dann zu Jesus bringen, sollten wir doch besser Jesus zu den Menschen bringen, dorthin, wo sie sich aufhalten und leben. Dann erleben wir möglicherweise, dass daraus eine neue Art von Kirche entsteht, eine Kirche, die ihre Mitte mehr im Leben und am Arbeitsplatz hat, wo die Botschaft wirklich einen Unterschied machen sollte. Was wird geschehen, wenn wir den Samen des Reiches Gottes dort aussäen, wo sich das Leben abspielt und wo die Gesellschaft geformt wird. Ist es nicht genau das, was Jesus für seine Kirche beabsichtigt hat?
Wie wäre es, wenn Gemeinden auf organische Weise entstünden, wie kleine geistliche Familien, aus dem Boden der Verlorenheit geboren, weil hier der Same Gottes ausgesät wurde? Diese Gemeinden könnten sich reproduzieren, wie es alle lebendigen und organischen Dinge tun.
Wir haben erlebt, dass sich solche Gemeinden in Restaurants, Büros, in Privathäusern und -wohnungen, an Hochschulen, Schulen oder Stränden trafen. Andere hatten ihre Treffen in Bars, Kaffeehäusern, Parks oder Schließfachräumen. Eines unserer Gemeinde-Netzwerke hat sich zum Ziel gesetzt, dass es in Las Vegas für jeden Einwohner eine Gemeinde gibt, die er zu Fuß erreichen kann.“ Ein anderes proklamiert: „Jeder Christ ist ein Gemeindegründer, jedes Haus und jede Wohnung ist eine Gemeinde, und jedes Gemeindegebäude ist ein Trainingscenter.“ Das ist eine völlig neue Art, die Gemeinde Jesu zu sehen, und genau das passiert heute überall in der westlichen Welt. Ich glaube, dass dies eine ansteckende Bewegung ist, die mit den vielen Menschen in Kontakt kommt, die sich von der herkömmlichen Kirche gelöst haben, aber auf der Suche nach Jesus sind. Wir müssen Jesus in das Leben der Menschen bringen, und dies muss im Rahmen von Beziehungen geschehen.
In der Zeitschrift eines bestimmten Gemeindeverbands fand ich einmal einen Artikel, in dem die Evangelisationsmethode einer örtlichen Gemeinde herausgestellt wurde. Zur Weihnachtszeit hatten sie ihren Chor in ein großes Einkaufszentrum geschickt, um dort durch Weihnachtslieder die Botschaft Jesu zu verkünden. Dies wurde als erfolgreiche Aktion dargestellt, obwohl sie niemand angesprochen, zu keinem eine Beziehung hergestellt hatten. Keiner der Besucher des Einkaufszentrums konnte diesen kirchlich-religiösen Menschen in den fremdartigen Roben eine Frage stellen. Sie hörten lediglich Lieder, mit denen sie ohnehin schon über die Lautsprecher berieselt wurden. Wie eine Flugbegleiterin vor jedem Abflug verkündete auch der Chor lebenswichtige Informationen, die aber von kaum jemand beachtet wurden. Und trotzdem waren die Mitglieder dieser Gemeinde davon überzeugt, dass sie eine großartige Arbeit für Gott geleistet hatten. Mann, wir haben wirklich ein Problem!
Wenn wir diese Welt für Jesus gewinnen wollen, müssen wir uns wohl oder übel in die Raucherecken setzen, denn dort finden wir die verlorenen Menschen. Aber wenn wir verlangen, dass sie ihre Zigarette ausmachen, um die Botschaft zu hören, werden sie nur an eines denken, nämlich: „Wann kann ich wieder eine rauchen?“
Der Kern unserer Botschaft ist doch, dass Gott von uns nicht erwartet, dass wir zu ihm in den Himmel kommen. Er kam zu uns. Er lebte sein Leben zu unseren Bedingungen und auf unserem Terrain. Er inkarnierte sich. Dies ist ein theologischer Begriff und bedeutet so viel wie, dass er „im Fleisch“ oder in „in einem menschlichen Körper“ war. Wenn ich mir Chili „con carne“ bestelle, bestelle ich Chili mit Fleisch, mit Substanz. Jesus war der inkarnierte Gott. Er war die Wahrheit im menschlichen Körper, sodass jeder sie sehen konnte. Er „… wurde Fleisch … und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14).
Die Lieder des Chores hatten genau dies zum Inhalt, aber die Menschenmassen gingen einfach daran vorbei, ohne auch nur darüber nachzudenken. Als Jesus kam, trug er weder eine bunte Robe, noch blieb er distanziert, noch sang er den Leuten Lieder vor. Er kam genau wie wir nackt durch den Geburtskanal. Jemand musste seine Windel wechseln, und für eine gewisse Zeit konnte er sich wie alle anderen Menschen seit Adam und Eva nur durch Schreien verständigen. Er war arm und lebte unter uns. Er machte seine Hände schmutzig und diente den Menschen. Schließlich, nach seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung kam er irgendwann im 20. Jahrhundert auch zu mir. Wir müssen ihn auch heute zu den verlorenen Menschen kommen lassen.
Jesus ist immer noch inkarniert: Jetzt sind wir seine Füße, seine Hände, seine Augen und sein Mund. Wir sind der Leib Christi. Wir sind sein Tempel, und der Heilige Geist wohnt in unserem Fleisch (vgl. 1 Kor 6,19). Wir sind nicht die Gottheit, aber die Gottheit wohnt in uns, und ich finde, dass diese Wahrheit eine Realität ist, die unser Leben so dramatisch verändert, dass andere dies bemerken sollten.
Sir Walter Moberly schrieb 1949 das Buch The Crisis in the University (Die Krise in der Universität). Er hatte festgestellt, dass Evangelikale es nicht schafften, die Hochschulen mit dem Evangelium zu durchdringen. Für alle, die vorgeben, Jesus nachzufolgen, haben seine Worte von damals auch heute noch Biss: „Wenn auch nur ein Zehntel von dem, was ihr glaubt, wahr ist, dann solltet ihr zehnmal begeisterter sein.“2 Das sind die Worte eines Nichtchristen, der unsere Predigten gehört und unser Verhalten studiert hatte. Es tut weh, weil es wahr ist. Wir müssen anfangen, das Wort Jesu und den Geist Gottes so reichlich in uns wohnen zu lassen, dass seine göttliche Gegenwart spürbar ist. Das ist es, wofür Jesus gestorben ist.
Der Theologe Lesslie Newbigin sagt ganz richtig: „Die Kirche ist in die Welt gesandt, um das fortzuführen, wofür Jesus gekommen ist, und zwar in der Kraft desselben Heiligen Geistes Menschen mit Gott zu versöhnen“3 (vgl. Joh 20,19-23).
Dieses Buch ist ein Aufruf, zu unseren Wurzeln zurückzukehren. Die Gemeinde soll lebendig, organisch und im Fleisch sein. Sie soll dort hervorkommen, wo sie am meisten gebraucht wird. Die Kirche soll fruchtbar sein, sich multiplizieren und die Erde füllen, wie es Jesus beabsichtigte, als er dafür bezahlte.
Im Film „Apollo 13“ kam ein engagiertes Team hingegebener Leute bei der NASA zusammen, um ein schwieriges Problem zu lösen. Unter Ausnutzung einfacher Komponenten, die schon an Bord der Raumkapsel waren, fanden sie eine kreative Lösung, um die Astronauten zurück zur Erde zu bringen. Was sich schnell zum größten bisher dagewesenen Problem der NASA entwickelt hatte, wurde stattdessen ihr heldenhaftester Moment. Was wäre passiert, wenn die beteiligten Leute geleugnet hätten, dass es ein Problem gab? Wenn wir das Problem nicht erkennen, fehlt die kreative Energie, um Lösungen zu finden.
Der Anfang einer jeder großen Errungenschaft ist, dass ein Problem erkannt wird. Zusammen mit einem klaren Ziel und kreativer Energie kann durch diese Erkenntnis viel erreicht werden. Gott hat uns bereits alles gegeben, was wir brauchen. Wir müssen nur die einfachen Dinge in einem neuen Licht betrachten. Es gibt Lösungen, die auf der Hand liegen, wenn wir nur unsere Augen und Ohren für das öffnen, was der Heilige Geist den Gemeinden mitteilen will. Gott schweigt nicht; er hat sich nicht zurückgezogen, sondern er ist aktiv beteiligt und motiviert. „Bittet und ihr werdet empfangen“ (vgl. Mt 7,7).
Beim Lesen dieses Buches werden Sie vielleicht überrascht sein, wie einfach und naheliegend die Lösungen sind. Das Buch ist praktisch gehalten; es geht aber nicht um ein bestimmtes Gemeindemodell, sondern darum, wie die Wahrheit, die wir in der Bibel finden, heute Fleisch werden kann. Wenn Sie tiefgehende, komplexe und methodisch ausgeklügelte Antworten suchen nach dem Schema „Wie mache ich …?“, werden Sie enttäuscht werden. Die Antworten finden wir nicht in unseren Modellen, Methoden und menschlichen Systemen, sondern in der Wahrheit des Wortes Gottes und indem wir vom Heiligen Geist erfüllt und geführt werden. Ich hoffe, dass dieses Buch Sie wachrüttelt, sodass Sie die alte, vertraute Stimme wieder hören – die leise, säuselnde Stimme des Geistes –, die uns aufruft, neu und wieder mit ihm zu gehen. Alles, was komplizierter ist, ist nur zum Scheitern verurteilt.
Himmel, wir haben ein Problem. Zeige uns die Lösung und öffne unsere Herzen, damit wir sie empfangen können.
1 McNeil, R., The Present Future Church, Jossey-Bass, San Francisco 2003, S. 4.
2 Moberly, Sir W., The Crisis in the University, SCM Press, London 1953.