Anne Neunzig

Staatsjugendorganisationen – Ein Traum der Herrschenden


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für die 17- bis 21-jährigen Mädchen sowie BDM-Haushaltsschulen werden gegründet. Für die jungen Frauen wird ein 'Pflichtjahr' eingeführt.

      Im April wird das Gesetz über Kinderarbeit und die Arbeitszeit der Jugendlichen verabschiedet, welches die Situation der Kinder und Jugendlichen stark verbessert.66

      Bedeutendes Ereignis dieses Jahres ist das Zusammentreffen aller HJ- und BDM-Führer/​innen am 24. Mai zum Reichsführerlager. Im Hinblick auf einen möglichen Krieg finden folgende Bereiche Einzug in die HJ- und BDM-Arbeit: „steigende Gesundheitsvorsorge, die Anstrengung um den Erhalt der jugendlichen Leistungsfähigkeit sowie die Luftschutzausbildung – und natürlich die seit 1938 forcierte militärische Ertüchtigung der Jugend“67.

      Der HJ-Streifendienst wird eine Sonderformation für den SS- und Polizeinachwuchs.68

      Nach der Besetzung des Sudetenlandes und dem Anschluss Österreichs an das 'Dritte Reich' werden deren Jugendorganisationen in die Hitlerjugend integriert.69

      1939 ('Jahr der Gesundheitspflicht')

      Die körperliche Gesundheit wird propagiertes Ziel dieses Jahres. Um in der Zukunft gesunde Nachkommen zu zeugen, wird besonders die Jugend angehalten, durch Sport, Körperpflege und Lebenshaltung den eigenen Körper gesund und kräftig zu halten.70

      Im September Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Polen. Beginn des 2. Weltkriegs.

      Im November Erlass der 3. Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitlerjugend vom 01. 12. 1936, der die praktische Umsetzung regelt. Fortan werden alle Kinder und Jugendlichen per Gesetz automatisch in die HJ integriert. Der Jugendführer darf fortan die Staatsorgane für die Durchsetzung seiner Ziele zu Hilfe nehmen.71

      Die Hitlerjugend wird in diesem Jahr in eine 'Stamm-HJ' und in eine 'Allgemeine HJ' aufgeteilt. Mitglieder der 'Stamm-HJ' sind alle vor 1939 aufgenommenen Mitglieder der Jugendorganisation oder ehemalige Mitglieder der 'Allgemeinen HJ', die sich nach einem Jahr bewährt hatten.72

       Abb. 2: Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend

      Mit Kriegsbeginn erhält die Staatsjugendorganisation neue Aufgaben. Die HJ übernimmt fortan „Partei-Einsätze (Kurier-, Wach-, Propaganda-Dienst); Einsatz für Staat und Kommunen (Meldedienst, Luftschutz, Feuerwehrdienst; sogenannte Technische Nothilfe; Hilfsdienst bei der Post, der Bahn, Einsatz bei der Wehrmacht (Kurier- und Verladedienst, Verpflegungsausgabe, Telefondienst u. a.m.); Einsatz in Wirtschaftsbetrieben und Arbeitskommandos; Sammlungen von Altmaterial, Kleidungsstücken u. ä.; Land- und Ernteeinsätze, NSV-Dienst und 'kulturelle Betreuung'“73

      Der BDM übernimmt fortan auch Aufgabenbereiche, in denen die Männer aufgrund des Krieges fehlen. Ihm obliegt auch die Versorgung Verwundeter und Kranker.

      Ab 1940 ('Jahr der Bewährung')

      1940 tritt Baldur von Schirach als Reichsjugendführer und Jugendführer des deutschen Reiches74 zurück und übergibt seine Position an Artur Axmann. Neben seiner Tätigkeit als Reichsleiter für die Jugendführung der NSDAP erfolgt seine Ernennung zum Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien.75

      Um die Dienstpflichtverordnung nicht zu gefährden, wird die „Disziplinarordnung der HJ in eine Dienststrafordnung umgewandelt, die ein Verfahren bei Nichterfüllung der Dienstpflicht […][vorsah] und Verstöße gegen die HJ-Disziplin, 'Gefährdung des öffentlichen Ansehens der HJ' und ähnliches mehr verfolgt[…].“76

      Im März Einberufung des vollständigen Jahrgangs 1923 zur Jugenddienstpflicht.

      Beginn der 'Kinderlandverschickung' mit der Evakuierung von Schulkindern aus kriegsgefährdeten Regionen.77

      1941 ('Unser Leben, ein Weg zum Führer')

      Die Mitgliedszahlen der Gesamt-HJ steigen während des Krieges weiter an, da die Jugendorganisationen der eroberten Gebiete häufig in die Gesamt-Hitlerjugend integriert werden.78

       Abb. 3: Dienststrafordnung der HJ.

      1942 ('Osteinsatz und Landdienst')

      Schirach und Axmann gründen den Europäischen Jugendverband. Er schließt sich aus faschistischen Jugendorganisationen Österreichs, Italiens und einiger anderer Länder, die mit dem Deutschen Reich sympathisieren, zusammen.79

      1943 ('Kriegseinsatz der deutschen Jugend')

      Die Kriegseinsätze der HJ werden intensiviert, ab Januar werden selbst Schüler als HJ-Luftwaffenhelfer eingezogen.

      Der Widerstand vieler Jugendlicher gegen die Gesamt-HJ, vor allem gegen die HJ-Dienstpflicht, wächst. Dem begegnet die Staatsjugendorganisation mit „stärkeren Disziplinarmitteln, Ausweitung des Jugend-Arrests, Verschärfung der Kontrollen des Streifendienstes, Forcierung des militärähnlichen Drills und Zuhilfenahme der Staatsorgane und ihrer Mittel“80.

      Die gesamte Hitlerjugend entwickelte sich während des Krieges zu einer „Kriegshilfsdienstorganisation“81. Kriegsbedingte Themen bestimmen in zunehmenden Maß den Inhalt der Arbeit. Der BDM beteiligt sich z. B. an der Gesundheitsversorgung in den Lazaretten, bereitetet Essen für Bedürftige zu, fertigt und flickt Soldatenkleidung, stellt Spielzeug für die Kinder her, hilft in Betrieben, Fabriken und Bauernhöfen.

      Im Sommer 1943 zeigen sich erste Zerfallserscheinungen der Gesamt-HJ.

      1944 („Jahr der Kriegsfreiwilligen“)

      Die Jugend wird zu einem „sinnlosen Widerstand“82 aufgerufen. Der männliche Jahrgang 1929 wird zum Wehrdienst einberufen und auch Mädchen werden jetzt in den Wehrdienst integriert.

      1945

      Die gesamte Hitlerjugend zerfällt bei Kriegsende gemeinsam mit dem 'Dritten Reich'.83

       Abb. 4: Mitgliederbewegung

3. Die Staatsparteidoktrin des 'Dritten Reiches'

      Als einzige Partei im totalitären nationalsozialistischen Staat zugelassen, erhielt die NSDAP die Monopolstellung als Staatspartei. Ihre programmatischen Grundsätze wurden als Doktrin erklärt und erhielten absolute Gültigkeit für alle Bürger des Staates.84 Systemkritische Einstellungen und Meinungen wurden verboten und durften somit in keiner Form bekundet werden. Zuwiderhandlungen wurden mit Strafverfolgung geahndet.

      Im Gegensatz zu anderen Ideologien besaß die nationalsozialistische Weltanschauung nie ein stringentes System. Sie bestand aus einem „Ideenkonglomerat“, „das Vorstellungen, Leitbilder und Ressentiments des deutschen nationalen Bürgertums vereinigte.“85 Hitlers Weltanschauung, erörtert in seinem Buch 'Mein Kampf', kreiste im Kern um die aus der Ariosophie aufgenommene und verschärfte Anthropologie der „Erkenntnis von der Ungleichheit der Menschen“86. Rassismus und Antisemitismus, die Hervorhebung der 'arischen' Rasse über die nicht-arischen Völker und das damit verbundene Elitedenken wurden somit grundlegend für alle weiteren ideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten.87 Der Standpunkt des einzelnen Menschen wurde „durch sein Blut und durch seine Rasse“ definiert.88

      Innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie war das Führerprinzip von wesentlicher Bedeutung. Es griff das vermutete germanische Prinzip von 'Führer und Gefolgschaft' auf, in dem der Führer allen Menschen des Volkes hierarchisch übergeordnet war und seitens der Untertanen bedingungsloser Gehorsam gegenüber dem Staatsoberhaupt verlangt wurde.89 Damit erfolgte zugleich die Negierung des Einzelnen zugunsten der Volksgemeinschaft im Sinne der Parole: 'Du bist nichts – Dein Volk ist alles'90 als integrativer Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Sie entlehnte dafür Gedankengut aus der Zeit des 1. Weltkriegs, als sich der einzelne Soldat angeblich für die Gemeinschaft opferte. Aus nationalsozialistischer