Katharina Eigner

Salzburger Rippenstich


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je nach Geschick, und hängen ihren Angebeteten die ergatterten Lebkuchenherzen auf das dralle Dekolleté. Und wir mittendrin.

      Wir bleiben bei einem Standl stehen und kaufen gebrannte Mandeln, um erst einmal den Blutzuckerspiegel zu heben und uns zu stärken. Punktgenaues Zielen ist nicht unbedingt meine Spezialdisziplin, also lasse ich beim Dosenschießen meiner Familie den Vortritt. Lisi freut sich wie eine Schneekönigin über den ersten Treffer und sucht sich einen unglaublich hässlichen Schlüsselanhänger in Bärenform aus.

      Auf dem Kapitelplatz und dem Residenzplatz stehen die meisten Fahrwerke. Jedes hat seinen fixen Standort, und das schon seit Jahren. Am Domplatz sind die Standln mit dem Krimskrams; von gefilzten Hüttenpatschen über Lebkuchenherzen, Ledergeldtascherln in quietschigen Farben, Küchenschürzen mit aufgedruckten Riesenbrüsten oder Luftballons in Schlumpfform gibt es einfach alles. Der Mozartplatz gehört den Handwerkern. Salatschüsseln aus Olivenholz, gedrechselte Massageroller, geflochtene Brotkörbe oder erlesenen Zirbenschnaps: es wird alles feilgeboten, was das Herz begehrt. Und der bronzene Wolfgang Amadeus steht mitten im Getümmel und schaut auf alles herab.

      Wir sitzen vor dem ehemaligen Café »Glockenspiel« auf Bierbänken und strecken bei Würstln mit Kren und Stiegl-Bier unsere Gesichter in die herbstliche Nachmittagssonne.

      Zwei Polizisten schlendern gemächlich an uns vorbei, völlig eins mit sich und der Welt. Sie halten pflichtschuldigst Ausschau nach potenziellen Störenfrieden, aber weit und breit ist keine Schlägerei zu sehen, die unterbrochen werden müsste. Die paar Betrunkenen, die herumtorkeln, sind noch nicht in Angriffslaune.

      Apropos Polizei: Mittlerweile ist genau eine Woche vergangen, seit der Unbekannte mit zerdepschtem Schädel an der Glan gefunden wurde. Ich denke an die Volldeppen­theorie vom Laurenz. Bisher kann die Polizei keine brauchbaren Ergebnisse vorweisen. Nicht einmal unbrauchbare. Sogar die Patienten in der Praxis haben sich lautstark und intensiv damit beschäftigt, warum in der Sache nichts weitergeht. In der Zeitung war nur ein spartanischer Zweizeiler zu lesen: Spaziergänger haben vergangenen Sonntagnachmittag am Fürstenbrunner Glanunfer einen unbekannten Toten gefunden. Die Polizei bittet um sachdienliche Hinweise. Das war alles. Und dann, gestern: Im mysteriösen Todesfall eines Mannes an der Gemeindegrenze zwischen Fürstenbrunn und Wals tappt die Polizei weiterhin im Dunkeln. Wen wundert’s, dass TV-Serien mit Wetterfleck tragenden Ladys in der Ermittlerrolle so erfolgreich sind? Man müsste sich halt einmal die Frage stellen, ob der arme Kerl wirklich gestolpert ist oder ob er gestolpert wurde. Und ob jemand einen Mann vermisst, auf den die Beschreibung vom Fischer Xaverl passt. Muskulöser Kerl Anfang 20, T-Shirt mit komischem Schriftzug und auffallend große Füße. Damit müsste man doch was anfangen können, oder? Zumindest ein Foto vom »T-Shirt mit komischem Schriftzug«, eventuell in der Zeitung veröffentlicht, wäre hilfreich, denn was kann man sich unter »komisch« vorstellen? Gar nichts! Wie soll man denn bitte sachdienliche Hinweise bringen, wenn es keine Anhaltspunkte gibt? Stattdessen gammelt der Kerl irgendwo mit einem Zettel am Zeh vor sich hin. Was passiert eigentlich mit einem unbekannten Toten, den niemand vermisst? Die Frage habe ich mir schon öfter gestellt. Eine Zeit lang kann er wahrscheinlich in irgendeinem Kühlhaus liegen bleiben, aber wahrscheinlich ist spätestens nach ein paar Wochen Schluss damit. Und dann? Wenn immer noch keine Angehörigen aufgetaucht sind, die ihm die letzte Ehre erweisen und sich um ein ordentliches Begräbnis kümmern? Vielleicht, stelle ich mir vor, gibt es für solche Fälle eigene Vorgangsweisen. Spezielle Gräber, in denen namenlose Tote ihre letzte Ruhestätte finden. Aus Kostengründen eher kein Einzelgrab, sondern WG post mortem. Günstiger Sarg, keine Blumen, versteht sich. Traurig eigentlich. Wenn die Polizei nicht bald herausfindet, woran der muskulöse Mann mit den großen Füßen gestorben ist, wird er sich wohl auf so ein No-Name-Grab einstellen müssen. Leider ist unter unseren Patienten kein Polizist, den ich ganz diskret nach dem aktuellen Stand der Dinge fragen könnte. Dahingehend hab ich mich schon schlaugemacht und die Kartei durchforstet. Und ich kenne auch niemanden, der einen Polizisten kennt.

      Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf das alte Kettenkarussell und die Mozartstatue. Gemütlich schlendern wir durch das Gewusel an Kindern mit Luftballons, verliebten Pärchen mit überdimensionalen Kuscheltieren und kichernden Teenagern in Dirndl und Sneakers. Die Kinder kaufen sich Schaumrollen und stellen sich beim Sturmsegler an.

      »Na, hast mich vergessen, du untreue Seele?« Ich fahre herum und sehe: Weninger Vroni.

      Jessasmarantjosef, ich hätte mich um vier Uhr beim Sturmsegler mit ihr treffen sollen. Mittlerweile ist es halb fünf.

      »Ich hab dich gefühlte 20-mal angerufen, aber bei dem Lärm hier«, sie macht eine kreisende Handbewegung und meint den Kirtag, »hört keine Sau ein Handy-Gebimmel. Drum hab ich mir gedacht, ich hol mir ein Schnapserl als Belohnung fürs Warten.«

      Seit unserem sechsten Lebensjahr sind wir beste Freundinnen. Wir haben den Hype um Discoroller, Duftbleistifte, Pickerlalben und New Kids on the Block gemeinsam durchgemacht. Wir waren zusammen fischen, wandern und auf Sportwoche. Die Vroni kennt mich also wie ihre Westentasche und umgekehrt. Während Laurenz und Franz, Vronis bessere Hälfte, den Kindern Geld für Schokobrezen geben, ziehe ich meine Freundin ein wenig zur Seite und erzähle ihr von der Fürstenbrunner Leiche.

      »Todesursache?«, will sie wissen.

      »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er hinten zerdetscht und vorne zermatscht war.«

      Die Vroni spitzt die Lippen und zieht die Augenbrauen hoch. »Beim nächsten Geocacher-Stammtisch werd ich den Roderich anzapfen. Also übermorgen.«

      Ich bin geflasht; Vroni steckt voller Überraschungen! Jetzt kennen wir uns seit über 30 Jahren, aber was in Gottes Namen sind Geocacher? Und seit wann macht Vroni bei denen mit? Die Erklärung kommt umgehend und ausführlich. Während mir die Vroni die Basics ihres neuen Hobbys erklärt, verdrücken unsere Kinder acht Schokobrezen, drei Leberkässemmeln und sieben Fruchtspieße. Sie redet auch noch, als die Kinder mit dem Kettenkarussell wild im Kreis fahren und das Gegessene mühsam bei sich behalten. Eine geschlagene Stunde später bin ich schlauer. Ich weiß jetzt, dass Geocachen nichts mit dem Schulfach Geografie zu tun hat, wohl aber mit Koordinaten und Orientierung. Man versteckt und sucht Sachen. Und je schwieriger irgendein Cache zu finden ist, desto lustiger das Ganze. Angeblich. Und gecacht, erklärt mir die Vroni, wird überall auf der Welt.

      »Ja«, sagt sie und beißt krachend auf die letzte gebrannte Mandel aus dem Papiersackerl, »und die Geocacher, die sind eine riesige Community, weißt du. Jede Ortsgruppe trifft sich einmal im Monat am Stammtisch.« Sie schwärmt mir von den netten Leuten vor, die bei der Community sind, von den Nicknames und den Adventures. Ich bin eher skeptisch. Am helllichten Tag freiwillig nach Sachen zu suchen, die irgendwer vorher versteckt hat, und das Ganze dann auch noch in ein Logbuch einzutragen, entspricht nicht meiner Vorstellung von Entspannung! Sachen suchen muss ich täglich daheim, wenn die Kinder oder der Laurenz wieder mal was verlegt haben. Meine diesbezüglichen Erfolge würden kein Schwein interessieren, selbst wenn ich die ganze Welt via Internet dran teilhaben lasse. Socke war unterm Bett, bitte Applaus! Aber die Vroni sagt, für sie ist das ein Ausgleich. Denn ihre Vormittage verbringt sie entweder mit gestörten Schülern oder deren gestörten Eltern. Beibringen kann man denen nix mehr, sagt sie, denn die Schüler sind Bestien und die Eltern beratungsresistent. Und irgendwann braucht sie dann halt auch ein Erfolgserlebnis. Dann packt sie sich am Nachmittag mit ihren Mädels zusammen und geht suchen. Wurscht, was. Hauptsache suchen. Manchmal große Sachen, manchmal kleine. Denn die Caches sind unterteilt in verschiedene Größen. Mikro, Mini, Maxi und so. Ich höre ihr ehrfürchtig zu. Sie scheint das ernst zu meinen, das mit der Entspannung.

      »Und wer ist jetzt dieser Roderich?«, lenke ich sie zum eigentlichen Thema zurück. Es braucht ein paar Sekunden, bis es schnackelt in ihrem Hirnkastl.

      »Ach soooooo, der! Ist bei der Polizei in Anif. Ganz ein Netter. Der braucht das auch als Ausgleich, das Geocachen.« Laut Vroni ist der Roderich seit einem Jahr verwitwet und züchtet Bienen. Nicht hauptberuflich, natürlich. Als Hobby. Seinen Honig könnte sie mir wärmstens empfehlen. Und eben diesen Roderich wird sie beim Stammtisch ein bisserl aushorchen, was die laufenden Ermittlungen in Sachen Leiche an der Glan betrifft.

      Die Sonne hat sich verabschiedet; es wird kühl. Zeit, heimzufahren. Als Abschluss fahren wir