Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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und mich als vielleicht neue Vorlesepatin für die Kinder vorzustellen. Auf meinem Weg dahin überlegte ich, ob die beiden eigentlich überhaupt erwähnt hatten, wohin wir zu dieser Studie gehen würden. Ich konnte mich einfach nicht an einen Ort erinnern. Egal, das war auch nicht so wichtig, sagte ich mir und klingelte an der Eingangstür zum Kindergarten. Ein junger Mann mit millimeterkurzen Haaren in dunklen Camouflage-Cargohosen und einem Wacken-T-Shirt öffnete mir und schaute mich amüsiert an. Meine Überraschung, einen Mann im Kindergarten anzutreffen, schien mir vermutlich ziemlich offen im Gesicht zu stehen.

      »Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?«, frage er und fügte gleich, bevor ich antworten konnte, hinzu: »Viele sind überrascht. Aber glauben Sie es mir, es gibt immer mehr Erzieher.«

      »Aha? Also, hallo, ich bin Elisabeth Bergmann und habe draußen gelesen, dass sie für die Kinder Vorlesepaten suchen.«

      »Oh, das ist ja schön«, freute er sich und fuhr fort: »Ich heiße Johannes Winter. Dann bringe ich Sie mal zur Kindergartenleiterin, das ist Frau Weiße. Sie wird sich bestimmt freuen, dass sich endlich mal jemand auf den Aushang meldet. Also dann, einfach hinterher kommen.«, sagte er mit einer einladenden Handbewegung und verschwand in Richtung eines Treppenaufgangs. Das Büro war schnell gefunden und ich vereinbarte mit der Leiterin namens Susan Weiße für die nächste Woche am Dienstagnachmittag eine erste Vorlesestunde.

      »Wie ist es mit den Büchern … ich habe eigentlich keine Kinderbücher mehr zu Hause, könnte aber sicher welche aus der Bibliothek besorgen …«, fragte ich sie indirekt.

      »Nein, nein. Das ist nicht nötig. Wir haben neulich einen ganzen Karton voller neuer Bücher vom Goetheinstitut im Rahmen des Vorlesetages geschenkt bekommen. Die Kinder freuen sich darauf, erst einmal alle Bücher aus dieser Kiste kennen zu lernen.«

      »Ach, das ist gut. Also dann, ich freue mich! Bis Dienstag«, verabschiedete ich mich und lief weiter zu meinem Treffpunkt mit Theresa und Jason am Haupteingang des Hauptbahnhofs. Ich musste nicht lange warten, denn ich stand kaum, als ich die beiden schon aus einer ankommenden Straßenbahn auf der Straße gegenüber springen und mir zuwinken sah.

      »Hallo, du bist ja schon da!«, Theresa umarmte mich stürmisch und Jason nickte mir freundlich zu.

      »Hi«, sagte er.

      »Hallo. Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?«

      »Zum Deutschen Platz. Ziemlich cool dort. Es ist nicht weit von hier, etwa in der Nähe der Deutschen Nationalbibliothek. Wir können hinlaufen oder auch kurz mit der Straßenbahn fahren«, erklärte Theresa.

      Da es gerade einmal nicht in Strömen regnete, sondern nur stetig vor sich hin nieselte, antwortete ich: »Wenn es euch nichts ausmacht bei diesem Wetter, können wir gern laufen.«

      »Okay«, antworteten beide gleichzeitig und nahezu synchron setzten wir alle unsere Kapuzen auf, zogen sie tief ins Gesicht und liefen los. Unterwegs sprachen wir nicht viel, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und nach einer Weile rief Theresa: »Et voilà, da sind wir.«

      Wir standen schon fast in einer Drehtür und gingen weiter ins lichtdurchflutete Foyer eines absolut imposanten Glasbaus. Wegen des Regens hatte ich mich auf unserem Weg hierher in den Tiefen meiner Kapuze versteckt und war leicht geduckt mit ständigem Blick auf meine Füße hinter Theresa und Jason hergegangen. Nun konnte ich mich gar nicht so recht erinnern, wo wir entlang gegangen und letztendlich gelandet waren. Aber das würde ja sicher gleich herauszubekommen sein. Ich setzte meine Kapuze ab und drehte mich einmal um meine eigene Achse. Die Treppen zu den Etagen führten offen mit Verbindungsbrücken durch die mit Glas und Stahl ummantelte Halle. Eine Wand war als vertikaler Kletterparcours gestaltet und im rechten Teil des riesigen Raumes schien eine permanente Ausstellung mit großen Glaskästen und Monitoren installiert zu sein.

      »Sag ich doch, ist cool hier. Stimmt’s?«, grinste mich Theresa an.

      Jason war unterdes schon zu einer Art Rezeption mitten im Raum gegangen und meldete uns an. Er kam zurück und teilte uns mit, dass wir gleich abgeholt würden.

      Ich staunte noch immer sprachlos und blieb, mich weiter umsehend, stehen, während Theresa und Jason auf einer Sitzgruppe hinter der Rezeption Platz nahmen und sich aus ihren Jacken schälten.

      Gerade wollte ich fragen, wo wir uns nun eigentlich befanden, als eine hübsche dunkelhäutige Frau in einem grasgrünen, figurbetonten Kleid aus dem Fahrstuhl trat, uns mit lustig blitzenden schwarzen Augen aufmunternd ansah und völlig akzentfrei ansprach: »Hallo, ich bin Momo. Willkommen im Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Kommt mit. Wir müssen nach oben. Ihr müsst gar nicht warten und seid gleich dran.«

      Jason und Theresa standen auf, schnappten ihre Jacken und Taschen und schickten sich an, ihr zum Fahrstuhl zu folgen, als meine Beine urplötzlich ihren Dienst versagten und ich rückwärts stolpernd auf einen Sitzwürfel sackte, auf dem soeben noch Jason gesessen hatte.

      »Max-Planck-Institut?«, frage ich geschockt.

      Alle drei schauten mich mit großen Augen an, völlig überrascht über meine sonderbare Reaktion.

      »Geht’s Dir gut?«

      »Alles klar?«

      »Elisabeth???«

      Sie fragten durcheinander und warteten verwundert und besorgt auf eine Antwort. Doch die konnte ich nicht geben. Stattdessen schaute ich die drei mit einem völlig gequälten Gesichtsausdruck an und suchte panisch nach einer halbwegs logischen Erklärung, die mein eigenartiges Verhalten wenigstens ansatzweise erklären könnte. Doch es gelang mir nicht, meine Gedanken irgendwie funktionsfähig zu sortieren. Das Einzige, was ich denken konnte, war: Max-Planck-Institut? Das Max-Planck-Institut, wo Robert arbeitete? Oh Gott, nein! War er auch hier? Was sollte ich machen, wenn ich ihn hier treffe? Er würde doch sicher denken, ich würde ihm hinterherlaufen! Oder nicht? Oh, wie furchtbar! Ich musste hier weg! Sofort!

      Ein Blick in die total verwirrten Gesichter meiner zwei Freunde und dieser Momo zeigte mir, dass sie immer noch auf eine Antwort warteten. Logischerweise!

      »Mir … ist schlecht geworden«, brachte ich mit Mühe hervor.

      »Das ist ja komisch!«, meinte Theresa und blickte mich ein wenig argwöhnisch an. Sie nahm mir meine Ausrede nicht wirklich ab, fragte aber erst einmal nicht weiter nach.

      »Geht’s dir wieder besser?«, fragte Momo. Ich nickte schwach, was blieb mir auch weiter übrig?

      »Dann lass uns mal nach oben gehen«, sagte sie und wies auf den Fahrstuhl hinter ihr. »Dort bekommst du ein Glas Wasser. Oder besser einen Kaffee?«

      »Wasser wäre toll«, murmelte ich. Als ich aufstehen wollte, stützte mich Jason plötzlich. Oh Mann, so viel Aufmerksamkeit war mir überhaupt nicht recht. Und laufen konnte ich auch alleine. Ich wünschte, ich könnte augenblicklich in der Erde versinken. Aber um nicht noch dusseliger da zu stehen, musste ich wohl oder übel mitspielen. Wie blöd! Ich ärgerte mich total!

      Theresa schnappte sich meine Jacke und Tasche und Jason zerrte mich Richtung Fahrstuhl. Eigentlich wollte ich da gar nicht hoch. Aber das konnte ich ja schlecht erklären.

      Im Fahrstuhl schwiegen alle betreten und schauten mich immer wieder besorgt von der Seite an.

      Schon ging die Fahrstuhltür im zweiten Stock wieder auf und Momo rief herausspringend: »Hier entlang!« Während sie uns einen hellen Gang entlang führte, fragte Theresa Momo, wo sie so gut Deutsch gelernt hätte. Lachend erzählte sie ihr, dass sie eigentlich aus Nicaragua stamme, aber als kleines Kind von deutschen Eltern adoptiert wurde und in Deutschland aufgewachsen wäre. Fast alle Bürotüren waren weit geöffnet und erlaubten im Vorbeigehen einen Blick auf Leute, die konzentriert am Computer arbeiteten, sich angeregt unterhielten oder auch einfach nur schauten, wer vorbei lief und uns dann freundlich zunickten. Momo führte uns in ein halboffenes Kabinett mit Sitzgruppen und niedrigen Tischen und fragte noch mit einem eindeutig neugierigen Blick zu Jason, ob einer von uns nicht Deutsch als Muttersprache hätte. Sonderbare Frage, dachte ich mir. Aber rückblickend fiel mir auf, dass Jason außer einmal »Elisabeth« in Momos Anwesenheit noch nicht gesprochen