auf den Ebenen 1 und 2. Und umgekehrt bereitet die gekonnte, treue Vermittlung des Wortes Gottes auf den Ebenen 1 und 2 die Zuhörer auf die Predigt vor. Dieses Buch wendet sich an all die, die in einem religiös immer skeptischeren Zeitalter damit ringen, wie sie den Menschen die Leben verändernde Wahrheit der Bibel nahebringen sollen, ob nun auf der Ebene 1, 2 oder 3. Gleichzeitig bietet es auch dem, der von Berufs wegen predigt und lehrt, eine Einleitung und Grundlegung.10
Prolog
Was ist eine gute Predigt?
Eine dieser Frauen – sie hieß Lydia – war eine Purpurhändlerin aus Thyatira, die an den Gott Israels glaubte. Während sie uns zuhörte, öffnete ihr der Herr das Herz, so dass sie das, was Paulus sagte, bereitwillig aufnahm (Apostelgeschichte 16,14).
Das Geheimnis einer vollmächtigen Predigt
Als ich Pastor geworden war, fiel mir schon bald auf, wie merkwürdig unterschiedlich die Reaktionen meiner Zuhörer auf meine Predigten waren. Manchmal bekam ich in der Woche nach einer Predigt begeisterte Zustimmung: „Herr Pastor, Ihre Predigt vom Sonntag hat mein Leben verändert!“ – „Ich hatte den Eindruck, Sie sprachen direkt zu mir; ich hab mich gefragt, woher Sie all das über mich wussten.“ – „Ihre Worte schienen von Gott selber zu kommen, das werde ich nie vergessen!“ Und ich dachte: Mensch, da hast du eine starke, vollmächtige Predigt gehalten. Was kann es Schöneres geben für einen jungen Pastor?
Aber schon bald dämmerte es mir, dass andere Gemeindeglieder dieselbe Predigt mit einem achselzuckenden „Na ja, es ging“ abtaten. Oft kommentierte meine Frau Kathy: „Die Predigt war okay, aber nicht eine von deinen besten“ – und am nächsten Tag sagte mir jemand anderes unter Tränen, dass er oder sie durch diese Predigt zu einem anderen Menschen geworden war. Wie passte das alles zusammen? War der Erfolg einer Predigt sozusagen Geschmackssache? Doch diese Erklärung erschien mir doch zu subjektiv. Ich vertraute Kathys Urteil (und meinem eigenen), dass einige meiner Predigten in Aufbau und Darbietung schlicht besser waren als andere. Aber manche der eher mittelmäßigen veränderten Menschenleben, während andere, die ich für sehr gelungen hielt, nicht viel zu bewirken schienen.
Dann las ich eines Tages den Bericht über Paulus’ und Silas’ Gemeindegründung in Philippi – wie sie das Evangelium einer Gruppe von Frauen erklärten und wie eine von diesen, Lydia, gläubig wurde: „Während sie uns zuhörte, öffnete ihr der Herr das Herz, so dass sie das, was Paulus sagte, bereitwillig aufnahm“ (Apostelgeschichte 16,14). Diese Frauen hörten alle dieselbe Predigt, aber nur Lydia scheint von ihr nachhaltig verändert worden zu sein. Wir sollten daraus nicht den voreiligen Schluss ziehen, dass Gott durch eine Predigt nur in dem Augenblick wirken kann, wo sie gehalten wird, oder dass er Paulus damals nicht auch schon beim Formulieren der Predigt geholfen hat. Aber so viel war mir klar: Dass diese Predigt so unterschiedlich auf die Menschen, die sie hörten, wirkte, musste mit dem Wirken des Geistes Gottes zusammenhängen. Vielleicht hat Paulus an Lydia gedacht, als er im 1. Thessalonicherbrief die Wirkung einer Predigt nicht nur in ihren Worten verortete, sondern auch in dem „machtvollen Wirken des Heiligen Geistes“ (1. Thessalonicher 1,5).
Und ich kam zu dem Ergebnis, dass der Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Predigt weitgehend in dem Prediger liegt – in seinen Fähigkeiten und Gaben und der Qualität seiner Vorbereitung. Den Bibeltext verstehen, eine klare Gliederung und einen roten Faden herausarbeiten, diesen überzeugend und mit treffenden Vergleichen, Bildern und Beispielen aus dem Alltag entfalten, Herzenseinstellungen, Motive und kulturelle Prämissen analysieren und sich schließlich fragen, was das Ganze mit dem Alltag der Zuhörer zu tun hat – all dies erfordert Arbeit. Es braucht mehrere Stunden, eine Predigt so vorzubereiten, und es braucht Jahre der Praxis und Übung, um sie gut zu formulieren und zu halten.
Es liegt also vor allem am Prediger, ob seine Predigt gut oder schlecht gemacht ist. Aber ob sie nicht nur gut, sondern auch vollmächtig ist, darüber entscheidet das Wirken des Heiligen Geistes in den Herzen der Zuhörer wie auch in dem des Predigers selber. Die Botschaft in Philippi kam von Paulus; ihre Wirkung auf die Herzen der Hörer kam vom Heiligen Geist.
Konkret bedeutet dies, dass Gott auch Predigten von nur mittelmäßiger handwerklicher Qualität vollmächtig benutzen kann. Was die Antwort eines älteren Pastors erklärt, der um eine Bewertung der beiden großen Prediger Daniel Rowland und George Whitefield gebeten wurde, die im 18. Jahrhundert wirkten. Er sagte, dass beide Männer vollmächtig predigten, aber dass Rowlands Predigten immer auch gut gemacht waren, was bei Whitefield nicht immer der Fall war.11 Egal wie die konkrete Predigt handwerklich war, bei Whitefield spürte man irgendwie immer die Nähe und die Kraft Gottes.
Vielleicht hätten Sie gerne so etwas wie eine Anleitung in sieben Schritten, wie man vollmächtig predigt, sodass Sie nur alles „richtig zu machen“ brauchen, um eine starke, vollmächtige Predigt zu schreiben bzw. zu halten. So ein „Rezept“ kann weder ich noch sonst jemand Ihnen geben, denn das Geheimnis einer vollmächtigen Predigt liegt in den Tiefen der Pläne Gottes und der Kraft seines Geistes verborgen. Was ich hier meine, haben andere mit Ausdrücken wie „Salbung“ zu umschreiben versucht. Ich werde die Rolle, die Ihnen als Prediger in dieser geistlichen Dynamik zukommt, im letzten Kapitel dieses Buches behandeln, aber es gibt, wie gesagt, keine Rezepte. Manche suchen – nicht ganz zu Unrecht – das Geheimnis im Gebetsleben des Predigers. Die Antwort ist gleichzeitig Ja und Nein. Ein tiefes und reiches Gebetsleben ist in der Tat eine wichtige Voraussetzung für vollmächtige, ja auch nur gute Predigten; eine Garantie ist es nicht. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass wir unser Bestes tun sollten, unsere Weitergabe der Wahrheit Gottes handwerklich gut zu machen – und es dann Gott überlassen, wie und wie oft er unsere Predigten zur vollmächtigen Verkündigung macht. „Und du begehrst für dich große Dinge? Begehre es nicht!“ (Jeremia 45,5).
Der „perfekte Prediger“
Diese Unterscheidung könnte zu der Annahme verleiten, dass der Christ, der Gottes Wahrheit weitergibt, nichts weiter zu tun braucht, als den Bibeltext zu erklären, und dass Gott schon für den Rest sorgen wird. Das ist ein gefährliches Missverständnis und eine Beschneidung der Aufgabe des Predigers.
Theodor Beza war ein jüngerer Kollege und später der Nachfolger des Reformators Johannes Calvin. In seiner Calvin-Biografie erinnert Beza sich an die drei großen Prediger im Genf der Reformationszeit – Calvin selber, Guillaume Farel und Pierre Viret. Farel – so Beza – war der leidenschaftlichste und kraftvollste der drei. Viret war der redegewandteste; die Zuhörer sogen seine geschickten, sprachlich schönen Formulierungen förmlich ein und merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Calvin war der tiefgründigste; seine Predigten waren voll der „gewichtigsten Einsichten“. Calvin hatte am meisten Substanz, Viret die größte Beredsamkeit, Farel die größte Wucht, und Beza kommt zu dem Schluss: „Ein Prediger, der eine Kombination dieser drei Männer war, wäre der absolut perfekte Prediger gewesen.“12 Womit Beza zugibt, dass sein großer Mentor, Calvin, kein perfekter Prediger war. Seine Predigten gingen zwar in die Tiefe, aber Viret und Farel konnten die Aufmerksamkeit der Zuhörer besser fesseln, hatten mehr Überzeugungskraft und sprachen mehr zum Herzen der Menschen.
Im ersten „Predigthandbuch“ der Christenheit schreibt der Kirchenvater Augustinus, dass der Prediger nicht nur die Aufgabe hat, zu belehren (lat. probare), sondern auch, zu erfreuen (delectare) und zu erschüttern und aufzurütteln (flectere).13 Augustinus verurteilt den geistlichen Bankrott der heidnischen Philosophen, findet aber gleichzeitig, dass christliche Prediger von ihren Büchern über die Rhetorik lernen können. Das griechische Wort rhetorike erscheint erstmals in Platos Dialog Gorgias, wo es „das Werk des Überredens“ meint.14 Der Altphilologe George Kennedy schreibt, dass die Rhetorik in gewissem Sinne „ein Phänomen aller menschlichen Kulturen“ ist, da die meisten Kommunikationsakte nicht nur das Ziel haben, Informationen weiterzugeben, sondern auch den Glauben, das Handeln oder Fühlen der Empfänger zu beeinflussen.15 Jeder von uns ist ein Stück weit ein Rhetoriker, und wenn es nur darum geht, durch Veränderungen der Lautstärke,