Quellenverzeichnis
Vorwort
Gegenstand vorliegender Arbeit ist die vergleichende Darstellung der Erziehungsmodelle in den Staatsjugendorganisationen des 'Dritten Reiches' und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)1. Dabei wird dem Aspekt der Vermittlung der jeweiligen Staatsideologie an die heranwachsenden Generationen besonderer Raum zugestanden, bildeten doch die politischen Doktrinen der staatsführenden Parteien die Grundlagen für Erziehungsprogramme und Statuten beider Jugendorganisationen. Eine Erziehung im humanistischen Sinne, mit dem Ziel einer freien individuellen Persönlichkeitsentfaltung eines jeden Menschen, war in beiden Systemen nicht erwünscht. Ohne Rücksicht auf Individualität wurden die Kinder und Jugendlichen durch eine staatlich gelenkte Fremdbestimmung weitgehend zu Objekten ihres eigenen Entwicklungsverlaufs degradiert. Durch diese Indoktrination der Heranwachsenden sollte langfristig der totalitäre Herrschaftsanspruch beider Systeme und ihrer führenden Parteien gesichert werden. Im Folgenden wird darum der Frage nachgegangen, ob es trotz stark differierender Ideologien im Nationalsozialismus und Sozialismus Übereinstimmungen in den Strukturen und Programmen beider Jugendorganisationen gab und ob es einem von beiden Systemen effektiver gelang, ihre Jugend zur Staatskonformität zu erziehen.
Aufgrund der recht umfangreichen Thematik erfolgt in vorliegender Untersuchung eine Eingrenzung auf bestimmte Altersgruppen. Für die Hitlerjugend2 und den Bund Deutscher Mädchen liegt der Schwerpunkt auf den 14 bis 18 -Jährigen. Da die Mitgliedschaft der FDJ im Allgemeinen erst im Alter von 25 Jahren endete, wird in jenem Bereich die untersuchte Altersgruppe weiter gefasst. Allerdings muss erwähnt werden, dass ohnehin ein Großteil der jungen Erwachsenen bereits früher aus dieser Organisation austrat.
Des Weiteren beschränkt sich die Abhandlung zur HJ und zum BDM im Großteil auf die Zeit zwischen 1933 und 1941, da sich die Praxisarbeit innerhalb der Verbände während des II. Weltkriegs gravierend änderte und eine gesonderte Darstellung benötigte.
Bestimmte Themenbereiche, wie die der oppositionellen Jugendgruppen, die sich in beiden Systemen illegal als Gegenpositionen zur Staatsjugendorganisation formierten und eigene Interessen vertraten, wie auch die Suche vieler Jugendlicher nach einem selbstbestimmten Leben, werden in dieser Arbeit in einem gesonderten Kapitel betrachtet, können jedoch in diesem Rahmen nur angerissen, nicht aber in ihrer ganzen Dimension abgehandelt werden.
Abschließend noch ein paar Bemerkungen zum Forschungsstand. Sowohl in der älteren, als auch der jüngeren Literatur sind die jeweiligen Jugendorganisationen unter dem Anspruch der Objektivität oft verallgemeinernd und idealisiert dargestellt. Die Wirklichkeit aber, die strukturellen und regionalen Unterschieden unterworfen war, im zeitlichen Wandel starke Veränderungen erfuhr und subjektiv von den einzelnen Betroffenen wahrgenommen wurde, wich in vielerlei Hinsicht davon ab. Es werden darum in einzelnen Fällen Berichte von Zeitzeugen und Auszüge aus Interviews eingeflochten, um die Vielschichtigkeit der Thematik andeuten zu können.
Das vorliegende Buch entstand auf der Grundlage der im Jahr 2011 gefertigten Diplomarbeit „'Jugend für den Staat erzogen' - Erziehung in den Staatsjugendorganisationen des 'Dritten Reiches' und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Hinblick auf die Umsetzung der jeweiligen Staatsparteidoktrin“ an der Universität zu Köln, unter der Betreuung von Prof. Dr. Hans-Joachim Roth.
1.1 Jugendverbände im Kaiserreich
Die historische Entwicklung der Jugendverbände und Jugendbewegung reicht weit in die Geschichte des 19. Jahrhunderts zurück und damit in eine Zeit, als auf Grund veränderter Arbeits- und Lebensbedingungen erstmals überhaupt die Lebensphasen von 'Kindheit' und 'Jugend' ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt waren. 1839 wurde per Gesetz in Preußen die Arbeitszeit für Jugendliche unter 16 Jahren auf 10 Stunden begrenzt, Kinderarbeit unter 9 Jahren gänzlich verboten. Damit erhielten Kinder und Jugendliche erstmals einen gewissen Freiraum, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur verstärkten pädagogischen Wahrnehmung dieser entscheidenden Lebensphase führte und „[…] entsprechende Institutionalisierungsformen nach sich zog.“3
Neben der amtlichen 'Jugendpflege', deren Anliegen darin bestand, die Jugend zu „einer frohen, körperlich leistungsfähigen, sittlich tüchtigen, von Gemeinsinn und Gottesfurcht, Heimat- und Vaterlandsliebe erfüllten“4 Generation zu erziehen, entwickelten sich in kurzer Zeit im Wilhelminischen Kaiserreich eine Vielzahl an Jugendverbänden, die sich in drei Bereiche unterscheiden lassen: christlich geprägte Vereinigungen, bürgerlich-nationale Jugendgruppen und Arbeiterjugendvereine.5 Daneben entwickelte sich als Antwort auf die zunehmende Industrialisierung des beginnenden 20. Jahrhunderts, die einherging mit einer rasanten Verstädterung und „Modernisierung des Lebens“6, eine eigenständige Jugendbewegung. Besonders in bürgerlichen Kreisen lehnten sich die Jugendlichen vermehrt gegen Gehorsam und Drill und somit gegen verkrusteten autoritäre Strukturen in Elternhaus und Schule auf und nutzen die Chancen der Umbruchszeit für das Aufbrechen überkommener Erziehungsmethoden. Studenten und Gymnasiasten fanden in Gruppen zusammen und wanderten gemeinsam an den Wochenenden in die Natur hinaus. Das romantisierende Naturerlebnis, die Rückkehr zum einfachen, asketischen Leben unterwegs auf dem Lande, orientiert an den Wanderungen zunftständiger Handwerksburschen, stand dabei bewusst einer zunehmenden Einbindung des Menschen in das Räderwerk einer die Umwelt dominierenden Industrialisierung entgegen.
Aus dieser anfänglich sporadischen Wanderbewegung gründete sich 1901 in Berlin – Steglitz der erste Wandervogelverein, der sich vor dem ersten Weltkrieg in ganz Deutschland ausbreitete und in viele verschiedene Gruppierungen aufsplitterte.7 Ab 1907 etablierten sich neben dem Wandervogel weitere, meist studentische Gruppierungen wie die Studentischen Akademischen Freischaren und die Akademische Freideutsche Jugend.8
Ein Novum dieser studentischen Jugendbewegungen war ihr struktureller Aufbau aus eigenen Reihen. Die einzelnen Gruppierungen kamen meistens ohne erwachsene Leitungspersonen aus und blieben weitgehend unpolitisch. Auf dem 'Ersten Freideutschen Jugendtag' – einem Treffen verschiedener Bünde am Hohen Meißner bei Kassel im Oktober 1913 - wollten die verschiedenen Gruppierungen eine gemeinsame „Plattform und organisatorische Formen der Zusammenarbeit“9 schaffen. Doch diese Pläne gelangten durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges nicht mehr zur Umsetzung.
Unter den offiziellen Verbänden stellten in der Vorkriegszeit die christlichen Vereinigungen, schon auf Grund ihrer hohen Mitgliederzahlen, die gewichtigsten Bündnisse dar. 1912 existierten „katholische Jünglingsvereine, Gesellenvereine, Burschenvereine und Jungfrauen-Kongregationen“10, daneben Evangelische Jünglingsvereine sowie Christliche Vereine junger Männer. In den folgenden Jahren entstanden auch christliche Vereinigungen, die unabhängiger von kirchlichen Institutionen arbeiteten als die erwähnten.
Im bürgerlich-nationalen Spektrum lag ein deutlicher Schwerpunkt auf der körperlichen Ertüchtigung der jungen, wehrfähigen männlichen Jugend, so dass sich hier zahlreiche wehrsportliche Gruppierungen zusammenfanden, die ab 1899 durch den „Ausschuss zur Förderung der Wehrkraft durch Erziehung“11 vertreten wurden. Zu den vom „wilhelminischen Militarismus“12 geprägten Verbänden gehörten die Deutsche Turnerschaft, die Berliner Jugendwehr und das Deutsche Späherkorps. Auch