Harald Rockstuhl

Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810


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hinginge. Ich mußte nun fast um die halbe Stadt herum, um auf den rechten Weg zu kommen, machte dann Beine und stiefelte eine Stunde lang recht darauf los. Hernach legte ich mich im Schatten nieder, um über mein Schicksal nachzudenken.

      ,Da!‘, dachte ich, ,nun hast du schon einen Betrug gemacht und bist kaum von zu Hause weg.‘ Ich holte mein Büchlein heraus, ob da nicht ein Gebet stände für diese Sünde, fand aber keines. ,Nun, er wird ja wohl einen anderen Gesellen kriegen‘, beschwichtigte ich mein Gewissen und blätterte weiter, bis ich zu den Marschrouten kam.

      Also: Nordhausen, Stolberg, Güntersbergen, Quedlinburg, Egeln, Magdeburg waren zu erobern. Mein Mut stieg wieder hoch auf; ich sprang in die Höhe und marschierte weiter. Abends in Heringen ließ ich mir Brot geben, Wurst hatte ich selber, trank Bier und schlief wie das gute Gewissen. Am anderen Morgen ging ich zu keinem Bäcker, sondern machte mich gleich auf den Weg. ,Was sollst du eigentlich in Nordhausen machen?’ dachte ich und fragte einen Mann, ob ich nicht geradezu auf Stolberg gehen könne. Er meinte, der gerade Weg nach Stolberg sei zwar im Sommer sehr angenehm, aber ein Fremder könnte sich doch leicht da verirren. Nachdem ich wieder eine halbe Stunde gewandert war, traf ich auf einen alten Bauern. Der sagte, mit dem Verirren wäre es gar nicht so schlimm. Wenn ich wollte, so könne ich hier gleich mit ihm rechts abgehen auf einem Fußsteige, der nach seinem Dorfe führe – und wer mitging, das war ich.

      Als ich den Bauern mit seinem Dorfe wieder eine Stunde im Rücken hatte, fing mir das Ding doch an wunderlich zu werden. Keine Seele hatte ich angetroffen und vor lauter Bäumen sah ich keinen Wald mehr. Der Weg war alle geworden, wie man zu sagen pflegt, bald links, bald rechts mußte ich durchs Gebüsch kriechen, das Felleisen drückte schwer; ich ließ mich nieder, um auszuruhn.

      ,Hier hilft kein Beten‘, dachte ich. ,Doch halt!, dein Weg geht nach Norden, folglich mußt du, da es noch Vormittag ist, die Sonne immer etwas rechts hinter dir haben‘ – und so richtete ich denn auch meinen Marsch ein. Als ich mich eine gute Stunde fortgearbeitet hatte, was mir vermöge meines schweren Bündels sehr sauer wurde, kam ich aus dem Walde heraus und stand nach tausend Schritten vor einem steilen Abhang.

      Vor mir lag ein Tal, rundherum von Bergen umgeben, mitten darin ein Dorf, woran sich Ziegelbrennereien anschlossen. Unten floß ein Wasser ganz nahe am Berge weg, das etwa halb so groß wie die Unstrut war. Eine Brücke über dies Wasser war nicht zu entdecken, auch wußte ich nicht hinabzukommen; der Hang war zu steil und felsig. Da bemerkte ich, daß weiter links das Wasser nicht so nahe an den Berg trat und dort arbeitete ich mich hin. Als ich genau untersucht hatte, daß man hier zur Not rückwärts hinunterklettern und rutschen konnte, legte ich mein Felleisen nieder, gab ihm einen Schub und, heidi! kollerte es den ganzen Berg hinab und blieb im Grase liegen.

      Nun trat ich die Rutschpartie auf allen vieren rückwärts an und kam glücklich mit etwas blutigen Händen zu meinem Bündel. Ich hockte auf und marschierte links fort, mußte aber einigemal gefährlich klettern, weil der Fluß sich dicht an den Berg drängte. Nach einer halben Stunde entdeckte ich eine Fahrbrücke über den Fluß und einen Weg links vom Berge herab, auf welchem ich wahrscheinlich hätte kommen sollen.

      Nachdem ich mich in der Schenke des Dorfes erholt und nach der weiteren Marschroute erkundigt hatte, kam ich zu Mittag nach Stolberg, fragte nicht nach der Bäckerherberge, sondern ließ mir im Gasthofe was Gutes zu essen geben und ging den Tag noch bis Güntersbergen in mein drittes Nachtquartier.

      Andern Morgens, nach einem langen und guten Schlaf, fragte ich den Wirt nach dem nächsten Weg nach Quedlinburg. Der wäre für Fremde schwer zu finden, erklärte der Wirt und wunderte sich, daß ich als Handwerksbursche in Güntersbergen sei, statt daß ich von Stolberg aus die Hauptstraße über Harzgerode und Ballenstedt eingeschlagen hätte. Nun, nach den nächsten zwei Dörfern könnte ich zur Not noch hinfinden, aber hernach – hernach würde ich mich ganz gewiß verlaufen, wenn ich allein bliebe.

      Nach zwei Stunden war ich im zweiten Dorfe angelangt, hatte unterwegs schon mein Gebetbüchlein in Gebrauch genommen und war recht fromm und ein bißchen ängstlich gestimmt. Ich ließ mir Bier geben und legte den Kopf auf den Tisch. Das Wasser stieg mir in die Augen; ich dachte an meine Mutter und fing still zu beten an: ,Ach, du lieber Gott, schick doch nur einige Menschen her, die auch nach Quedlinburg wollen‘ – darüber schlief ich ein. Im Traum sah ich einen alten Einsiedler, der sagte zu mir: ,Wenn du fleißig in deinem Gebetbuch liest und ein guter Mensch bist, so sollst du dich nicht verirren und kein Spitzbube soll dir etwas anhaben.‘ Ich nahm mir auch im Traum vor, das so zu halten, wurde aber durch heftiges Zuschlagen von Türen und lautes Sprechen unsanft aufgerissen. Ich rieb mir die Augen und sah drei Leute; einen Bauersmann, eine Bauersfrau und ein junges Mädchen, das städtisch gekleidet war, doch ein schönes weißes Tragkörbchen auf dem Rücken trug, das sie eben absetzte. Der Bauer war ein gewöhnlicher Mann von mittlerer Statur und mittleren Jahren, in dem Gesicht der Frau stand nichts geschriehen; das Mädchen sah hübsch, aber ein wenig einfältig oder vielleicht auch unerfahren und unschuldig aus. Und weil ich mir eben im Traum vorgenommen hatte, recht brav zu bleiben, sah ich das Mädchen lange an; sie schien in meinem Alter, wo nicht jünger zu sein. Als unsere Blicke zusammentrafen, guckten wir beide schnell wo anders hin.

      Da ich hörte, daß Mann und Frau plattdeutsch miteinander sprachen, stellte ich einige Fragen. Der Mann hielt nicht zurück und bald erfuhr ich, daß das Ehepaar aus seinem Dorfe bei Quedlinburg vor drei oder vier Tagen nach Nordhausen gegangen war, um alte Bekannte zu besuchen. Deren Nachbar nun, ein Böttchermeister, hatte eine Schwägerin in Quedlinburg, die schon vor langem gebeten, man möge ihr doch das Lenchen hinschicken; sie solle es gut haben und auch das Nähen und Sticken bei ihr erlernen.

      Ich spähte zu Lenchen hin, denn sie mußte das doch wohl sein, aber Lenchen guckte schnell auf den Erdboden.

      Der Böttchermeister, so erzählte der Bauer weiter, hatte ihn nun gebeten, die Lene mit nach Quedlinburg zu nehmen oder seine, des Bauern Frau, über ihr Dorf hinaus wenigstens noch ein Stückchen mitgehen zu lassen, bis Lene von weitem die Stadt sehen könne.

      ,Oh, du lieber Gott‘, dachte ich, ,hast du schon mein Gebet erhört!‘ Es wurde mir ganz frömmlich zumut. Ich schnürte mein Felleisen auf, holte ein ordentliches Stück Cervelatwurst heraus, schnitt es in vier Stücke und bot dem Bauern, der Frau und Lenchen an. Das Lenchen wollte erst nicht recht. Da sagte die Frau: „Ach, Lenchen, nehm ses doch“ – und Lenchen nahm’s.

      Nun ließ ich noch zwei Krüge Bier kommen und zwei Schnäpschen und jetzt fing auch der Bauer an, auszufragen. Ich erzählte grundehrlich die letzten sechs bis acht Tage meiner Lebensgeschichte, besonders auch den Abschied von Mutter und Geschwistern vor vier Tagen. Lenchen rückte etwas näher, sie schien eine Angst zu verlieren, ja sie lächelte sogar ein bißchen. Nun gab ich zu erkennen, daß ich auch nach Quedlinburg wolle und mich sehr freuen würde, Gesellschaft zu finden, da ich mich gestern schon im Walde verirrt hätte. Lenchen fand Ähnlichkeit zwischen ihrem und meinem Schicksal und gab dies unbefangen zu verstehen.

      Kurz, wir brachen auf und ich bezahlte die ganze Zeche, die sich auf ein paar Groschen belief. Wir waren kaum tausend Schritt gegangen, da steckte der Bauer sein Ränzchen in den Korb seiner Frau und bat sich mein Bündel aus, das er nicht eher wieder vom Buckel heruntergab, bis wir schieden. Ob ich nun gleich das größte Zutrauen zu dem Manne hatte, so war mir doch, als sei es meine Schuldigkeit, mein Bündel im Auge zu behalten und so hielt ich mich hübsch zu ihm. Ich bezahlte noch ein paarmal Bier und Lenchen gab Kuchen zum besten, den sie im Korbe hatte. Es war ein schöner Tag; ich ging so frei ohne mein Felleisen. Gegen vier Uhr fing es an, schwül zu werden und in der Ferne zu blitzen.

      Der Bauer sagte: „Es sind kaum noch zwei Stunden bis Quedlinburg; ich und meine Frau werden nun bald links abgehen, denn da Sie auch nach Quedlinburg wollen, braucht meine Frau die Lene nicht länger zu begleiten. Der Weg ist nicht mehr zu verfehlen.“

      Nicht lange und es wurde haltgemacht; der Bauer legte mein Felleisen ab und die Frau nahm Abschied von Lenchen, die ihr gute Worte gab, sie möge doch noch ein Fleckchen mitkommen.

      „Wozu?“ meinte der Bauer. „Noch ein Halbstündchen schnurgeraden Wegs durch den Wald und ihr kommt zur „Neuen Schenke“. Von da hat man die Stadt immer vor Augen. Der Mosje