn ich ›verehrt‹ sage, meine ich ›verehrt‹, denn wenn es jemandem gelingt, sich vom als knausrig bekannten Suhr­kamp Verlag fast zehn Jahre lang (andere Leute lernen in der Zeit Englisch) für seine Ulysses-Über­setzung ali­mentieren zu lassen, ist er jeder kollegialen Verehrung würdig – konnte nicht nur kein Englisch, er weigerte sich auch, es zu lernen«, denn Wollschläger hatte »›a bottle of pop‹ (= kohlensäurehaltiges Erfrischungs­ge­tränk) allen Ernstes in seinem weithin strahlenden Schwachsinn und ohne jedes Unrechtsbewusstsein mit ›eine Flasche Popcorn‹ übersetzt.«

      Sprachliche Nachlässigkeit ging ihm gehörig gegen den Strich, vor allem, wenn man seine Ahnungslosigkeit auch noch wie eine Monstranz vor sich her trug. Darüber erzählt er in einem Brief an seinen Verleger Peter Haag und sofort entsteht eine witzige Anekdote:

      »›Wenn heute jemand was will, bringe ich ihn um‹, habe ich gesagt, und dann war es Frau Dingsbums von dpa, die sagte: ›... und denn können Sie mir ja zumindestens sagen ...‹, und ich sagte: ›Entweder ‘mindestens' oder ‘zumindest'; ‘zumindestens' gibt es nicht‹, und fortfuhr: ›Wenn Sie mir trotz meines Sprachfehlers ...‹, und ich hätte fast gesagt: ›'Trotz' regiert den Dativ, und ein Sprachfehler ist, wenn man lispelt‹, aber sie kam dann zur Sache: ›Also Sie wohnen schon ganz lange in Eppendorf.‹ ›Ja.‹ ›Und sind verheiratet.‹ ›Ja.‹ ›Und was machen Sie so beruflich?‹ Und dann, aber auch erst dann, habe ich gebrüllt.«

      Auf der anderen Seite konnte er auch vorbehaltlos be­geis­tert sein, wenn ihm mal eine originelle Frage gestellt wurde, wie das Frau Verena Schmitz von der Schwäbischen Post einmal getan hat: »Herr Rowohlt, Sie schrieben einmal, bei Schwäbisch ziehe sich Ihnen das Skrotum zusammen. Isch des im Augebligg au dr Fall?«

      Das Schöne an Harry Rowohlts Briefen ist, dass man immer Neues erfährt und deshalb auch klüger wird. Damit ist es nun