würde, diese grundlegende biblische Lehre zu erklären; Sie werden mehrere Bibeltexte heranziehen müssen. In der Textpredigt dagegen habe ich die Aufgabe, bildlich gesprochen, dorthin zu gehen, wohin dieser eine Text mich führt, und die Aussagen und Unterpunkte der Predigt ergeben sich aus seiner Auslegung.
Man beachte auch, dass eine Predigt selten zu hundert Prozent eine Textpredigt oder Themapredigt ist. Die beiden Predigtformen schließen einander nicht aus, und sie treten selten in Reinkultur auf. Man muss sie sich eher als einander überlappende Kategorien vorstellen oder als die beiden Endpunkte eines Spektrums. Selbst die sorgfältigste Textauslegung, die in die letzten Details jedes Verses geht, enthält meistens Querverweise auf andere Bibelstellen, die das gleiche Thema behandeln. Wenn zum Beispiel in Ihrem Text der Heilige Geist genannt wird, müssen Sie den Zuhörern womöglich erklären, dass dieser Geist eine Person in der Dreieinigkeit ist und ebenso göttlich wie der Vater und der Sohn, und dass der Heilige Geist ein „Er“ ist und kein „Es“. Sehr wahrscheinlich wird in Ihrem Text nichts über dieses Personsein des Heiligen Geistes gesagt, aber wenn Sie wollen, dass Ihre Zuhörer die Botschaft des Textes verstehen, kommen Sie nicht umhin, sie kurz in die biblische Lehre vom Heiligen Geist einzuführen. Jede Predigt, die einen Text auslegt, ist zwangsläufig zum Teil auch eine Themapredigt. Und umgekehrt kommt eine Themapredigt, die der Bibel treu sein will, nicht ohne ein paar „Mini-Auslegungen“ von Bibeltexten aus, denn die Bibelstellen, die das Thema beleuchten, müssen innerhalb ihres je eigenen Kontextes erklärt werden.
Die Auslegungspredigt verankert ihre Botschaft in dem Bibeltext. Ihre Unterpunkte und ihre Kernaussagen ergeben sich beide aus ihm. Gleichzeitig verknüpft sie die Auslegung des Textes mit den Grundlehren der übrigen Bibel und betreibt somit ein Stück systematische Theologie. Und sie verortet den Text stets in dem Grundnarrativ, dem roten Faden der Bibel, indem sie aufzeigt, wie das Thema des Textes seine letzte Erfüllung in Jesus Christus findet, und betreibt so ein Stück biblische Theologie.
Plädoyer für die Textpredigt als „Normalfall“
Im Laufe der Kirchengeschichte haben sich sowohl die Text- als auch die Themapredigt als notwendig erwiesen, und auch der heutige christliche Prediger oder Lehrer sollte beide als legitime, fruchtbare Predigtformen sehen. Trotzdem finde ich, dass die Textpredigt sozusagen das Predigtgrundnahrungsmittel für eine christliche Gemeinde sein sollte. Warum das? Mir fallen mindestens sechs Gründe ein; auf den ersten möchte ich etwas ausführlicher eingehen.
Die Auslegungspredigt ist die beste Methode, unserer Überzeugung Ausdruck zu geben, dass die ganze Bibel wahr ist. Mit ihr demonstriere ich, dass ich glaube, dass jeder Teil der Bibel Gottes Wort ist – nicht nur bestimmte Themen oder die Aussagen, die mir besonders gut gefallen. Ein solider, fundierter Glaube an die Autorität und Inspiration der Bibel ist ein unbedingtes Muss, wenn ich die Bibel nachhaltig lehren und predigen will, sodass sie Menschenherzen verändert. Wenn dies auch Ihre Überzeugung ist, dann gibt es keine bessere Methode, Ihren Glauben an die Bibel an Ihre Zuhörer weiterzugeben, als sie durch Textpredigten auszulegen, bei denen Sie über einen längeren Zeitraum hinweg systematisch durch große Teile der Bibel gehen und die Bedeutung und Botschaft jedes Abschnitts herausarbeiten und alle Ihre Aussagen vom Bibeltext her begründen und untermauern.
Bitte beachten Sie, dass ein bloß allgemeiner Respekt vor der Bibel, den Sie vielleicht durch Ihre religiöse Erziehung mitbekommen haben, hier nicht ausreicht. Als christlicher Prediger oder Lehrer werden Sie zwangsläufig mit vielen „schwierigen Stellen“ in der Bibel konfrontiert werden – Stellen, die nicht nur dem Zeitgeist und der politischen Korrektheit zuwiderlaufen, sondern manchmal sogar Ihren eigenen Überzeugungen und Gefühlen. Wenn Sie nicht ein solides, tief verwurzeltes Verständnis von der Bibel und ihrer Autorität und Inspiration haben, werden Sie nicht in der Lage sein, die Arbeit zu leisten, die nötig ist, um die einzelnen Stellen zu verstehen und überzeugend an andere Menschen weiterzugeben. Jeder merkt es, wenn der Prediger von dem, was er da sagt, selber nicht überzeugt ist, und schon ist der Prediger nicht mehr der, der verkündet, warnt und zu Gott einlädt, sondern nur noch jemand, der fromme Gedanken, Anekdoten und Meinungen weitergibt.
Natürlich besteht auch die Gefahr, dass der Prediger des Evangeliums der Gnade an Stellen, wo Christen verschiedener Meinung sind, unnötig hart und dogmatisch auftritt. Wir werden später noch zu diesem Thema kommen. Hier möchte ich vor der Gefahr warnen, den umgekehrten Fehler zu machen. Nicht nur die zu konfrontative und harte Predigt geht letztlich ins Leere, sondern auch die allzu weiche und vage, die Angst hat, den Zuhörern etwas zuzumuten. Es kommt hier, wie so oft, auf die rechte Balance an. Wie Timothy Ward schreibt: „Der Prediger, der zu hart ist, provoziert Widerstand. Der, der zu weich ist, wird als belanglos empfunden, als jemand, den man ignorieren kann.“35
Wie finde ich zu einem tragfähigen Vertrauen auf die Bibel als Gottes Wort? Unter anderem, indem ich mir anschaue, was die Bibel über sich selber sagt. Fangen Sie mit einer gründlichen Lektüre des 119. Psalms an; arbeiten Sie heraus, was er über das Wesen des Wortes Gottes und seine Funktion und seinen Nutzen in unserem Leben sagt. Sie sollten sich auch mit wichtigen Büchern bzw. Artikeln über die Autorität der Bibel vertraut machen, wenn Ihre Predigttätigkeit fruchtbar sein soll.36 Und Sie sollten nicht nur allgemein wissen, dass die Bibel wahr ist, sondern auch, dass in der Bibel Gottes Worte identisch sind mit seinen Taten. Wenn er sagt: „Es werde Licht“, dann wird es Licht (1. Mose 1,3), und wenn er jemandem einen neuen Namen gibt, dann wird diese Person damit zu einem anderen Menschen (1. Mose 17,5). Die Bibel sagt nicht, dass Gott erst spricht und dann handelt oder dass er erst benennt und dann verändert, sondern bei Gott sind Sprechen und Handeln ein und dasselbe. Sein Wort ist seine Tat, seine göttliche Kraft.37
Aber wie können wir Gottes tatmächtigen Worte heute hören, wo wir doch nicht mehr die Propheten des Alten Bundes sind oder die Apostel, die zu Jesu Füßen saßen? Nun, Gottes Worte im Munde der Propheten (Jeremia 1,9-10), die in der Bibel aufgeschrieben sind, sind heute, wo wir sie lesen, immer noch Gottes Worte (Jeremia 36). Ward hält es für extrem wichtig, dass der Prediger dies weiß. „Gottes nicht aufhörendes dynamisches Handeln durch den Geist“ ist „aufs Engste verknüpft mit den Worten der Schrift und ihrer Bedeutung.“38 Anders ausgedrückt: Indem wir der Bedeutung der biblischen Worte auf den Grund gehen, wird Gott in unserem Leben aktiv und mächtig. Die Bibel ist nicht nur Information, auch nicht nur wahre Information; sie ist „lebendig und voller Kraft“ (Hebräer 4,12) – Gottes zu Sprache gewordene Kraft. In dem Maße, wie wir die Bedeutung des biblischen Wortes verstehen, prägt Gott uns und macht uns neu.
Wenn Sie als christlicher Prediger und Lehrer dieses Verständnis von der Bibel kennen und bejahen, wird dies die Art, wie Sie predigen, zutiefst prägen. Wenn Sie lediglich glauben, dass der Geist Gottes in einem ganz allgemeinen Sinn irgendwie unter bestimmten Umständen wirkt, wenn Sie die Bibel predigen, werden Sie in Ihrer Predigt seine Macht und Autorität untergraben, indem Sie zu viel Gewicht auf Ihre eigenen Erfahrungen legen oder die Autorität mehr in den Traditionen und Lehren Ihrer Kirche suchen als in der Bibel selber. Oder Sie benutzen die Bibel als eine Art Sammlung von weisen Ratschlägen für die Probleme in der Gesellschaft oder unserem persönlichen Leben. Glauben Sie dagegen, dass die Predigt des Wortes Gottes einer der Hauptkanäle für Gottes Wirken in der Welt ist, dann werden Sie mit großer Sorgfalt und Zuversicht die Bedeutung des Bibeltextes freilegen, in der festen Erwartung, dass Gottes Geist im Leben Ihrer Hörer aktiv werden wird.39
So berühmte Beschreibungen des Wortes Gottes wie die, dass es ein „Feuer“ ist und „wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt“ (Jeremia 23,29), sind daher mehr als bloße Rhetorik. Ich habe Hunderte von Fällen erlebt, wo die Bibel selber eine Kraft bewies, geistliche Gleichgültigkeit und innere Verteidigungsmauern zu durchstoßen, die weit über meine Redekunst als Prediger hinausging. Ein paarmal musste ich sogar empörten Gemeindegliedern, die sicher waren, dass einer ihrer Freunde sie bei mir angeschwärzt hatte und dass ich mit meiner Predigt nur auf sie gezielt hatte, ehrlich schwören, dass ich keinerlei Kenntnis von ihren Problemen gehabt hatte, sondern dass die Bibel selber ihre „verborgensten Gedanken“ ans Licht gebracht hatte (1. Korinther 14,25). Ich bin nicht scharf auf empörte Predigthörer, aber ich muss sagen, diese Gespräche liebe ich.
Der