Wolf Dieter Blümel

Wüsten


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Hochgebirgs-Kältewüsten

      Hochgebirgswüsten: Nach dem Prinzip des planetarischen (horizontalen) und hypsometrischen (vertikalen) Formenwandels, dem insbesondere die jeweiligen Temperaturbedingungen zugrunde liegen, sind in Hochgebirgen einige Analogie- und Konvergenzerscheinungen mit polaren Kältewüsten zu erwarten: In spezifischen Höhen werden aufgrund der vertikalen Erhebung klimatische Verhältnisse erzeugt, die denen in hoch- oder subpolaren Räumen ähneln, häufig auch verbunden mit Permafrost im Untergrund.

      In den Alpen könnte man die Höhenstufe ab der oberen alpinen Stufe mit ihrer lückenhaften bis diffusen Vegetation sowie die aperen Teile der nivalen Stufe mit dem Begriff der Kältewüste belegen. In den höchsten unvergletscherten Gipfellagen können noch vereinzelte Phaerogamen sowie Flecken mit Kryptogamen auftreten (= hoch-nivale Stufe). Je nach Bewuchsdichte ist auch die mittel-nivale Stufe mit dikotylen Polstergruppen, Moosen und Flechten zur Hochgebirgswüste zu zählen. Je nach geographischer Breitenlage und Kontinentalitätsgrad verändert sich die Höhenlage der Hochgebirgswüsten. Generell ist die Gebirgskältewüste unmittelbar unterhalb der Schneegrenze zu finden, die jedoch sehr stark expositionsbedingt schwanken kann:

       Alpen: 2500 – 3200 m

       Himalaya: 4900 – 5600 m

       Westtibet: 6200 m

       Vulkan Llullaillaco (Argent. Anden; Nähe Wendekreis): 6700 m

      Grob genommen setzt die subnivale Höhenstufe der Alpen bei etwa 2500 m ein; sie könnte mit ihren fleckenhaften Rasen und Pflanzenpolstern als Halbwüste eingestuft werden. Ab etwa 2900 m beginnt die Nivale Stufe als Kältewüste, deren Vegetationsausprägung von der nieder- über die mittel- bis zur hochnivalen Stufe immer schwächer wird.

      Bei den weiten asiatischen Hochgebirgswüsten kommt zum Wärmemangel regional noch ein Lee-Effekt, der zusätzlichen Wassermangel bewirkt. In den tropischen Hochgebirgen ist die Exposition jedoch unerheblich für die Ausprägung der Vegetationsgrenzen. Bestimmte Höhenlagen sind durch das isotherme Tageszeitenklima mit seinen diurnalen Frostwechseln bestimmt, wo auch Kleinformen der Frostmusterpolygone auftreten sowie Solifluktionsprozesse stattfinden. Tropische Hochgebirgswüsten entsprechen etwa der tierra fria A. v. Humboldt’s. Wie in Hochasien geht in manchen Hochlagen der Anden die Vegetationslosigkeit oder -armut auf orographische Einflüsse zurück, sodass nicht klar ist, ob hier Wärmemangel oder Trockenheit für den Wüstencharakter verantwortlich ist.

      4.7 Komplexe Wüstentypen (Mischtypen)

      Selten ist in einem größeren Wüstengebiet ein alleiniger Parameter für die Vegetationsarmut verantwortlich. So sind zum Beispiel in der Namib und in der Atacama zonal-klimatische Lageeffekte (Wendekreise), orographische Einflüsse (Große Randstufe; Anden/Altiplano) und die ozeanische Kaltwasserwirkung (Benguela- und Humboldtstrom) am großräumigen Phänomen Wüste beteiligt. Die gängige Kennzeichnung als Küstenwüsten gilt faktisch nur für die ozeannahen Bereiche. Weiter landeinwärts werden die Kaltwassereinflüsse abgelöst und der Wüstencharakter beruht auf den klimatischen und orographischen Gegebenheiten.

      Ähnliches gilt für Teile der innerasiatischen Wüsten: Hier werden neben dem Lagekriterium der Meeresferne (Kontinentalklima) wiederum reliefgesteuerte Leeseiten-Einflüsse bei der landschaftlichen Ausprägung und Intensität der Aridität wirksam (z. B. Altai-Gebirge/Mongolei; Tienschan/Tarim-Becken, Wüste Takla-Makan). Bei den asiatischen Hochgebirgswüsten sind es neben der Meeresferne und orographischer Abschirmung (großräumige Lee-Einflüsse) regionale trockenadiabatische Luftmassenbewegungen und höhenbedingte Kälteeffekte, die den Wüstencharakter begründen.

      Innerhalb solcher großräumigen Wüstenlandschaften treten häufig edaphische Besonderheiten auf, die mit der geomorphologisch-hydrologisch-klimageschichtlichen oder der tektonischen Entwicklung zusammenhängen. Hierzu gehören z. B. Salztonebenen (Sebchas) oder grobkörnige Schotterkörper vorzeitlicher Schwemmfächer und Fußflächen.

      Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass eine rein monokausale Erklärung für die Existenz einer Wüste selten befriedigen kann. Die Überblickstypisierung (1 – 6) folgt dem/den dominanten Merkmal(en) und vernachlässigt bewusst zusätzliche Einflüsse und regionale Besonderheiten. Auf letztere wird im Regionalteil eingegangen.

      4.8 Desertifikation: anthropogene Wüstenbildung

      Mit der verheerenden Sahel-Dürrekatastrophe 1968 – 1974 geriet ein Problem in den Blickwinkel der Öffentlichkeit und internationaler Behörden oder Nichtregierungs-Vereinigungen – die sogenannte Desertifikation. Obwohl mit den in Gang gekommenen Diskussionen und Bekämpfungsmaßnahmen der Begriff immer wieder erweitert wurde, lässt sich sein Inhalt am besten mit „man-made desert“ umschreiben, also anthropogener, vom Menschen unmittelbar ausgelöster Wüstenbildung: Tätigkeiten und Eingriffe führen dort zu wüstenhaften Zuständen, wo in natürlichem Zustand eine größere Biomasse und höhere biotische Vielfalt existierte – zuvor. Besonders anfällig sind Halbwüsten und semi-aride bis semi-humide Gebiete (außertropische Steppen) mit ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten für unangepasste Nutzung durch Weide- und Bewässerungswirtschaft. Je größer die klimatische Variabilität und je geringer die Jahresniederschläge ausfallen, desto gravierender äußern sich menschliche Eingriffe in solch sensitiven Ökosystemen, deren Regenerationsfähigkeit stark begrenzt ist. Sie reagieren mit einer Kette von Folgewirkungen, die zu einer Verminderung bis hin zur Zerstörung des landschaftlichen Naturpotenzials bzw. zur physiologischen Tragfähigkeit führt (vgl. Foto 7).

      Trockengebiete nehmen mehr als 1/3 der Landflächen ein (35 – 40 %), von denen nach Mainguet (1999) große Teile (~70 %) schwer oder vielleicht sogar irreversibel degradiert sein sollen. Das sind ~36 Mio. km2 und entsprechen der 3,5-fachen Größe Europas. In Afrika und Asien sind 40 %, in Südamerika 30 % der Bevölkerung, weltweit 50 der am wenigsten entwickelten Länder am stärksten von der Desertifikation bedroht (www.desertification.de). Bei Middleton & Thomas (1997) finden sich folgende Angaben aus einer UNEP-Studie:

      Auf die Trockengebiete entfallen global 5160 Mio. ha Fläche. 70 % davon leiden unter Degradationsprozessen; unterschieden nach Landnutzungsarten sind von 146 Mio. ha Bewässerungsland 30 %, von 458 Mio. ha Regenfeldbaufläche 47 % und von 4556 Mio. ha Weideland 73 % degradiert (aus Geist 2005). Jährlich gehen 10 Mio. ha Land durch menschliche Aktivitäten verloren.

      Nach einer UNCCD-Studie sollen 250 Mio. Menschen unmittelbar von der Desertifikation in ihrer Existenz gefährdet sein und 1,2 Mrd. davon bedroht sein. Einige Abschätzungen liegen aber auch höher. Geist (2005) zitiert Angaben, die von 2,6 Mrd. Menschen in 110 Ländern ausgehen, die möglicherweise von den Auswirkungen der Desertifikation betroffen sein könnten. Speziell im subsaharischen Afrika sollen es 200 Mio. Menschen sein. Eine andere Studie besagt, dass bis zu 80 % des subsaharischen Weide- und Farmlandes Anzeichen von Degradation zeigen (ebd.). Auch in Asien und Lateinamerika sollen Degradierungserscheinungen in Trockengebieten weitverbreitet und beträchtlich sein.

      Auslöser weit verbreiteter Schädigungen der Ökosphäre, die letztlich zur Desertifikation führen, sind:

       Weidewirtschaft: Degradierung/Zerstörung des Vegetationsbesatzes → Bodenerosion (meist als Folge der Vegetationsschädigung), Verlust an Bodenfeuchte und Regenerationsfähigkeit, Badland-Bildung (Zerschluchtung) und flächenhafte Abspülung, Versandung/Überwehung (Sand- und Staubstürme; Dünenbildung) u. a. m.

       Abholzung (Dorn- und Trockensavanne): Brenn- und Bauholzgewinnung → landschaftsökologische Degradierung

       Feldbau: Bodenversalzung und Versumpfung (Fehler bei der Be- und Entwässerung); Bodenverdichtung; Rodung der Trockensavanne: Verkrustung; Erosion und Deflation (Humus, Nährstoffe, Feinboden)

      Es sind in erster Linie die meist weidewirtschaftlich genutzten tropischen und subtropischen Trockengebiete wie Zwergstrauch- und Kurzgrassteppen oder Dornbusch- und Trockensavannen,