Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


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href="http://data.perseus.org/citations/urn:cts:greekLit:tlg0007.tlg139.perseus-grc1:1093a">1093a). Gelesen werden aber z.B. auch τὰ Ὁμήρου ποιήματα (Lukian.Lukian von Samosata Gall. 2; s. auch Iupp. conf. 1).

      BücherBuch werden außerdem häufig durch ihren TitelTitel angegeben.20 Weniger häufig steht der Name des Autors metonymischMetonymie für den gelesenen Text.21 In dieser spezifischen Verwendungsweise schwingt sehr häufig die Bedeutung von „(genau) studieren“ (LSJ: to study, to pore over) mit.22 Aber auch nicht primär schriftlich konzipierte Kommunikationsakte, die durch den Kontext eindeutig als schriftgebunden markiert sind, werden gelesen,23 wobei gerade RedenRede durchaus als schriftlich konzipiert gedacht worden sind:24

      Orakelsprüche oder Eide: vgl. z.B. μαντεία (Demosth.Demosthenes or. 19,297; 21,25; Aischin.Aischines Ctes. 112.119); ὅρκος (Demosth. or. 24,148; Lykurg.Lykurgos von Athen 1,80; App.Appian civ. 2,20,145); ἀντωμοσία (Isa. or. 5,4); χρησμός (Aristoph.Aristophanes Eq. 115–120; Plut.Plutarch Phoc. 8,3 [ZIEGLER, p. 7,14]).

      RedenRede: vgl. einschlägig Isokr.Isokrates 12,231f, der berichtet, dass er eine diktierte Rede mit kritischer Distanz nach einigen Tagen noch einmal gründlich durchliest (τριῶν γὰρ ἢ τεττάρων ἡμερῶν διαλειφθεισῶν ἀναγιγνώσκων αὐτὰ καὶ διεξιών …); Isokr. 12,216 über einen Schüler, der eine Rede von Isokrates liest. In Isokr. 12,246 wird auf die zukünftigen RezipientenRezipient der Panathenaikos vorausgeblickt und angemerkt, dass sie bei oberflächlicherAufmerksamkeitoberflächlich/flüchtig Lektüre leicht und verständlich erscheine (ἀλλὰ τοῖς μὲν ῥᾳθύμως ἀναγιγνώσκουσιν ἁπλοῦν εἶναι δόξοντα καὶ ῥᾴδιον καταμαθεῖν), sich bei genauem Hindurchgehen (s. dazu 3.7) aber als schwierig und schwer verständlich herausstelle (τοῖς δ᾽ ἀκριβῶς διεξιοῦσιν αὐτόν […] χαλεπὸν φανούμενον καὶ δυσκαταμάθητον).25 Bei Plut.Plutarch Dem. 11,4 findet sich die Gegenüberstellung des Hörens und des Lesens von Reden. Plut. Pomp. 79 erzählt, wie Pompeius auf einem Schiff in seinem ManuskriptHandschrift/Manuskript einer Rede liest, die an Ptolemaios adressiertAdressat ist: ὁ Πομπήϊος ἔχων ἐν βιβλίῳ μικρῷ γεγραμμένονγράφω ὑπ᾽ αὐτοῦ λόγον Ἑλληνικόν, ᾧ παρεσκεύαστο χρῆσθαι πρὸς τὸν Πτολεμαῖον, ἀνεγίνωσκεν; Plut. de garr. 5 (mor. 504c) erzählt von einem Klienten von Lysias, der das Manuskript einer für ihn geschriebenen Rede mehrfach liest;26 Agesilaos liest ein Redemanuskript von Kleon von Halikarnassos aus dem Nachlass von Lysander individuell-direktLektüreindividuell-direkt und möchte die Rede daraufhin veröffentlichenPublikation/Veröffentlichung (vgl. Plut. Ages. 20,3); vgl. zur Lektüre eines Redemanuskriptes auch Iul.Iulianus, Flavius Claudius (Kaiser) ep. 53 [382d]; Plut. apophth. lac. 54,14 (mor. 229e/f), bezeichnet ein βιβλίονβιβλίον γεγραμμένονγράφω τῷ Λυσάνδρῳ als ὁ λόγοςλόγος, der vorgelesen würde; Ps.-Plut.Pseudo-Plutarch X orat. 3 (mor. 836d): ἀνέγνω δὲ καὶ ἐν τῇ Ὀλυμπιακῇ πανηγύρει λόγον μέγιστον; Ps.-Plut. X orat. 6 (mor. 840d): ἀνέγνω τε τοῖς Ῥοδίοις τὸν κατὰ Κτησιφῶντος λόγον [vgl. Aischin.Aischines Ctes.] ἐπιδεικνύμενος. Bei DiodorDiodorus Siculus findet sich dagegen eine Stelle, an der das VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt einer Rede vor PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) gemeint ist: „Zugleich las er [Lysias] eine Rede mit dem TitelTitel Olympiakos vor“ (Diod. 14,109,3).

      Daneben können auch Abstrakta wie „Geschichte“ (ἱστορίαἱστορία)27 metonymischMetonymie für den zu lesenden Text stehen.

      Es lässt sich aus dem Quellenbefund nicht ableiten, dass ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω bloß in einem technisch physiologischen Sinne Lesen als Transformation von BuchstabenBuch-stabe in realisierten oder mental wahrgenommenen Klang/Sprache, die kognitivkognitiv nicht weiterverarbeitet würde, konzeptualisierte. Es gibt zwar Quellenstellen, an denen von einem Lesen ohne VerstehenVerstehen gesprochen wird bzw. der Akt der kognitiven Verarbeitung explizit erwähnt wird.28 An Stellen, wo ἀναγιγνώσκω mit einem Nicht-Verstehen verbunden ist, kann es theoretisch einen bloß technisch-physiologischen Vorgang bezeichnen. Allerdings ist an allen Stellen, an denen die kognitive Verarbeitung oder Nicht-Verarbeitung explizit thematisiert wird, jeweils in Rechnung zu stellen, dass der jeweilige Verstehens-Begriff unterschiedliche Bedeutung haben kann. Man kann Verstehen nämlich von einem völligen Unverständnis (wenn man altgriechische Buchstaben zwar lesen kann, aber die Vokabeln und die Grammatik nicht kennt, kann man einen griechischen Text zwar lesen, aber nicht verstehen) bis hin zu einem interpretatorischen Verstehen, also eines Verstehens der eigentlichen, tieferen, allegorischen, übertragenen o. ä. Bedeutungsdimension eines Textes, skalieren.29 Auch dass die besondere Aufmerksamkeit beim Lesen durch Lexeme wie ἐπιμελήςἐπιμελής30 oder ἀκριβήςἀκριβής31 hervorgehoben werden kann, macht deutlich, dass das Verb nicht nur die Transformation von Buchstaben in realisierten oder mental wahrgenommenen Klang meint. Zudem finden sich zahlreiche Stellen, an denen der Vorgang der kognitiven Weiterverarbeitung, also das Verstehen des Gelesenen eindeutig impliziert ist, ohne dass dies eigens hervorgehoben wird.32

      Eine aufschlussreiche