Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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bohrender Schmerz setzte sich in meiner Brust fest. Traurigkeit und Eifersucht auf diese unbekannte Frau manifestierten sich zu einem solch niederschmetternden Gefühl, dass mir der Atem stockte. Tränen schossen mir in die Augen und ich konnte sie nur mit Mühe hinunterschlucken.

      Reiß dich zusammen, versuchte ich mir zu sagen. Hast du wirklich geglaubt, er wäre frei? So ein Mann kann doch nicht allein sein. Auf jeden Fall hatte er eine Freundin und diese holte er gerade vom Bahnhof ab. Verdammt!

      Warum berührte mich das eigentlich so sehr? Ich wusste gerade einmal, dass er Robert hieß. Und dass er am Max-Planck-Institut arbeitete. Wo auch immer das in dieser Stadt war. Und dass er unglaublich gut aussah. Und mehr als nur einfach nett war. Und dass er die faszinierendsten grünen Augen hatte, die ich jemals gesehen hatte. Und er hatte sich meinen Namen gemerkt …

      So viel Glück wirst du kein drittes Mal haben, versuchte ich mir klar zu machen. Du wirst ihn nie wieder treffen! Diese Einsicht war wie ein Schlag ins Gesicht. Und trotzdem, ganz klein, neben diesem niederschmetternden Gefühl der Ohnmacht, regte sich Hoffnung auf ein weiteres Wiedersehen.

      Ich packte mein Buch wieder ein und zog meinen Parka an. Hier konnte ich nicht bleiben, verwirrt und enttäuscht wie ich war.

      Während ich zurück zur Straßenbahnhaltestelle lief, schlug mir der kalte Regen ins Gesicht und vermischte sich mit meinen Tränen, die nun ungehemmt liefen. Der jähe Abschied von Robert ließ mich fast verzweifeln. Ob ich ihn jemals wiedersehen würde? Wohl eher nicht. Und keiner war da, mit dem ich hätte reden können. Kristin war in Halle und zog sicher gerade von einem Club zum nächsten, ohne eine Grenze zwischen Tag und Nacht zu ziehen. Meine Mutter konnte ich nicht anrufen, um ihr von der Sehnsucht nach einem Wildfremden zu erzählen. Sie würde die Welt nicht mehr verstehen und sich enorme Sorgen machen. Alle anderen Freunde standen mir nicht so nah, als dass ich mit ihnen meinen unerklärlichen Herzschmerz hätte teilen wollen. Und Daniel, mein Bruder? Der würde sich entweder über mein noch nie gekanntes Gefühlschaos schlapp lachen oder sich völlig verunsichert zurückziehen. Ich war zutiefst traurig und gleichzeitig unendlich wütend auf mich selbst. Wieso benahm ich mich wie ein kleines Kind? So etwas war mir noch nie zuvor passiert.

      Langsam dämmerte mir eine Wahrheit, die ich jedoch vehement verdrängte. Ich gehörte schließlich nicht zu solch flatterhaften Menschen, die schnell ihr Herz verschenken! Nein! Deshalb konnte das auch gar nicht sein. Ich war sicher nur emotional ein bisschen aufgekratzt, weil ich nicht wusste, was mich in den nächsten Wochen hier erwarten sollte. Genau! So versuchte ich mich aus meinem Tal der Tränen herauszureden und fühlte mich aber so gar nicht besser, als ich wenig später in die fast leere Bahn zurück zu meiner Wohnung stieg.

       4

      Wie ich den Rest des Wochenendes überstand, kann ich nicht mehr sagen. Es verging … irgendwie und unendlich langsam.

      Ich war froh, als ich am Montagmorgen aufstehen, und mit dem Ziel der ersten Vorlesung meines Studiums in Richtung Uni aufbrechen konnte.

      Als ich den Hörsaal in der Beethovenstraße betrat, wäre ich fast wieder rückwärts zur Türe herausgekippt. Nach den letzten Tagen, die ich versunken in meine Gedanken an Robert, den Unbekannten, verbracht hatte, schlugen mir die Geräusche des schon mit Studenten gut gefüllten Raumes entgegen wie eine Welle hunderter lärmender Spatzen. Ich suchte mir einen der wenigen noch freien Plätze recht weit hinten. Die vorderen Sitzreihen waren noch nicht so dicht belegt, doch mir war einfach nicht danach, im Vordergrund zu sitzen. So war ich schlichtweg dankbar, zwischen all den anderen sprichwörtlich untergehen zu können. Ich kannte sowieso noch niemanden und war daher froh, mich nur auf mich selbst konzentrieren zu können.

      Kurze Zeit später betrat eine junge Frau forschen Schrittes den Hörsaal, legte ihre Tasche ab und stöpselte ihren Laptop an den Beamer. Eine Professorin, damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar hatte ich mich im Vorlesungsverzeichnis über die Veranstaltung und ihren Lektor erkundigt. Aber soweit ich mich erinnern konnte, stand da Prof. Dr. Chr. Rosenberg. »Early American Short Stories«, für dieses Thema und noch dazu mit der Abkürzung Chr. hatte ich mir irgendwie einen älteren Herren vorgestellt. Christoph, Christian oder so ähnlich, aber ihre Fußzeile in ihrer Powerpointpräsentation enthüllte nun ein schlichtes Chris.

      Warum also nicht? Ich lehnte mich zurück und lauschte ihren Ausführungen über Nathaniel Hawthornes Initiationsgeschichte »Young Goodman Brown«. Die in ihrem Vortrag untersuchte vielfältige Symbolik, die darstellt, welchen seine Tugend bedrohenden Versuchungen der Protagonist auf seinem Weg zum Glück ausgesetzt ist, faszinierte mich und zog mich für die folgenden neunzig Minuten in ihren Bann. Die Geschichte musste ich mir unbedingt in der Bibliothek besorgen und noch einmal in Ruhe lesen.

      Viele der um mich herum sitzenden Kommilitonen verfolgten das Geschehen nicht ganz so begeistert. Der alte Hörsaal mit seinen Holzklappstühlen und ausklappbaren Holztischchen, die immer an den davor stehenden Rückenlehnen der Stühle angebracht waren, war erfüllt mit einem nicht abebben wollendem leisen Gemurmel. Dies störte die Professorin jedoch ganz offensichtlich nicht. Sie sprach betont, überzeugend und schien die störenden Geräusche auszublenden. Wie in einem Bienenstock, schoss es mir durch den Kopf, ehe ich mich wieder der Vorlesung zuwandte.

      Anschließend hatte ich ein Seminar zum Thema »Sociolinguistics«. Darunter konnte ich mir noch nichts vorstellen. Ich ließ mich also überraschen. Da ich mich mit den verschiedenen Räumlichkeiten der Uni noch nicht auskannte, hatte ich die Zeit, die ich von dem Gebäude in der Beethovenstraße zu meinem nächsten Seminarraum am anderen Ende der Stadt benötigen würde, völlig unterschätzt und kam gerade noch rechtszeitig. Ich setzte mich gleich nahe der Tür neben ein recht hübsches, sportlich gekleidetes Mädchen mit einem frechen blonden Kurzhaarschnitt und lustigen Sommersprossen. Ihre männliche Begleitung, offensichtlich ein Austauschstudent, der sich auffallend laut und mit starkem nordamerikanischen Akzent mit ihr auf Englisch unterhielt, schien eng vertraut mit ihr zu sein. Er, betont lässig in khakifarbenen Chinos und einem hellen T-Shirt mit braunem Pullover darüber, zeigte durch seine Körperhaltung deutliches Interesse an dem Mädchen, schien sie aber nicht offensiv zu umwerben. Sie bemerkte seine Flirtversuche jedoch nicht oder ignorierte sie gekonnt und verhielt sich ihm gegenüber einfach nur unbefangen und freundlich. Kaum saß ich, unterbrachen die beiden ihre Unterhaltung und er sprach mich auch schon an.

      »Hi, ich bin Jason und das ist Theresa. Welches Semester bist Du?«

      »Ähm, hallo, ich bin Elisabeth. Erstes Semester. Und ihr?«

      »Ich bin im vierten«, antwortete das Mädchen, das Theresa hieß. »Jason hat schon seinen Bachelor. Er kommt aus Vancouver und verbringt zwei Austauschsemester hier.«

      »Ja, das ist schon mein zweites Semester in Leipzig. So, also bist du ein Freshman, aren’t you?«, fragte Jason.

      »Sozusagen … oh, es scheint loszugehen«, sagte ich, als ein Mann mittleren Alters mit dunklem Tweedjackett und alter, abgetragener Ledertasche hereinkam und sich als Dr. Gallington vorstellte. Während er seine Unterlagen auspackte und eine Teilnehmerliste herumgehen ließ, erläuterte er steif die Prüfungsanforderungen für sein Seminar.

      »Oh, er sieht eindeutig ›very British‹ aus«, flüsterte Theresa mit belustigtem Blick auf die antiquierte, abgewetzte Jacke von Mr. Gallington und deutete dabei Gänsefüßchen an.

      »Ja, wie ein alter Landlord«, lachte Jason leise in meine Richtung.

      Ich musste zugeben, die beiden waren mir wirklich sympathisch und ich war erleichtert, wenigsten schon einmal zwei neue Namen zu kennen. Und mit der Einschätzung Mr. Gallingtons als Sinnbild eines britischen Landlords hatten die beiden irgendwie Recht, musste ich ihnen schmunzelnd zugestehen.

      Die folgenden neunzig Minuten mit Mr. Gallington waren nicht ganz so kurzweilig wie die Vorlesung zuvor und ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich mit den beiden neben mir plauderte. Zudem schaute ich wieder und wieder sehnsuchtsvoll nach draußen, hoffend, dass der elende Dauerregen endlich nachlassen würde, was er aber nicht tat. Im Gegenteil, es schien mir, als würde es mit jedem Blick nach draußen nasser und dunkler. Meine Pläne, meine heimliche