Gerd vom Steinbach

Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen


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wasche mich lieber einmal richtig kalt und bin den ganzen Tag warm und gut durchblutet.“

      „Und wir trinken dein Waschwasser, du Ferkel!“, ärgert sich Gunhild.

      „Drei Schritte weiter kannst du gern ein Bad nehmen!“

      „Lieber nicht“, Gerlinde kann sich die Boshaftigkeit nicht verkneifen, „dann steht ja gleich die ganze Aue unter Wasser.“

      Sicher wäre es zu einem handfestem Streit zwischen den Frauen gekommen, wenn nicht just Hildebrands Stimme herübergedrungen wäre:

      „Ihr könnt von mir aus noch bis heute Mittag hier herumtoben und ganze Bärenfamilien in die Flucht schlagen! Aber wenn nicht ganz schnell das Essen fertig ist, geht es mit leerem Magen weiter!“

      Hastig kommt seine Frau herübergelaufen. Gerfriede behauptet unter den Frauen ihre Führungsrolle mühelos, was sicher auch von der Stellung ihres Mannes herrührt. Doch auch ihr hohes Alter, ihre Klugheit und ihr bestimmtes Auftreten verleihen ihr eine nicht zu übersehende Geltung. „Jetzt lasst das Gezänk, ihr Weibsbilder! Für Rangeleien ist keine Zeit, wir müssen uns beeilen!“ Diese Mahnung weckt schließlich ihre Vernunft und rasch gehen die Frauen an ihr Tagewerk. Wie sie es seit Beginn der Fahrt gewohnt sind, teilen sie sich in die Aufgaben, denn eine Haushaltung wie am festen Wohnsitz wäre viel zu aufwendig. Außerdem schweißen die gemeinsamen Erlebnisse die Familien trotz aller Unterschiede fest zusammen.

      Als die ersten Sonnenstrahlen, ganz nach Elses Worten, zaghaft durch den Nebel finden, sind die Wagen beladen und die Ochsen stehen im Geschirr. Peitschenknallen und schallende Ho-ho-Rufe künden lautstark vom Aufbruch. Ein paar ältere Jungen und Mädels gehen der Kolonne voran und schlagen das störende Geäst von der Trasse, die von der Spur der Vorhut markiert wird.

      Ein gutes Stück weiter, doch immer noch in Sichtweite, schreitet Reinhold voraus, die Befahrbarkeit des Bodens prüfend und die Sicherheit der Kolonne in Fahrtrichtung im Auge haltend. Sein Fuhrwerk hat er Ludwig, seinem ältesten Sohn anvertraut, der mit seinen sechzehn Jahren schon recht geschickt den Wagen zu führen weiß. Da das Tempo des Zuges von den trottenden Rindern bestimmt wird, fällt es Reinhold nicht schwer, die Trasse festzulegen und gleichzeitig das Umfeld gründlich auszuspähen. Doch ist der Wald zu dicht, als dass ein einzelnes Augenpaar alles überblicken könnte. Freilich wäre es zweckmäßiger, würden Späher im weiten Umkreis die Beobachtung übernehmen, aber dafür sind sie zu wenige Leute.

      Hildebrand hat diese Sorge deutlich aufgezeigt, aber eine andere Lösung als die jetzige konnten sie nicht finden, schließlich sind sie kein Heerwurm, sondern Siedler auf dem Treck.

      „Ohne Risiko kommen wir nicht weiter, wir müssen auf Gott vertrauen!“, hatte er seine Unterweisung beendet. Nur gut, dass die Halbwüchsigen die Fahrt als ein Abenteuer betrachten und entlang der Schneise mehr oder weniger aufmerksam spähen. Doch wenn die Kolonne wieder in den Wald eintaucht, ist die Beobachtung kaum noch möglich und es wird sehr auf das scharfe Auge von Heribert ankommen, der von seinem Gespann aus, das an zweiter Stelle rollt, die Schatten der riesigen Bäume mit seinem Adlerblick zu durchdringen vermag.

      Am Schluss des Wagenbandes wachen der kleinwüchsige Matthias und seine nicht minder große Frau Sabina mit höchster Aufmerksamkeit. Beide sind keineswegs ängstlich und Hildebrand hatte keine Mühe, als er ihnen diesen besonders gefährdeten Platz zuwies. Reinhold stellt sich vor, wie verzwickt die Lage im Falle eines Angriffs von hinten für sie wäre. Die vorn können weiter vor oder zur Seite flüchten, aber das letzte Fahrzeug wird vom vorherfahrenden blockiert und seine Fuhrleute können nichts anderes tun, als sich dem Kampf zu stellen. Reinhold schrickt auf und ruft einen der Burschen herbei.

      „Lauf hinter zu Meister Hildebrand. Er soll die Abstände zwischen den Fuhrwerken auf zwei bis drei Gespannlängen vergrößern lassen, damit sie bei Gefahr reagieren können!“ Der Junge flitzt los und kurz darauf bekunden die Rufe von Fahrzeug zu Fahrzeug, dass der Gedanke aufgegriffen wurde und umgesetzt wird.

      Als die Sonne langsam sich ihrem niedrigen Zenit nähert, hat sich die Bachaue gleich einem Trichter so sehr verengt, dass gerade noch zwei Wagenbreiten das sprudelnde und gurgelnde Wasser von dem Pfad trennen, der mit seinen sumpfigen Grasnarben einen halsbrecherischen Saum bildet. Die Mäander zwingen die Ochsen, ihre schwere Last in häufigen Bögen einmal durch weichen Grund, dann wieder über scharfkantige Steine zu ziehen. Das weiße, kraftlose Sonnenlicht ringt mit den schweren Schatten der kahlen Eichen und malt auf den sich stetig wandelnden Boden ein wirres Muster aus Streifen und Linien. Selbst am hellerlichten Tage bereitet die schwarze Tiefe des Waldes den Reisenden Unbehagen, was durch das Krächzen der Rabenvögel noch verstärkt wird, wenn diese plötzlich scharenweise aufsteigen.

      Besorgt schaut Rudolf zum Himmel. „Die Luft ist zu klar, kein Wölkchen ist zu sehen und außer dem Gekrächze ist kein Ton zu vernehmen. Das sieht mir sehr nach Frost und Schnee aus!“ Mühsam versucht er trotz seines straffen Verbands sich zur Seite zu beugen, um am vorausfahrenden Fahrzeug vorbeizuschauen. Ein stechender Schmerz in der Hüfte lässt ihn schnell wieder lotrecht und steif wie ein Wurfspieß sitzen.

      „Ist wohl noch nichts mit Tanz und galanten Verbeugungen vor den Schönheiten, wie?“, kichert die alte Hildburga an seiner Seite. „Bleib nur ruhig sitzen, mein Jungchen. Um das Wetter muss dir nicht bange sein. Heute noch erreichen wir das alte Kastell auf dem Höhlenberg und werden es dort sicher schön warm haben.“

      Überrascht blickt Rudolf in das runzlige Gesicht seiner Begleiterin. „Welches Kastell, Alte? Waren hier etwa auch die Römer mit ihren Heerlagern? Wieso willst du überhaupt davon wissen, wenn du noch nie hier gewesen bist?“

      Ein überlegenes Lächeln erhellt ihre von zahllosen Erfahrungen gezeichneten Züge. Wie sollen die jungen Leute je ihre Ahnungen begreifen, wenn selbst Alte sich ihnen in Befangenheit des stumpfen Alltagsdenkens versperren? Zu sehr ist die Gewohnheit verbreitet, das Unerklärliche als unmöglich abzutun. „In meiner Familie wurde das Wissen immer weitergegeben. Meine Großmutter hat mir in meiner Kindheit schon von meiner Urgroßmutter erzählt, dass deren Vater als junger Krieger in den fernen Osten aufgebrochen war, um in der Wildnis des Waldgebirges den Sorben zu trotzen. Sie errichteten am Eingang eines riesigen Talkessels auf einem Bergsporn eine Burg, auf die sie sich zurückziehen konnten, wenn Gefahr drohte. Entlang eines Flüsschens hatten sie Felder im Tal angelegt. Im Berg gab es Höhlen, in denen sie die Ernte aufbewahrten. Es wird wohl ein halbes Menschenleben vergangen sein, ehe mein Vorfahr wieder heimgekehrt ist.“ Rudolf imponiert die Geschichte. Mutter Hildburga versteht es, fesselnd zu erzählen.

      „Aber das ist so lange her. Warum hat dein Ahn nicht die Familie nachgeholt und das urbare Land erweitert?“ Die Alte schüttelt den Kopf.

      „Die Zeit war noch nicht reif. Wer zieht schon in die Ferne, wenn zu Hause alles friedlich ist. Die Sorben siedelten sich weiter im Norden an. Nur wenige kamen zu den Unseren. Eine Besiedlung der Wildnis erschien unserem Volk nicht mehr sinnvoll. Als ein gewaltiges Hochwasser das Flüsschen zum reißenden Strom anschwellen ließ und die gesamte Erne verdarb, kehrten die Männer schließlich zurück.“

      „Woher weißt du aber, dass wir in eben diese Gegend ziehen?“, fragt der junge Fuhrmann skeptisch. „Dass wir an jenen unheilvollen Ort reisen, wo aus einem mageren Bächlein plötzlich ein mächtiges Flutwasser wird?“

      „Wirst es schon sehen, du Schlaubart. Unser Ziel sind doch die Höhlenberge, und wo hatten unsere Ahnen ihre Ernte gelagert? So viele Höhlenberge gibt es nicht. Und sie waren am Eingang eines riesigen Talkessels. Sieh doch, die Höhen wenden sich mehr und mehr gen Süden, vor uns liegt fast nur noch flaches Land.“

      „Aber, Mutter Hildburga“, lacht Rudolf, „in einem Gewässerlauf – und sei es ein noch so mager – erhebt sich niemals ein Berg. Wenn du meinst, dass sich die Berge zurückziehen, können sie sich doch schon bald wieder unserem Pfad zuwenden. Nur verwehrt uns der Wald den Blick darauf.“

      „Warten wir es ab, die Zukunft wird zeigen, wer im Recht ist.“ Die Alte ist sichtlich pikiert. „Man sollte durchaus auf die Geschichten, die am heimischen Herd erzählt werden, vertrauen, aber dafür habt ihr jungen Leute keinen Sinn! Nur was ihr greifen könnt, lasst