Markus Götz

bauhofLeiter-PraxisSpezial: Winterdienst kompakt


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übersteigen.

      Die Rechtsprechung zur Haftung der Kommune innerhalb geschlossener Ortslage gegenüber dem Fahrverkehr sei an einem Beispiel dargestellt:

      Kraftfahrer A fährt gegen 9.00 Uhr morgens im Dezember mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h auf einer geraden und ebenen Nebenstraße vom Rathaus zum Bahnhof. Ihm kommt ein Auto des B entgegen. A muss sein eigenes Kfz abbremsen, weil auf seiner rechten Seite ein anderes Kfz geparkt ist, sodass ein gleichzeitiges Passieren der beiden sich entgegenkommenden Fahrzeuge nicht möglich ist. Beim Abbremsen gerät das Kfz des A ins Schleudern und stößt mit dem anderen entgegenkommenden Auto zusammen. Die Straße war in diesem Bereich mit einer dünnen Eisschicht bedeckt und mit Schnee leicht „überzuckert“. Geräumt und gestreut war nicht. Der abbremsende Autofahrer A nimmt die Gemeinde für seinen am Auto entstandenen Schaden in Anspruch. Den Schaden am entgegenkommenden Fahrzeug B muss ja die Haftpflichtversicherung des A ersetzen.

      Lösung:

      Der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge ereignet sich innerhalb geschlossener Ortslage. Nachdem A eine Nebenstraße benutzte, ist zu vermuten, dass diese nicht verkehrswichtig ist. Dies müsste vom Gericht überprüft und festgestellt werden. Sicher aber ist die Nebenstraße nicht gefährlich. Denn sie verläuft gerade und eben, also ohne Kurven und Höhen. Das Hindernis des parkenden Pkw´s konnte A ebenso wie das entgegenkommende Auto bereits von Weitem erkennen und er hätte seine Fahrweise, insbesondere seine Geschwindigkeit darauf einstellen können. Hierzu war er aufgrund der winterlichen Verhältnisse verpflichtet. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass es unter dem Schnee nicht glatt sein würde; vielmehr hätte er damit rechnen können und müssen.

      Ergebnis:

      A fuhr mit seinem Kfz innerhalb geschlossener Ortslage auf einer nicht gefährlichen Straße. Dann aber fehlt es schon an diesem Tatbestandsmerkmal der „Gefährlichkeit“, sodass es auf die „Verkehrswichtigkeit“ der Straße gar nicht mehr ankommt. Voraussetzung für eine Haftung der Gemeinde wäre aber das gleichzeitige Vorliegen der beiden Tatbestandsmerkmale „Gefährlichkeit“ und „Verkehrswichtigkeit“, woran es hier fehlt. Der Schadenersatzanspruch des A gegenüber der Gemeinde ist unbegründet, weil die Gemeinde nicht haftet: Sie hat ihre Verkehrssicherungspflicht zum Räumen und Streuen der Straße nicht schuldhaft verletzt.

      Das muss im Winterdienst im Personenverkehr bedacht werden.

      Innerhalb geschlossener Ortslage

      Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die Anforderungen an den Winterdienst zugunsten der Fußgänger wesentlich höher sind als gegenüber Kraftfahrern. Das liegt darin begründet, dass das zu schützende Rechtsgut Leben (des Fußgängers) höher zu setzen ist als das Rechtsgut Sache (das Auto). Der Fußgänger muss in der Lage sein, innerhalb des bebauten Teils des Gemeindegebietes von einem Ort zu einem anderen Ort zu gelangen. Aber auch hier gilt der Vorbehalt des Zumutbaren; es wird auf die Leistungsfähigkeit der Kommune geachtet.

      Der Umfang der Räum- und Streupflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls; zu berücksichtigen sind insbesondere die örtlichen Verhältnisse, z. B. die Gefährlichkeit des Verkehrsweges, ferner dessen Art und Wichtigkeit, die Stärke des Verkehrs und die Zumutbarkeit der einzelnen Maßnahme (OLG Jena, NZV 2006, 578), insbesondere die Leistungsfähigkeit des Verkehrssicherungspflichtigen (BGH, NJW 2003, 3622).

      Die Kommunen sind also grundsätzlich verpflichtet, die „wichtigen“ Gehbahnen innerhalb geschlossener Ortslage zu räumen und zu streuen. Nachdem dies bei vielen, insbesondere großen Kommunen deren Leistungsfähigkeit übersteigen würde, weil sie dafür eine Vielzahl von Mitarbeitern einsetzen müssten, hat der Gesetzgeber in den Bundesländern die Kommunen in den jeweiligen Straßengesetzen ermächtigt, die Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger abzuwälzen. Anstelle der Kommunen sind dann die Straßenanlieger verpflichtet, den Winterdienst auf den Gehbahnen zu erbringen.

      Der Umfang des Winterdienstes auf Gehbahnen muss in einer gemeindlichen Verordnung oder Satzung geregelt werden. Deren Inhalt muss eindeutig sein, so dass jeder Anlieger rechtsfehlerfrei seiner Räum- und Streupflicht auf der Gehbahn nachkommen kann. In der Verordnung oder Satzung müssen enthalten sein: die Einsatzzeiten (meistens zwischen 7.00 Uhr und 20.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr), die Räum- und Streubreite (z. B. 1,50 m oder dass zwei Fußgänger im Begegnungsverkehr passieren können), die Angabe, wo der geräumte Schnee gelagert wird (z. B. auf der Gehbahn zur Straßenseite hin), die Art des Streumittels (z. B. Splitt, aber kein Salz).

      Unklarheiten hinsichtlich der Räum- und Streupflicht des Anliegers treten im Bereich der Haltestellen von Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf. Müssen dort die Anlieger zusätzlich diesen Bereich winterdienstlich bedienen? Die Frage wird unterschiedlich in den einzelnen Verordnungen und Satzungen entschieden. Muss ein Anlieger aufgrund der Verordnung oder Satzung auch dort – zusätzlich – räumen und streuen, so wird ihm im Verhältnis zu den anderen Straßenanliegern ein Sonderopfer auferlegt, weil er eben nicht nur in einer Breite von z. B. 1,50 m Winterdienst leisten muss, sondern auch für den Haltestellenbereich. Vernünftiger und verkehrssicherer dürfte es sein, wenn dieser Haltestellenbereich von der Gemeinde oder dem Betreiber des ÖPNV versorgt wird.

      Zulässig ist es auch, dass der Straßenanlieger die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten (Mieter, Verwalter, gewerblichen Unternehmer etc.) überträgt. Dann haftet der Übernehmer deliktsrechtlich (§ 823 BGB – unerlaubte Handlung).

      Soweit keine befestigte Gehbahn vorhanden ist, kann in der Winterdienstverordnung geregelt werden, dass die Straßenanlieger einen entsprechend breiten Streifen (z. B. 1,5 m) zu räumen und zu streuen haben. Allerdings bleibt bei der Kommune ein Rest ihrer Verkehrssicherungspflicht in Form ihrer Überwachungs- und Kontrollpflicht. Die Kommune muss dafür Sorge tragen, dass die Anlieger ihrer Pflicht zum Winterdienst nachkommen und sie ordnungsgemäß erfüllen. Sollte ein Anlieger sich pflichtwidrig verhalten, muss ihm die Kommune eine (kurze) Frist zum Nachholen des Winterdienstes auf seiner Gehbahn setzen und ihm kostenpflichtige Ersatzvornahme androhen.

      Rechtliche Probleme treten auch dort auf, wo ein Grünstreifen zwischen Anliegergrundstück und öffentlicher Straße vorhanden ist. In einigen Verordnungen oder Satzungen ist dieser Fall explizit geregelt, und zwar meistens dahingehend, dass der Anlieger verpflichtet wird. Fehlt eine solche Regelung, ist der Straßenanlieger dann zum Winterdienst auf der – entfernter liegenden – Gehbahn verpflichtet, wenn er von der Gehbahn einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil hat (z. B. eine Zuwegung zu seinem Grundstück über den Grünstreifen). Allerdings wird in der Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, dass ein übermäßig breiter Grünstreifen (mehr als 5–6 m) eine Winterdienstpflicht des Anliegers verhindert.

      Ein leidiges Problem in der Praxis stellen die von den kommunalen Räumfahrzeugen mit Schnee zugeräumten (befestigten oder unbefestigten) Gehbahnen dar. Soweit es sich um geringe Schneeablagerungen auf der Gehbahn handelt, dürfte es dem Anlieger zugemutet werden, ihn zu entfernen. Vor allem in schneereichen Gebieten, wo die Räumfahrzeuge den Schnee meterhoch auf den Gehbahnen auftürmen, kann von dem Anlieger nicht verlangt werden, diesen Schnee wegzuräumen, da er oft hierzu gar nicht die Mittel und die Kraft hat. Da wäre es besser, die Kommune unterließe das Räumen in solchen Straßen ganz, natürlich nur dann, wenn dort keine verkehrswichtigen und gleichzeitig gefährlichen Stellen sind, wo immer zu räumen und zu streuen ist. Ansonsten aber hat die Kommune den „aufgetürmten“ Schnee selbst zu entfernen, da sie die adäquate Ursache hierzu gesetzt hat.

      Fußgängerüberwege, soweit sie belebt und unentbehrlich sind, müssen von den Kommunen geräumt und gestreut werden (BGH, VersR 1993, 1106). Ansonsten aber sind auf Straßen die Fußgänger nicht vor Schnee und Eis zu schützen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass nicht jeder Zebrastreifen behandelt werden muss, solange er nicht belebt und unentbehrlich für die Fußgänger ist.

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