Peter Muller

Religiöse Bildung am Bayerischen Untermain


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darin, dass die vorhandenen Weisheitspotenziale der „verfassten Religionen“ im Hinblick auf den oben formulierten Bildungsanspruch zu wenig genutzt werden. Diese Potenziale in einem Dialog auf Augenhöhe mit den Akteuren der religiösen Frühpädagogik einzubringen, ist Aufgabe der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften. Aus Sicht der Kinder bleibt aber festzuhalten: Ihr Recht ist es, eine Lesehilfe für die „Kon-Texte der Welt“ zu erhalten. Ein nicht unwesentlicher „Kon-Textbaustein“ sind diese Fragen nach dem Woher, Warum und Wohin und die in den Religionen zusammengetragenen Erfahrungen mit diesen Fragen. Ohne eine religiöse Bildung und Erziehung, die Kinder auf diesem Erfahrungsweg begleitet, sind die Kinder – um im Bild zu bleiben – nicht lesefähig und folglich auch nicht ausdrucksfähig. Eine solche „Lese- und Ausdrucksschwäche“ hat aber andere Auswirkungen auf die existenzielle Gestaltung des Lebens als die sonst in unserem Bildungssystem gemeinte Lese- und Rechtschreibschwäche. Aber wie es auch in der deutschen Sprache eine Rechtschreibreform gab, so erscheint es auch im Feld der religiösen Bildung und Erziehung sinnvoll, über Reformen nachzudenken. Reformen, die sich einerseits der Bedeutung des Gegenstandes bewusst sind, aber auch erkennen, wo sich (religiöse) Sprache weiter entwickeln muss, weil sich die Sprachgepflogenheiten verändert haben und das, was ausgedrückt werden soll, eventuell nicht mehr in Sprachform und Sprachgefühl heutiger Menschen passt. Die vorliegende Studie liefert einen Blick auf die Situation am Bayerischen Untermain und so viel sei schon angezeigt: Sie zeigt einerseits eine hohe Wertschätzung elementarer religiöser Bildung und Erziehung bei den Fachkräften auf. Es wird aber auch deutlich, wo es sinnvoll und nötig ist, neue Wege zu gehen.

      Bereits die Struktur der vorliegenden Studie verdeutlicht, dass viele Akteure in diesem Fragekontext gefordert sind. Als solche gelten die Kinder, die Erzieher/innen und Eltern, die Kooperation mit dem Träger und die Aus- und Fortbildung. Die Beschreibung der pädagogischen Grundlagen des Bildungsplans liefert in dieser Arbeit den theoretischen Bezugsrahmen.

      Im 2. Kapitel werden diese Grundlagen des Bayerischen Bildungsund Erziehungsplans vorgestellt. Hierbei wird das Bild des kompetenten Kindes und die Bedeutung der Ko-Konstruktion als bildungstheoretischer Rahmen verdeutlicht. Ausgewählte themenübergreifende und themenbezogene Bildungs- und Erziehungsperspektiven werden hierbei vorgestellt. Solche sind: „Übergänge des Kindes“, interkulturelle Erziehung, Werteorientierung und Religiosität und Umwelt. Die Beschreibung der Schlüsselprozesse greift die Frage auf, wie die o. g. Prinzipien in der Erziehungs- und Bildungsarbeit durch Partizipation, Vernetzung und Evaluation umgesetzt und in kindorientierter Perspektive moderiert werden können. Den Abschluss dieses Kapitels bilden zwei Perspektiven, die quasi von außen auf den Bayerischen Bildungsplan (BEP) blicken. So wird der Frage nachgegangen, ob der BEP ein Instruktionsansatz ist, und: Wie stellt sich der BEP im Vergleich zu den Bildungsplänen der an die Region Bayerischer Untermain angrenzenden Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg dar?

      Im Anschluss daran werden im 3. Kapitel unterschiedliche Perspektiven der elementaren religiösen Bildung dargestellt. Dies sind die Positionen der christlichen Kirchen und deren Fachverbände. Das im 2. Kapitel aufgezeigte Bild vom kompetenten Kind verweist auf die Entwicklung der Kindertheologie und stellt die wesentlichen Anliegen dieser pädagogischen Entwicklung vor. Im 4. Kapitel werden Thesen für eine ganzheitliche lebens- und sinnorientierte elementare Frühpädagogik am Bayerischen Untermain entwickelt und in ihrem Zusammenhang theoretisch begründet.

      Das 5. Kapitel liefert die sozialwissenschaftliche Begründung und zeigt in der Datenanalyse die Repräsentativität der Studie auf. Im Folgekapitel wird aufgezeigt, wie die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen für die Mitarbeit in diesem umfangreichen Forschungsprojekt gewonnen wurden und wie die Fragebögen für die Leitung und die Erzieher/innen aufgebaut sind.

      Die Auswertung des Fragebogens wird im 7. Kapitel sehr umfangreich dargestellt und im Hinblick auf die Thesen des 4. Kapitels kritisch überprüft. Das letzte Kapitel widmet sich zusammenfassend den Perspektiven und den sich daraus ergebenden Aufgaben für die Akteure elementarer religiöser Bildung und Erziehung am Bayerischen Untermain. Hierbei wird noch einmal Bezug genommen auf die theologischen und pädagogischen Grundlagen, die diese Arbeit in ihrer Denkrichtung geprägt haben.

      1 Zumindest stellt dies die Perspektive des Leitbildes der Fachakademie in Aschaffenburg dar, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem Stellenwert von Praxis und Theorie eindeutig festhält: Praxisstellen und Fachakademie verstehen sich als gleichwertige Partner. Zum Leitbild: http://www.faks-ab.de/download/leitbild.pdf 15. 4. 2011.

      2 vgl. Rogge, R., Elementarpädagogik und Religion, http://www.rpi-loccum.de/roelemt.html#, Download 26. 1. 2012.

      3 Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan wird diese einseitige Fixierung systematisch nicht vollzogen. Dort wird von der Gleichberechtigung aller Bildungsbereiche gesprochen. In der Handreichung des Bayerischen Bildungsplans für Kinder unter drei Jahren ist diese Gleichberechtigung jedoch nicht mehr erkennbar. Dort kommt die Bedeutung religiöser Bildung nicht mehr vor. Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen; Staatsinstitut für Frühpädagogik München, Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren, Weimar – Berlin 2010.

      4 vgl. Röser, J., Mut zur Religion, Freiburg 2005.

      5 In: Möllering, K., (Hg.), Worauf du dich verlassen kannst, Leipzig 201010, S. 53 f.

      6 Röser, ebd., S. 9.

      7 Vgl. hierzu: Münchmeier, R.: Zur Bedeutung von (Religiosität in) Familien in sozialpädagogischer Sicht, in: Biesinger A. et al., Brauchen Kinder Religion?, Weinheim 2005.

      8 Vgl. hierzu Kohler-Spiegel, H.: Erfahrungen des Heiligen, Religion lernen und lehren, München 2008, S. 25 ff.

      2. Kapitel

      Der bayerische Bildungs- und Erziehungsplan als Grundlage der Untersuchung

      Das bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (StMAS) hat in Verbindung mit dem Institut für Frühpädagogik (IFP) im Jahre 2006 nach einjähriger Erprobung den „Bayerischen Bildungsund Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung“9 herausgegeben. Er versteht sich nach den Worten der damals zuständigen Ministerin Stewens als „Teil der Qualitäts- und Bildungsoffensive Bayerns.“10 Für Prof. Fthenakis, den damaligen Leiter des Instituts für Frühpädagogik, ist der Bildungsplan ein Instrument, für „dessen angemessene Umsetzung nicht nur eine hohe pädagogisch-didaktische Kompetenz maßgeblich (ist), viel wichtiger ist, dass die „Philosophie“ des Plans, d. h. das Menschenbild und die Prinzipien, die ihm zugrunde liegen, verinnerlicht werden.“11 Diese Prinzipien bilden die Grundlage für Kinderkrippen, Kindergärten und andere vorschulische Kindertageseinrichtungen. Diese Prinzipien basieren auf einem ganzheitlichen Bildungsverständnis, das sich an der Entwicklung und am Wohlbefinden des Kindes in allen Bereichen orientiert. Die herausragende Bedeutung der prozessualen Bildungsaspekte soll alle motivieren, ihre Bildungsarbeit danach zu gestalten. Es ist angestrebt, an allen vorschulischen Bildungsorten Kontinuität und Anschlussfähigkeit in den Bildungsprozessen des Kindes sowie behutsame Übergänge im Bildungsverlauf zu sichern. Die Gestaltung und Organisation der Bildungsprozesse haben sich allein am Kind zu orientieren und nicht an den einzelnen Bildungsinstitutionen.12 Der Plan stellt für sich betrachtet keine verbindliche Vorgabe im Hinblick auf die Umsetzung in der pädagogischen Arbeit dar. Andererseits bietet er den „Orientierungsrahmen“,