gezeigte Transzendenz des Menschen beinhaltet den anthropologischen Aspekt des Herausgerufenseins bzw. des Angewiesenseins auf Anrede, was bereits in der personalen und sprachlichen Konstitution des Menschen angelegt ist. Beide Konstitutionsmerkmale, Personalität und Sprachlichkeit, bedingen sich gegenseitig. Denn die mit selbstreflexiver Subjektivität verbundene Personalität des Menschen verkörpert Selbstsein im Gegenüber- und Mitsein, so dass menschliche Personalität einerseits die Dimension des von außen nicht zugänglichen personalen Geheimnisses beinhaltet, während sie andererseits durch die Dimension der Gemeinschaft und des Angegangenseins von außen geprägt ist. Weil sich der Mensch als personales Geheimnis nur selbst mitteilen kann und zugleich auf personale Gemeinschaft und damit auf Anrede angewiesen ist, bedarf er ontologisch der sprachlichen Konstitution. Die Sprachlichkeit ermöglicht nämlich nicht nur die Handhabung des Aspekts des personalen Geheimnisses, indem sich der Mensch anderen erschließen oder verschließen kann, sondern auch die freie Ansprechbarkeit des Menschen und die freie intersubjektive Gemeinschaft der Menschen untereinander.19
Angesichts dieser Zusammenhänge geben Sprachlichkeit und Personalität die Selbsttranszendenz des Menschen zu erkennen. Denn so wie die Sprachlichkeit des Menschen bewusste Beziehungen in personaler Gemeinschaft voraussetzt und so wie die im personalen Geheimnis gegebene Sinnfrage auf ein personales Gegenüber verweist, das allein die Antwort auf diese Frage erschließen kann, so kann das menschliche Wesen „seine Erfüllung als Person nur in der Gemeinschaft mit einem höheren persönlichen Wesen finden“20. Dabei beinhaltet die Sprache selbst schon eine transzendierende Dimension: „Die Sprache lebt vom Vorgriff auf einen Gesamtsinn der Wirklichkeit und bringt diesen in Metaphern und Gleichnissen zum Ausdruck. So ist die Sprache zugleich Erinnerung an eine unabgegoltene Hoffnung der Menschheit und zugleich Antizipation dieser Hoffnung. Noch bevor die Sprache zur expliziten religiösen Sprache wird, impliziert sie je schon eine religiöse Dimension. Erst die religiöse Sprache bringt die Sprache zu sich selbst. Nicht das Wort Gott ist ein sinnloses Wort, vielmehr ist dort, wo Gott totgeschwiegen wird, das Sprechen selbst gefährdet.“21 Entsprechend meint das Wort „Gott“ laut Gerhard Ebeling „die Tatsache, daß der Mensch in der Ganzheit seines Lebens und damit im Hinblick auf die Wirklichkeit im ganzen in einer letztgültigen Weise sprachlich angegangen ist“22.
Vor dem Hintergrund dieser anthropologischen Voraussetzungen ist es aufschlussreich, dass sich Gott in der trinitarischen Heilsgeschichte als personale Gemeinschaft der Liebe erschlossen hat und die Menschen immer wieder durch sein Wort anredet. Aufgrund des Umstandes, dass sich der Sohn Gottes wesensmäßig als Wort (griech. Logos) Gottes erschließt („Das Wort ward Fleisch“ – Joh 1,14), wird vollends offenbar, dass neben der Personalität auch die Sprachlichkeit zum innersten Wesen Gottes gehört. So wird der Mensch auch diesbezüglich als imago Dei (Ebenbild Gottes) transparent. Von daher kann das Wort Gottes die als Wortsituation bestehende Grundsituation des Menschen treffen, weshalb gilt: Wenn sich der sprachlich konstituierte Mensch glaubend auf die Anrede Gottes einlässt, handelt es sich um „dasjenige Verhalten, in dem der Mensch gleichursprünglich sowohl Gott als auch sich selbst entspricht“23, da er Gott als den von sich aus Redenden gelten lässt und sich das wahre Menschsein zusprechen lässt. „Letztlich geht es um das einzige Wort, ‚das den Menschen menschlich macht, indem es ihn zum Glaubenden macht‘“24. Dabei gewährt die im Sohn Gottes bestehende einmalige Identität von Wort und Sein den Menschen wahre Gotteserkenntnis und Heilsgewissheit, weil sich Gott in seinem Wort selbst entspricht.
So verweist die Transzendenz des Menschen auf das Geheimnis, in das der Mensch gestellt ist und das er selbst nicht erschließen kann, weshalb das Denken über sich hinausgewiesen ist, bis hin zum Grenzbegriff „Gott“, der zu der Einsicht führt: „Vor ihm muß unser Denken verstummen. Soll uns das Unendliche zugänglich werden, dann muß es sich uns selbst erschließen.“25 In dieser empfangenden Hermeneutik kann der Mensch die biblisch bezeugte Selbsterschließung des dreieinigen Gottes in der Heilsgeschichte wahrnehmen, die erkennen lässt, dass der personal und sprachlich geprägte Gott den personal und sprachlich konstituierten Menschen als Adressaten seiner Liebe geschaffen hat. Gott, der die innertrinitarische Beziehung der Liebe verkörpert, nimmt „die Menschen als seine von ihm selbst geschaffenen Kommunikationspartner in diese Beziehung auf […], so daß diese – von der grenzenlosen Beziehungswilligkeit Gottes ergriffen und sich ihr öffnend – den Mitmenschen wie auch ihrem Gott entsprechen und zu ihrem menschlichen Wesen kommen können“26.
4. Implikationen des Gottesbegriffs
Die Implikationen des Gottesbegriffs, die auf Gott als unverfügbare Eigenwirklichkeit hinweisen, korrespondieren mit dem personalen Wesen des dreieinigen Gottes, weil sich Gott als personales Geheimnis nur selbst erschließen kann. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, ist er als sich selbst erschließendes Geheimnis ernst zu nehmen. Der verborgene Gott verweigert sich menschlicher Vereinnahmung und ermöglicht so wahre Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott.
Die beiden Abschnitte über die Transzendenz des Menschen und die Transzendenz von Welt und Kosmos lassen erkennen, dass der Mensch im Kontext des Kosmos über sich selbst hinausgewiesen ist – auf einen letzten Grund und ein letztes Ziel. Diese Dimensionen sind wiederum verbreitet mit dem Gottesbegriff verbunden, wie es im Abschnitt über die Horizonte des Gottesbegriffs deutlich wurde (siehe Kap. II,1). So trat ein gewisser Resonanzboden des Gottesbegriffs hervor, da Gott weitgehend als Ursache aller Wirklichkeit verstanden wird und somit als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Nimmt man diese Implikationen des Gottesbegriffs ernst, kann es keine aus den weltlichen Bedingungen rekonstruierbare Notwendigkeit Gottes geben, wie es falsch verstandene Gottesbeweise scheinbar vorgeben (siehe zu den Gottesbeweisen Kap. VI,3). Denn bei dem göttlichen Horizont der unverfügbaren Eigenwirklichkeit geht es um den grundlosen Grund, der erst über Sein und Nicht-Sein entscheidet. Deshalb kann weder vom Sein noch vom Nicht-Sein die metaphysisch-theistische „Notwendigkeit“ oder die atheistische „Nicht-Notwendigkeit“ Gottes abgeleitet werden („Gott ist mehr als notwendig“ – E. Jüngel).27 Vielmehr lässt die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von der Existenz Gottes erkennen, dass der diesem Anschein nach aus sich selbst existierende Gott um seiner selbst willen ernst zu nehmen ist: Er muss sich selbst verifizieren, wenn er erkannt werden soll. „Letztlich kann Gott nicht von einer äußeren Instanz her bewiesen werden. Er muß sich selbst erweisen. Man kann den Gottesgedanken nur daran bewähren, daß man ihn an seinen eigenen Implikationen mißt.“28
Das gilt auch für die Implikationen des Gottesbegriffs, die sich aus der personalen Konstitution des Menschen ergeben (siehe Kap. II,3). Als Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für den Zugang zu Gott verweist die menschliche Personalität auf ein personales göttliches Gegenüber, das Antwort auf das Geheimnis anthropologischer Personalität und ihres Kontextes geben kann und das sich als personales Geheimnis ebenso erschließen oder verschließen kann wie der Mensch. Wie „schon zur Anwesenheit eines Menschen dessen Entzogensein gehört“, ist „Gottes Anwesenheit […] überhaupt nur mit seiner Abwesenheit zugleich erfahrbar. Deshalb ist seine Anwesenheit auch nur als Offenbarung erfahrbar.“29