Maßnahmen und Aktionen konfrontiert, die in Deutschland zwischen 1933 und dem Frühjahr 1938 erfolgten. Noch im März 1938 wurden die »wilden Plünderungen« von einer staatlicherseits organisierten »Arisierungswelle« abgelöst. Da sich Juden auch im privatwirtschaftlichen Sektor Entlassungen größeren Ausmaßes ausgesetzt sahen, standen sie innerhalb kürzester Zeit unter hohem ökonomischen Druck.
Über das auch in Österreich eingeführte Kinoverbot für Juden berichtet die im Jahr 1931 in Wien geborene Ruth Klüger (1931–2020), die als Kind nach Theresienstadt sowie nach Auschwitz verschleppt wurde, und als Achtjährige so gerne »Schneewittchen« von Walt Disney sehen wollte:
»Als es im Saal hell wurde, wollte ich die anderen vorgehen lassen, aber meine Feindin stand und wartete. Ihre kleinen Geschwister wurden ungeduldig, die Große sagte ›Nein, seid’s stad‹, und sah mich streng an. Die Falle war, wie gefürchtet, zugeschnappt. Es war der reine Terror. Die Bäckerstochter zog noch ihre Handschuhe an, pflanzte sich endlich vor mir auf, und das Ungewitter entlud sich. Sie redete fest und selbstgerecht, im Vollgefühl ihrer arischen Herkunft, wie es sich für ein BDM-Mädel schickte, und noch dazu in ihrem feinsten Hochdeutsch: ›Weißt du, dass deinesgleichen hier nichts zu suchen hat? Juden ist der Eintritt ins Kino gesetzlich untersagt. Draußen steht’s beim Eingang an der Kasse. Hast du das gesehen?‹« (Klüger 1992: 57)
In Wien und anderswo kam die Aneignung jüdischer Vermögen einem »Beutezug« großer Teile der nichtjüdischen Bevölkerung gleich, deren aufgestauter Neid und Hass sich nunmehr entluden. Neben der Verteilung der Beute an die neuen »Volksgenossen« sollte die gezielte Beraubung gleichfalls den Zwang auf Juden zur Auswanderung erhöhen, die organisatorisch unter der Kontrolle von Adolf Eichmann (1906–1962) stand. Die Zentralstelle für Jüdische Auswanderung in Wien wurde im August 1938 eröffnet. Während deutsche Juden, die unmittelbar nach 1933 auswanderten, noch einen Teil ihrer Habe retten konnten, wurden die österreichischen Juden im Jahr 1938 bereits vollständig um ihr Vermögen gebracht. Wenige Monate nach dem Anschluss führten die Novemberpogrome auch in Österreich zur Zerstörung von Synagogen sowie zur Verhaftung zahlreicher Juden und ihrer Internierung in Konzentrationslagern. In Wien blieb von den größeren Synagogen lediglich die Hauptsynagoge in der Seitenstettengasse wegen der Brandgefahr der umliegenden Gebäude erhalten. Die Konzentrationslagerhaft diente häufig einer neuerlichen Beraubung sowie einer Verstärkung des Drucks auf die Auswanderung. Zahlreiche jüdische Gemeinden lösten sich bereits Ende des Jahres 1938 aus finanziellen Gründen auf.
Von den 206 000 Juden im März 1938 wanderten 126 445 Juden noch vor Kriegsbeginn aus. Bevor den Juden die Auswanderung am 10. November 1941 vollständig verboten wurde, kamen noch weitere 2000 hinzu. Nicht allen Ausgewanderten boten ihre neuen Länder eine sichere Zuflucht, so gelangten im Verlauf des Krieges 15 000 Juden Österreichs erneut unter die deutsche Herrschaft. Bereits Anfang 1939 wurden 1048 staatenlose Juden, polnische Juden sowie kranke oder behinderte Juden nach Buchenwald verschleppt und dort umgebracht. Im Oktober 1939 wurden im Rahmen des sogenannten Nisko-Plans 1584 jüdische Männer nach Polen deportiert. Im Frühjahr 1941 verschleppten Massentransporte österreichische Juden nach Lublin. Der systematische Massenmord an den österreichischen Juden begann als im Oktober 1941 ca. 5000 Juden in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) des Generalgouvernements deportiert wurden. Von den Verschleppten waren bereits ein Jahr später nur noch 600 Menschen am Leben. Es folgten Deportationen nach Riga und Minsk, wo die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD mordeten. Bis Oktober 1942 fanden weitere Deportationen in die Vernichtungslager des Generalgouvernements statt. Ende 1942 lebten von den 206 000 Juden des Jahres 1938 nur noch 8102 Juden in Österreich, darunter zumeist Personen in sogenannten »Mischehen«. Von den ehemals 206 000 österreichischen Juden wurden ca. 65 000 ermordet, was einer Prozentzahl von über 30 % entspricht. Im April 1945 lebten 1000 bis 2000 Juden in Wien, im Jahr 1934 waren es einst 176 000.
1.5 Die nationalsozialistische Planung der »Endlösung«
Die nationalsozialistische Judenfeindlichkeit war ihrem Wesen nach ein eliminatorischer Antisemitismus. Die Eliminatorik umfasste die soziale Elimination der Juden, d. h. die systematische Ausgrenzung sowie Markierung der Juden als »nichtzugehörige Fremde«, die räumliche Elimination durch erzwungene Auswanderung, Abschiebung oder Deportation, die physische Elimination in Form von körperlicher Gewalt, Inhaftierung, Folterung und Mord sowie die genozidale Elimination als kollektive Vernichtung der Juden im Sinne eines Völkermords. Zwar war das genozidale Element von Anfang an im Wesen des nationalsozialistischen Antisemitismus als Option angelegt und spiegelte sich beispielsweise in der ideologischen Konstruktion eines weltumspannenden, endzeitlichen Kampfes zwischen dem »Arier« und dem »Semiten«, gleichwohl war der »Weg nach Auschwitz« nicht vorprogrammiert, sodass unterschiedliche Planungen und Konzepte bezüglich der Frage existierten, wie denn die sogenannte »Endlösung der Judenfrage« auszusehen habe und was darunter zu verstehen sei. Als verbindendes Element dieser Entwürfe erwies sich die Vorstellung von einem »Deutschland ohne Juden«, welche anfangs die räumliche Elimination zum Dreh- und Angelpunkt nationalsozialistischer Politik machte, indes bereits die Entscheidung zugunsten eines Genozids einschloss, falls sich ein »judenfreies Deutsches Reich« sowie ein »nationalsozialistisches Europa« nicht durch Auswanderung oder Deportation erreichen ließen.
Die vom Nazi-Regime unmittelbar nach 1933 eingeleiteten Schritte sollten die rechtliche Gleichstellung der Juden rückgängig machen, dem eigenen Wählerklientel in Form von Berufsverboten und »Judenboykott« unliebsame Konkurrenten vom Halse schaffen sowie erste Schritte einleiten, um den Druck in Richtung Auswanderung beziehungsweise Austreibung aufzubauen. Nach dem Anschluss Österreichs diente ursprünglich diesem Zweck die Reichszentrale für jüdische Auswanderung. Die »Polenaktion« im Herbst 1938 stellte einen ersten konzeptionellen Wendepunkt dar. »Es handelte sich um die erste von den Behörden organisierte Massendeportation von Juden«, schreibt Reich-Ranicki und sodann: »Verglichen mit späteren Transporten waren es noch menschliche, ja nahezu luxuriöse Bedingungen.« Zwar ist der Aussage zuzustimmen, dass eine Parallele zu späteren Vernichtungsdeportationen noch nicht vorlag – wenngleich die humanitäre Situation der Ausgewiesenen auch nicht verharmlost werden darf –, die neue Qualität der »Polenaktion« war indes dem Sachverhalt geschuldet, dass die nationalsozialistische Judenpolitik erstmals den Weg von der (erzwungenen) Auswanderung zur staatlich organisierten Vertreibung beschritt. Die sich mit der »Polenaktion« ankündigende Ablösung der forcierten Auswanderung durch Deportation warf dergestalt betrachtet ihre Schatten voraus. Die »Polenaktion« wies zugleich darauf hin, dass umfangreichere, effektive wie administrativ problemlose Abschiebungen beziehungsweise Vertreibungen die Verfügungsgewalt des Deutschen Reichs über das jeweils anvisierte Territorium der Abschiebung erforderlich machten.
Der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 ging mit einer qualitativen Verschärfung des Antisemitismus einher. Die Einsatzgruppen, die zum Zeitpunkt des Polenfeldzugs bereits existierten, ermordeten systematisch Tausende Polen, darunter auch viele Juden. Die Radikalisierung der Judenfeindschaft war in dieser Phase dem Sachverhalt geschuldet, dass durch das militärische Geschehen eines brutalen Eroberungskriegs nicht nur die Tötungshemmnis sank, sondern zugleich der »außenpolitische Kampf« zunehmend mit dem »Kampf gegen Rassenschädlinge« verschmolz. Der Konnex zwischen Patientenmord und Shoah bildete sich mit dem »Polenfeldzug« heraus und zeigte sich daran, dass unmittelbar nach dem Überfall Erschießungskommandos Insassen polnischer Heil- und Pflegeanstalten ermordeten und insbesondere jüdische Patienten keinerlei Überlebenschance besaßen. »Jüdischsein« wurde in der Vorstellungswelt der Mörder zur unheilbaren Krankheit, deren Ausbreitung nur durch die Ermordung der »Patienten« beizukommen sei, da sich der »Virus« ansonsten immer mehr ausbreite. Die Verschmelzung des militärischen Kriegs mit dem »Rassenkampf« zu einem bipolaren Vernichtungskrieg zeigte sich daran, dass Hitler im Oktober den geheimen Führererlass, der Karl Brandt (1904–1948), den Leiter seines persönlichen Ärztestabes, sowie Philipp Bouhler (1899–1945), den Chef seiner Privatkanzlei, dazu ermächtigte, die Ermordung von Psychiatriepatienten sowie von pflegebedürftigen Kranken im deutschen Reichsgebiet durch ausgewählte Ärzte durchführen zu lassen, auf den 1. September 1939 rückdatierte. Die sogenannte »T4-Aktion«, benannt nach der Berliner