Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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Augen grün? Ich konnte es nicht genau erkennen und wunderte mich gleichzeitig, worüber ich mir auf einmal Gedanken machte.

      Sein amüsierter, auffordernder Blick verärgerte mich ein wenig, lachte er mich etwa aus?

      Wer war er?

      Was hatte er gleich noch gefragt?

      Es gelang mir nicht, mich zu konzentrieren. Wie ärgerlich! Langsam merkte ich, dass ich ihn anstarrte und die Zeit, um angemessen zu antworten, längst abgelaufen war.

      »Wie bitte?«

      »Ich habe gefragt, ob dir nicht kalt sei«, wiederholte er sichtlich amüsiert.

      »Nein. Ja. Ein bisschen vielleicht. Habe die Zeit wohl vergessen«, murmelte ich errötend.

      Ob er da schon länger saß und mich beobachtete? Ich hatte sein Kommen überhaupt nicht bemerkt. Die vielen Fragen, die dieser Fremde in mir auslöste, verunsicherten mich.

      »Ich muss jetzt … es ist schon spät. Mach’s gut«, rief ich ihm zu und schnappte mir mein Buch und die Flasche.

      Als ich aufblickte, stand der Fremde plötzlich neben mir.

      Seine jähe Präsenz ließ mich schlagartig zurückweichen, ohne jedoch den Blick von ihm abzuwenden. Meine Knie gaben fast nach und mein Herz schlug mir ohne mir ersichtlichen Grund unvermittelt bis zum Hals.

      »Bist du immer so einsilbig?«, fragte er und schaute aus smaragdgrünen Augen auf mich herab. »Ich bin Robert. Bist du neu hier? Ich wohne in der Nähe und bin abends manchmal hier«, und deutete auf die Bänke unter den Bäumen, »Dich habe ich hier bisher noch nie gesehen.«

      Wow, diese Augen … mir war, als würde ich in ihnen versinken oder bis ans Ende der Welt blicken können. Seine Augen zogen mich in einen magischen Bann. Ein unbekanntes Kribbeln im Bauch ließ mich erschauern. Ich konnte nicht anders, als ihn, stumm wie ein Fisch, anzustarren. Meine Knie waren immer noch butterweich und ich hatte Mühe, meinen unsicheren Stand vor ihm zu verbergen. Allmählich dämmerte es mir, dass ich einen ganz schön dämlichen Eindruck bei ihm hinterlassen musste. Aber ich konnte einfach nicht aufhören, ihn anzusehen. Es war, als bestünde ich aus zwei Personen zugleich: die eine ertrank gerade in den tiefgrünen Augen des Fremden und … was hatte er gesagt? Robert, ja Robert war sein Name. Und die andere Hälfte von mir merkte recht deutlich, dass sich Menschen, die bei klarem Verstand sind, und zu denen zählte ich mich eigentlich gewöhnlich, deutlich zurechnungsfähiger benehmen sollten.

      »Elisabeth«, presste ich mühevoll zwischen meinen Lippen hervor.

      »Wie bitte?«, fragte er offensichtlich amüsiert über meine gequält wirkende Einsilbigkeit.

      »Mein---Name---ist---Elisabeth.«

      Mein Gott!, schoss es mir durch den Kopf, nun reiß dich mal zusammen! Mehr als ein angestrengtes Stammeln war mir nicht möglich. Und ich ertappte mich, dass ich ihm immer noch in seine so unglaublich grünen Augen schaute.

      »Ach so. Ein schöner Name! Also, bist du nun neu hier?«

      Immerhin, auch wenn ich bestimmt den Eindruck machte, nicht ganz normal zu sein, er hatte Geduld und blieb freundlich.

      Los, antworte endlich!

      »Ja, genau.« Na prima, so würde das Gespräch ziemlich schnell enden. Mein Verhalten signalisierte ihm ja nun nicht gerade übersprühendes Interesse an einer weiteren Unterhaltung. Mir schossen gleichzeitig tausend Dinge durch den Kopf, die ich gern hätte entgegnen wollen, aber meine Lippen blieben einfach verschlossen, als hätte ich keine Gewalt mehr über sie. Wie fremdgesteuert. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte ihm nur fasziniert in die Augen schauen und nichts sagen.

      »Hmmm. Wie gesagt, ich bin öfter hier. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Mach’s gut!« Er sah mich ein wenig traurig an, lächelte dabei charmant und ging gemächlich in die entgegengesetzte Richtung davon.

      Wie erstarrt stand ich noch immer da und sah ihm nach. Er drehte sich nicht um. Plötzlich merkte ich, dass ich sowohl mein Buch, als auch meine Flasche umklammert hielt, als hätte ich Angst vor plötzlichem Diebstahl. Lächerlich! Unwillig schüttelte ich den Kopf und ging dem Haus, in dem ich heute zum ersten Mal schlafen würde, entgegen. Als ich mich auf halben Weg noch einmal umsah, war er, Robert, schon verschwunden.

      Meinen Gedanken nachhängend schlich ich erneut die Stufen zum Dachgeschoss hinauf.

       3

      Schlaf fand ich kaum in dieser ersten Nacht in Leipzig.

      Heißt es nicht immer, dass das, was man in der ersten Nacht in einem neuen Heim träumt, in Erfüllung gehen würde? Nach kurzen traumlosen Momenten, in denen ich schlief, wachte ich auf, um sofort wieder an die Begegnung am Abend unter den Bäumen am Ende der Straße zu denken. Ich konnte mich an jedes Wort erinnern, das Robert zu mir gesagt hatte. Wie schön dieser Name klang, egal, ob man ihn aussprach oder nur dachte. Seine strahlend grünen Augen mit dieser unergründlichen Tiefe blickten mich in meiner Erinnerung wieder an. Oder schlief ich etwa und träumte von ihm? Mich hin und her wälzend wachte ich ein ums andere Mal auf.

      Gegen Morgen setzte ich mich, aus einem kurzen Schlaffetzen aufschreckend, unvermittelt auf und musste mir plötzlich eingestehen, dass ich ihn unbedingt wieder sehen wollte. Dieser Gedanke ließ mich erbeben. Was war mit mir geschehen? Noch nie hatte mich eine fremde Person so berührt. Es war, als hätte er mit seinen tiefgrünen Augen direkt in mein Herz gesehen.

      Hatte er nicht gesagt, er wäre abends häufig dort?

      Er wohnte in der Nähe?

      Hoffnung durchflutete mich.

      Ich müsste nur wieder den Abend auf einer der Bänke unter den Bäumen verbringen.

      Aber nein, alle Hoffnung schwand sofort wieder, als ich daran dachte, wie ich wohl auf ihn gewirkt haben musste. Er würde sich sicher einen neuen Platz suchen. Wer will schon so einen Stockfisch wie mich wiedertreffen? Trostlosigkeit erfüllte mich mit einer nie gekannten Intensität.

      Ich war noch nie ein besonders extrovertierter Mensch gewesen, sondern betrachtete die Welt eher aus dem Hintergrund und drängte mich nie nach vorn. Aber es hatte mir auch noch nie die Stimme einfach so verschlagen. Der Gedanke an meine Unfähigkeit zu sprechen, verärgerte mich zunehmend.

      Ich grübelte weiter, bis draußen der Tag anbrach, und beschloss, in einem Anflug von Vernunft, lieber in aller Frühe aufzustehen, statt mir weiter über einen völlig Fremden den Kopf zu zerbrechen, den ich aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nie wieder sehen würde.

      Ich nutzte die frühe Stunde und ging im Morgengrauen im nah gelegenen Rosental eine halbe Stunde laufen, hoffend, in der kühlen, herbstlich-feuchten Luft wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Später, unter der heißen Dusche stehend, ertappte ich mich, dass ich immer noch an den schönen Fremden dachte. Entnervt stellte ich das Wasser ab und fröstelte augenblicklich. Ich musste vergessen haben, das Fenster vor dem Duschen zu schließen. Denn zum Duschen bei geöffnetem Fenster war es nun wirklich zu kühl. Das Wetter war über Nacht umgeschlagen, und noch während ich aus der Dusche schlüpfte und nach meinem Handtuch angelte, ging der leichte Morgennebel in einen garstig-grauen Nieselregen über. Unwirsch schloss ich das Fenster, als würde ich meine verwirrenden Gedanken ebenfalls einfach ausschließen können.

      Es war Samstag, der neunundzwanzigste September. Am Montag würde mein Studium beginnen. Die Mischung aus Vorfreude und banger Erwartung ließ die Gedanken an Robert, den Unbekannten, kurzzeitig verblassen. Ich schlüpfte in Jeans, T-Shirt und eine dicke Strickjacke und überlegte bei einer Tasse English Breakfast Tea, einem morgendlichen Ritual, das ich als Mitbringsel meiner Zeit als Fremdsprachenassistentin an einer britischen Grundschule im Südwesten Englands in mein hiesiges Leben importiert hatte, wie ich den Tag am besten verbringen könnte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass der Tag sich nicht beeilte, fortzuschreiten. Es war halb sieben und regnete, weder die richtige Zeit noch das richtige Wetter für große stadterobernde Pläne. Also leerte ich meine letzten beiden