Klaus-Peter Enghardt

... und hinter uns die Heimat


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ihr die hohen Stufen in den Waggon hinauf, schloss nach dem Abfahrtsignal die schwere Tür und lief ein Stück neben dem Zug her, als der langsam fahrend den Bahnhof verließ und allmählich Fahrt aufnahm. Schon hatte er die Hohenzollernbrücke erreicht, die die Altstadt Kölns mit dem Stadtteil Deutz verband.

      Paul Knieschitz winkte noch, als der Zug bereits kaum noch zu sehen war. Er wusste zwar, dass seine Tochter ihn nicht mehr sehen konnte, doch er war sich sicher, dass sie es zumindest ahnen würde, dass er ihr hinterher winkte. Dann verließ er mit schweren Schritten und gebeugtem Rücken den Bahnhof und wischte sich mit seinem Jackenärmel die Tränen aus den Augen.

      Katharina hatte es sich in ihrem Abteil, das sie sich mit einem älteren Ehepaar teilte, bequem gemacht. Die Eheleute musterten das Mädchen verstohlen und fragten sich sicher, wohin so eine junge Frau in diesen unruhigen Zeiten wohl fahren mochte, doch Katharina wollte von sich aus kein Gespräch beginnen. Stattdessen holte sie ein Buch hervor und schlug es auf, doch ihr Blick war getrübt. Sie musste sich große Mühe geben, nicht doch noch zu weinen, denn nun erst, nachdem der Zug seine volle Fahrt aufgenommen hatte, war ihr mit einem Mal bewusst, dass sie ihre Eltern für Monate nicht sehen würde. Außerdem hatte sie ein wenig Angst vor dem, was sie in der Fremde erwartete.

      Doch mit dem Optimismus ihrer zweiundzwanzig Jahre wollte sie all die Schwierigkeiten meistern.

      Der Zug hatte zwar einen Speisewagen angekoppelt, aber Katharina würde ihn nicht aufsuchen, denn ihre Mutter hatte sie ja mit ein paar Broten, zwei hartgekochten Eiern und ein paar Äpfeln versorgt. Das sollte bis Berlin reichen.

      In Berlin musste sie dann allerdings für eine Nacht eine Pension aufsuchen. Dort würde sie sich für die Weiterfahrt nach Königsberg sicher mit etwas Proviant versorgen können.

      Sie schaute aus dem Fenster und sah Felder und Wälder vorüberhuschen. Bald schon erreichte der Zug das Ruhrgebiet und auch in jenen Städten waren die schweren Schäden der Bombenabwürfe erkennbar.

      Schließlich wurde sie von dem älteren Ehepaar doch noch in ein Gespräch verwickelt und verriet ihnen dabei den Grund ihrer Reise. Es war ihr inzwischen gar nicht unrecht, dass die beiden Herrschaften so lebhaft mit ihr plauderten, vertrieb es doch für ein paar Stunden die bangen Gedanken.

      Am Nachmittag, um sechzehn Uhr fünfundzwanzig, hatte sie Berlin-Spandau erreicht. Etwas hilflos stand sie auf dem Bahnsteig und hielt Ausschau nach einem Kofferwagen.

      Ein Bahnmitarbeiter war auf das Mädchen aufmerksam geworden und fragte nach ihrem Reiseziel. Schließlich gab er der jungen Lehrerin den Rat, mit ihrem vielen Gepäck ein Taxi zu nehmen. Er half ihr mit dem Gepäck bis auf den Bahnhofsvorplatz, winkte einem Taxi und verabschiedete sich dann.

      Der Taxifahrer chauffierte die junge Frau schließlich zu der besagten Unterkunft. Sie befand sich in einer Seitenstraße, die von Linden flankiert wurde.

      In der Pension wurde Katharina von einer älteren Frau mit rundem Gesicht und ebensolchen Hüften empfangen.

      Die Wirtin rief freundlich, mit Berliner Dialekt: »Aha, da kommt ja meen Pangsionsjast! Komm rin in die jute Stube, meene Kleene! Na, wie war die Reise? Siehst ja aus wie Braunbier mit Spucke. Ach wat, ick quatsche dir voll und du hast bestimmt Hunger und Durst. Stell die Koffa uff’n Boden, setz dir erstmal off die Bank und ruh dir aus. Ick bring dir jleich ma eene Erfrischung und dann traach ick dir die schweren Brocken von Koffa die Stieje ruff, die is nämlich janz schön steil. Die Tasche kannste alleene trajen.«

      Katharina war erstaunt, so überschwänglich empfangen zu werden, obwohl sie nur eine Nacht bleiben würde. Sicher war die Witwe Kleinschmidt froh, etwas Abwechslung zu bekommen.

      Sie brachte Katharina eine Zitronenlimonade und wartete, bis ihr Gast das Glas geleert hatte.

      Daraufhin sagte sie im Berliner Kommandoton: »So, und nun legste ab, Mädel! Dein Zimmer is eene Treppe höher. Kannst schon nach oben jehen, ick bring dir jleich deine Koffa hinterher.«

      Kurz nachdem Katharina ihr Zimmer betreten hatte, kam auch schon die Wirtin mit den schweren Koffern die Treppen herauf gestapft.

      Dem Mädchen war es peinlich, dass eine Frau, die wohl dreißig Jahre älter als sie selbst war, ihr das Gepäck nachtrug, doch die Wirtin hatte ihren vorsichtigen Einwand mit einer resoluten Handbewegung weggewischt.

      »Mach dir een wenig frisch Mädchen, ick brüh uns inzwischen eenen ordentlichen Kaffe, natürlich Bohne und keen Muckefuck. Ja, für jute Jäste hat die Witwe Kleinschmidt immer een bisschen wat Ordentlichet. Beim Kaffe erzählste mir een bischen wat von deine Reise. Ick quassel nämlich nich nur jerne, ick bin ooch schrecklich neujierig und ick habe in der schweren Zeit nich mehr so viele Jäste. Die Front schluckt die jungen Männer, die sonst bei mir jewohnt haben und Dauerjäste jibt et schon lange nich mehr.«

      Nachdem sich Katharina erfrischt hatte, ging sie, wie gewünscht zur Wirtin in die gute Stube hinunter.

      Kaffeeduft begleitete ihre Schritte auf der steilen Treppe abwärts und wies ihr den richtigen Weg.

      Frau Kleinschmidt hatte den Kaffee bereits eingegossen und sogar ein paar Plätzchen in einer Glasschale bereitgestellt.

      Sie lächelte Katharina entgegen und forderte sie auf, sich zu setzen. Als Katharina der Forderung nachgekommen war, sagte die Wirtin: »So, und nun erzähle mir ma, wohin deine Reise jehen soll.«

      Katharina nippte an ihrem heißen Kaffee und erzählte der Witwe, dass sie nach Königsberg reist, um sich bei ihrem neuen Arbeitgeber, dem Kreisschulrat, vorzustellen.

      Außerdem vergaß sie auch nicht zu berichten, dass sie in Loditten unterrichten wird.

      Frau Kleinschmidt hörte der Erzählung aufmerksam zu und sagte dann: »Da fährste morjen früh in Charlottenburg vom Stettiner Bahnhof ab. Den Zug nehm’ ick ooch imma, wenn ick meene Schwester in Elbing besuche. Die is dort mit een Apotheker verheiratet, aba jetz war ick schon eene Weile nich mehr dort. Ick trau dem Frieden da nich so recht. Morjen früh fährste mit der Benzindroschke zum Bahnhof, det is jar nich so weit.«

      Im Verlauf des Gespräches fand Katharina heraus, wieso die Frau so überaus freundlich zu ihr war. Frau Kleinschmidt hatte nämlich eine Tochter, die vor einigen Jahren nach Stuttgart gezogen war. Sie arbeitet dort als Ärztin an einem Krankenhaus und kam nur noch selten zu Besuch. Briefe und Telefonate hielten die Verbindung zwischen den beiden Frauen seitdem aufrecht.

      Als sie das erzählte schlichen sich Tränen in die Augen der sonst so resoluten Frau und sie wurde sogar für Augenblicke still.

      Katharina empfand für diese nette Frau ein starkes Mitgefühl und konnte nun den Trennungsschmerz ihrer Eltern noch besser verstehen. Zum Trost nahm sie eine Hand der Witwe in ihre Hände und hielt sie fest umschlossen. In ihr war kein Gefühl der Fremde, sondern es war, als würde sie diese Frau schon lange kennen.

      Beim Abendessen waren die trüben Gedanken jedoch verflogen und die beiden Frauen machten sich noch ein paar gemütliche Stunden, ehe Katharina in ihr Zimmer ging.

      In ihrem Kopf kreisten die Gedanken und ließen sie lange nicht einschlafen.

      Vorsichtiges Klopfen weckte sie am nächsten Morgen.

      Frau Kleinschmidt hatte bereits das Frühstück bereitet und wartete, bis Katharina ihre Morgentoilette verrichtet hatte.

      Das Morgengespräch war nicht so unbeschwert, wie das am Abend zuvor, der Abschied trübte ein wenig die Stimmung. Kurz nach sieben Uhr rief die Wirtin ein Taxi, denn die Abfahrtszeit des Zuges war um sieben Uhr dreiundfünfzig. Um achtzehn Uhr sollte er dann planmäßig in Königsberg ankommen.

      Beim Abschied drückte Frau Kleinschmidt Katharina fest an sich, gab ihr neben einem Frühstücksbeutel noch einen Zettel in die Hand und sagte: »Hier haste noch mal meine Adresse. Ick würd’ mir freuen, wenn du mir mal schreibst, wie et dir so jeht. Pass’ of dir uff, meene Kleene, so janz alleene in die Fremde is et nich leicht.«

      Katharina versprach ihr das gern und sie wollte diesen Brief auch tatsächlich schreiben.

      Wie wichtig der kurze Kontakt mit der