Jan Eik

In der Falle


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125 km/h schweben sie dahin, und der LZ 129 Hindenburg ist das größte, schnellste und zuverlässigste Luftschiff aller Zeiten. Jedenfalls bis zum 6. Mai 1937. Da legt der LZ 129 planmäßig am Mast in Lakehurst, New Jersey, an. Das Wetter ist nicht besonders gut, eine Gewitterfront zieht auf. Für die Amerikaner aus dem nahen New York ist die Ankunft des Zeppelins aus Europa immer wieder eine Sensation, Wochenschauoperateure drehen ihre Filme, ein Radioreporter schildert seine Eindrücke von der riesigen, mit Wasserstoff gefüllten Silberzigarre, an deren Heck es plötzlich aufblitzt. Flammen und Rauch steigen auf. Lichterloh brennend, fällt die gewaltige Hülle in sich zusammen und sinkt auf den Boden.

      Deutschlands Luftschiffträume sind zu Ende. Darüber sind sich am nächsten Morgen im Präsidium alle einig. Es gibt gar kein anderes Gesprächsthema. Selbst die Autoräuber geraten in den Hintergrund. Seit fünf Wochen hat man nichts Neues von ihnen gehört oder gesehen.

      Nur Gustav Galgenberg kann selbst angesichts einer solchen nationalen Katastrophe nicht auf blöde Sprüche verzichten. «Schiffe niemals in die Luft», brabbelt er vor sich hin, leise immerhin, das will bei ihm etwas heißen. Stammt von ihm nicht auch der dämliche Reim: Zeppelin, Zeppelin,/ei wie hoch verehr ich ihn,/weil er immer dann und wann/einen fahren lassen kann …

      «Halt dich zurück!», rät Kappe dem alten Kollegen zum wiederholten Mal. «Irgendwann brichst du dir das Genick.»

      Galgenberg, der hinter seinem Schreibtisch hockt, blickt aus seinen traurigen Hundeaugen zu ihm auf. «Mensch, wenn de nich mal mehr das Maul aufmachen darfst …»

      Ein paar Tage später macht er es doch wieder auf, und Kappe selber entgeht dabei nur knapp dem doppelten Blitzstrahl, der scharf wie SS-Runen auf den Kriminalkommissar Gustav Galgenberg niederfährt.

      Kappe will morgens sein angestammtes Büro betreten. Weil er weiß, dass hinter ihm ausgerechnet der SS-Sturmbannführer Dr. Brettschieß das gleiche Ziel hat, grüßt er mit beinahe vorschriftsmäßig angewinkeltem Arm: «Heil Hitler!»

      Galgenberg, der Unglücksvogel, hört nur die vertraute Stimme und den ungeliebten Gruß und fragt, ohne sich umzublicken, in seiner unnachahmlich nöligen Art: «Wieso? Isser krank?» Brettschieß läuft puterrot an. «Das hat Folgen, Galgenberg!», brüllt er. «Sie sind hiermit vom Dienst suspendiert! Packen Sie Ihre Sachen zusammen, und melden Sie sich in drei Minuten bei mir!»

      Kappe steht wie die Gans, wenn es donnert. «Er hat doch nur …», wagt er anzusetzen.

      Aber Brettschieß mustert auch ihn wie einen gewöhnlichen Delinquenten. «Wir sprechen uns noch, Volksgenosse Kappe!», faucht er. «Der Ton in dieser Sozi-Bude hier ist mir seit langem ein Dorn im Auge! Wird Zeit, dass mal ein frischer Wind reinweht!»

      Durch die offene Tür wechseln Kappe und Galgenberg einen unaussprechlichen Blick.

      Brettschieß zerrt Kappe am Ärmel. «Sie kommen gefälligst mit.

      Sie sind schließlich Zeuge dieses unerhörten Vorfalls.»

      Auch das noch, denkt Kappe. Hat sich denn alles gegen mich verschworen?

      «Und damit Sie klar sehen, Kappe: Keinerlei Ausflüchte! Haben wir uns verstanden? Glauben Sie etwa, ich weiß nicht, dass Sie selber nicht ganz koscher sind, Herr Ex-Oberkommissar? Wie Sie wissen, geht dem Reichsführer jegliches Verständnis für Dienstverstöße dieser Art ab!»

      In letzter Instanz und gemessen an den üblichen drakonischen Strafen, geht die Sache für Galgenberg noch glimpflich ab, wozu nicht zuletzt Gennats Einfluss beiträgt. Niemand verlangt von Kappe eine zeugenschaftliche Bestätigung des Vorfalls, den Gustav Galgenberg nicht bestreitet, sondern nur griesgrämig zu einem Missverständnis herunterzuspielen versucht.

      Dr. Brettschieß besteht darauf, diesem Miesmacher nie wieder im Präsidium oder sonst wo zu begegnen, und es finden sich Zeugen, denen Galgenbergs vorwitzige Bemerkungen schon lange unangenehm aufgefallen sind. Von siegreichen Nasenkönigen sei da die Rede gewesen, womit nur Heydrich und Nebe gemeint sein konnten, und von einer Brillenschlange im höchsten Amt. Derlei Aussagen will nicht einmal Brettschieß nachgehen, sähe er sich doch dann in der Pflicht, selber die so Charakterisierten über den Präsidiumsklatsch informieren zu müssen. Er ist ja nicht lebensmüde.

      «Schaffen Sie mir den Kerl aus den Augen, bevor ich ihn ins KZ stecken lasse!», lautet seine letzte Drohung, und Gennat beeilt sich, die Forderung umgehend zu erfüllen. Sind nicht zum 1. April dreißig verdiente Kriminalbeamte wegen Erreichung der Altersgrenze ehrenvoll aus dem Staatsdienst ausgeschieden und dadurch etliche Revierkriminalstellen vakant geworden? Die Gefahr, dass Brettschieß jemals dem zuständigen Kriminalbeamten des Reviers 244 in Berlin-Köpenick begegnet, ist gering.

      Sang- und klanglos und versehen mit Gennats väterlichen Ermahnungen wird Gustav Galgenberg am nächsten Tag dorthin versetzt. Von weiteren disziplinarischen Maßnahmen wird vorerst abgesehen.

      Abgesehen von den strammsten Nationalsozialisten, denen das nahezu parteilose Morddezernat schon lange stinkt, will keiner die Angelegenheit an die große Glocke hängen. Getratscht aber wird im ganzen Präsidium darüber.

      Als Kappe, dem Galgenbergs tiefer Fall einen heillosen Schrecken eingejagt hat, am Mittag in der Kantine seinem Neffen Otto begegnet, spricht der ihn prompt darauf an.

      Otto, einziger Sohn von Kappes älterem Bruder Oskar, der in der Yorckstraße einen Tabakladen betreibt, ist nicht ohne Kappes Zutun von der Schupo zur Kripo gewechselt. 26 ist Otto jetzt, Kriminalassistent und auf dem besten Wege, Karriere zu machen - wenn er denn in die Partei eintritt. Oder in die SS. Dazu fehlen ihm jedoch ein paar Zentimeter an Körpergröße, und als blond kann man ihn nur mit gutem Willen bezeichnen. Für sich hat Otto den besten Ausweg gefunden. Als Fahrer eines 98er DKW-Kleinkraftrades ist er dem NSKK beigetreten, dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps. Das muss vorläufig reichen.

      «Was ist denn bei euch los?», will Otto wissen. «Da soll einer einen scharfen Führerwitz verbreitet haben?»

      Kappe winkt ab. «Nicht hier!», stößt er zwischen den Zähnen hervor.

      «Ich müsste sowieso dringend mal mit dir reden, Onkel Hermann.»

      Kappe schätzt es nicht, im Dienst mit «Onkel Hermann» tituliert zu werden. Das hat er dem Neffen schon ein paar Mal erklärt. Brummig sagt er: «Meinetwegen. Du kommst am besten abends bei uns vorbei.»

      Otto lacht. «Ich weiß nicht einmal genau, wo du jetzt wohnst.»

      «Jetzt?» Kappe ist verblüfft. Seit 1931 wohnt er nun in der Großen Frankfurter Straße und hat dort endlich das richtige Zuhause gefunden. Sogar Klara hat sich eingewöhnt und jammert den kleinen Räumen in der Hufeisensiedlung in Britz nicht mehr länger nach. Die Kinder fühlen sich wohl, eine nette Eckkneipe befindet sich im Nebenhaus, und der Blockwart zeigt gehörigen Respekt vor dem Herrn Kriminalkommissar Kappe.

      Am Anfang hat ihn sein Bruder Oskar einmal dort besucht, gemeinsam mit seiner Frau Frieda und den beiden Töchtern. Die sind inzwischen zu ansehnlichen jungen Damen herangewachsen, wie Hermann Kappe weiß, hatte sich doch die ganze Bagage im vorigen Jahr zu Ottos Hochzeit in der Yorkstraße versammelt. Richard Börnicke, Ehemann von Kappes Tante Frieda, war allen mit seinen NSTiraden auf die Nerven gegangen. Der alte Krakeeler ging auf die achtzig zu und lamentierte laut darüber, dass keiner in dieser ganzen verkappten Sozi-Bande in Uniform erschienen war.

      Das hatte ausgerechnet Max Achtow, Sohn von Hermann Kappes Schwester Pauline, zu dem lauthals herausgeschrienen Bekenntnis veranlasst, er habe sich zur SS gemeldet und erwarte stündlich seine Aufnahme in des Führers Schutzstaffel. Ein Aufstöhnen war durch die Reihen der Familie gegangen, und irgendjemand hatte respektlos angemerkt: «Ach, Max, du hast det Schieben raus …»

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