verbindet, kann der Mensch Gott nicht spekulativ konstruieren, sondern muss sich in empfangender Hermeneutik der – möglicherweise erfolgenden bzw. erfolgten – Selbsterschließung Gottes öffnen, wenn er zu tragfähiger und begründeter Gotteserkenntnis gelangen will. Denn nur wenn sich der Mensch in hermeneutischer Offenheit „auf den Ort der (erhofften) Selbsterschließung Gottes“42 ausrichtet, werden die Gottheit Gottes und die Kreatürlichkeit des Menschen ernst genommen.
Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis von „Natürlicher Theologie“ und „Offenbarungstheologie“ bzw. das Verhältnis von „natürlicher und übernatürlicher Offenbarung“ (De Deo uno – De Deo trino) zu modifizieren. Denn schon in der Scholastik wurde die Trinitätslehre durch die natürliche Vorordnung des Traktats „De Deo uno“ zunehmend funktionslos für die Lehre von Gott und die Lehre vom Heil des Menschen (Soteriologie), so dass der christliche Gottesbegriff seine theologische und kirchliche Tragweite zugunsten einer aus natürlichen Grundlagen rekonstruierten Einheit Gottes verlor. Deshalb ist daran zu erinnern, dass bereits der Kirchenvater Gregor von Nazianz (ca. 325–390) aus gutem Grund die Alternative zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung überwand, indem er die natürliche bzw. ableitbare rationale Erkenntnis (kataphatisch) mit der übernatürlich orientierten Erkenntnis vermittelte, die das göttliche Geheimnis nicht zu umschreiben vermag (apophatisch). Die Vermittlung geschieht durch die dritte Dimension der existentiellen Erkenntnis (Erfahrung), in der sich kataphatische und apophatische Dimension verbinden (Oratio 28ff.). Wie in der paulinischen Theologie (Röm 1,18–20; 2,14f.) existiert eine natürliche Gottesahnung, die auf Gottes Existenz hinweist, aber aufgrund der Transzendenz von Mensch und Welt sowie der menschlichen Selbstvergöttlichungsneigung (Verkehrung natürlicher Hinweise) ambivalent bleibt (Röm 1,21ff.). So bedarf die natürlich-kataphatische Ahnung von Gott der apophatischen Offenbarungserkenntnis, insofern als das apophatische Moment nicht die Unerkennbarkeit Gottes beinhaltet, sondern auf die trans zendente, personale und somit freie Wirklichkeit Gottes verweist, die nur durch die Selbsterschließung Gottes zugänglich wird. Diese Selbsterschließung vollzieht sich in der Heilsgeschichte – und damit unter den Bedingungen der Welt. Die Selbsterschließung Gottes in der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit knüpft also um der Verständlichkeit des Offenbarten willen an die natürliche Ahnung von Gott an, welche wiederum der selbsterschließenden Offenbarung des göttlichen Geheimnisses bedarf. Dadurch ist sowohl die Gottheit Gottes bzw. die Eigenständigkeit der Offenbarung gewährleistet als auch deren Relevanz für die Wirklichkeit des Menschen und der Welt (Universalität).
Um dieses differenzierte Offenbarungsverständnis, das den Bedingungen der Gotteserkenntnis angemessen ist, zum Ausdruck zu bringen und vor bisherigen Einseitigkeiten zu schützen, hat der Verfasser das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ eingeführt. So schützt der Begriff Ahnung gegenüber den Begriffen „natürliche Theologie“ oder „natürliche Offenbarung“ besser davor, durch rationale Ableitungen oder metaphysische Rückschlussverfahren aus natürlichen Voraussetzungen einen spekulativen Gottesbegriff zu rekonstruieren. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff aber auch die natürlichen Anknüpfungspunkte der Gotteserkenntnis. Er erlaubt also weder eine natürlich-theologische Definition Gottes, die zum Kriterium der übernatürlichen Offenbarung wird (Vorordnung des „De Deo uno“), noch eine Offenbarungstheologie, die natürliche Anknüpfungspunkte als Voraussetzung der Verständlichkeit und Universalität des Offenbarten vernachlässigt. So wird der in den bisherigen Begriffspaaren bestehenden Gefahr einer pauschalen Polarität gewehrt. Der in dem neu gewählten Begriffspaar nur einmal vorkommende Begriff Offenbarung schützt wiederum vor der Gefahr einer undifferenzierten Nivellierung, die bei der Rede von „natürlicher Offenbarung“ und „übernatürlicher Offenbarung“ besteht, weil eine solche Terminologie die Offenbarungsqualität beider Seiten als gleichwertig erscheinen lässt, wodurch natürliche Erkenntnis erneut zum Maßstab heilsgeschichtlicher Offenbarung werden kann (kriteriologische Vorordnung des Traktats „De Deo uno“). So gewährleistet das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ die Beachtung des folgenden offenbarungstheologischen Zusammenhangs: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zur Sprache zu bringen, während umgekehrt eine natürlich-apriorische Gotteserkenntnis die Offenbarung lediglich unter feststehende Kategorien subsumieren würde, die zudem den Charakter spekulativer Rekonstruktion hätten.43
Die genannten offenbarungstheologischen Zusammenhänge werden auch durch die Implikationen der biblischen Aussage bestätigt, dass niemand den in einem unzugänglichen Licht wohnenden Gott je gesehen hat (Joh 1,18a; 6,46; I Tim 6,16; I Joh 4,12). Denn damit ist nicht die grundsätzliche Unkenntlichkeit Gottes gemeint, sondern der Aspekt seines transzendentalen und personalen Geheimnisses, welches Gott als von sich aus Redender und Handelnder selbst in der menschlichen Geschichte erschließt: „[…] der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“ (Joh 1,18b). Zugleich deutet sich hier eine weitere zentrale hermeneutische Bedingung angemessener Gotteserkenntnis an, nämlich die Tatsache, dass sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes in der gegenseitigen Abhängigkeit bzw. Interdependenz von Wort- und Tatoffenbarung vollzieht. Weil sich die biblisch bezeugte Wort- und Tatoffenbarung Gottes in gegenseitiger Bestätigung zu einer großen Geschichtslinie verbindet, wird die authentische44 personale Selbsterschließung Gottes ermöglicht: Der sich im Heiligen Geist und im Sohn Jesus Christus auch als himmlischer Vater erschließende dreieinige Gott erweist sich nämlich nicht nur als verkündigtes Objekt der Gotteserkenntnis, sondern auch als bleibendes Subjekt dieser in der Heilsgeschichte sich vollziehenden Erkenntnis. Wie Gott im Heiligen Geist den Menschen die im Wort bezeugte Geschichte ihres Heils existentiell erfahrbar werden lässt, so steht in Christus die Tat des von Gottes Liebe erzählenden Wortes vor Augen, wobei der verkündigte Christus als Auferstandener im Heiligen Geist selbst das Werk der Verkündigung weiter vorantreibt (der Verkündigte ist zugleich der Verkündiger).
Da im Kontext dieses biblischen Offenbarungsbegriffs die Dimension des Geheimnisses nicht wie in neuplatonisch oder aufklärerisch geprägten theologischen Traditionen auf Über-Ra tionales oder die Unbegreiflichkeit Gottes verweist, sondern auf das in der personalen Selbsterschließung offenbare Geheimnis, ist Gott weder schweigend als unsagbar zu bejahen (Mystik) noch atheistisch als undenkbar zu negieren oder theistisch im Rückschlussverfahren abzuleiten. Vielmehr ist er als personales Geheimnis in seinen selbsterschließenden Worten und Taten ernst- und wahrzunehmen.
Dann werden auch die heilsrelevanten Inhalte der christologischen und pneumatologischen Selbsterschließung des dreieinigen Gottes erkennbar, was hier zunächst nur grundsätzlich im Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten erörtert wird. Die christologische Selbsterschließung lässt erkennen, dass sich Gott der Vater in seinem ewigen Sohn bzw. seinem ewigen Wort (Logos) als sein eigenes innertrinitarisches Bild offenbart (Joh 14,9), in welchem er sich selbst aussagt und selbst Ziel und Gemeinschaft ist. Dabei tritt durch die Identität des Wortes Gottes mit Gott (Joh 1,1) nicht nur die sprachliche Konstitution Gottes hervor, sondern auch die wesensmäßige Voraussetzung dafür, dass sich die Selbstmitteilung Gottes an die ebenfalls sprachlich konstituierten Menschen im Sohn (Logos) vollzieht. Weil der Sohn sowohl das Bild Gottes (Kol 1,15) als auch das Bild des wahren Menschen verkörpert, insofern als die Menschen nach dem Bild des Sohnes geschaffen wurden (Kol 1,16f.), erklärt sich, warum der sprachlich und personal konstituierte Mensch Ebenbild Gottes ist (imago Dei), warum gerade der Sohn Mensch wurde und warum im Sohn Gottes wahre Gottes- und Menschenerkenntnis gegeben ist. Denn in ihm wird sowohl die innergöttliche liebende Antwort des Sohnes an den Vater offenbar als auch die vertrauensvolle Glaubensantwort der Menschen an den himmlischen Vater. Deshalb vermittelt der Sohn das Wort des Angebots und des Lebens, das den Menschen in der Freiheit ihrer Ansprechbarkeit die Freiheit der lebensbejahenden Antwort ermöglicht.
Die Annahme dieses Angebots und die damit verbundene freiheitliche Liebesgemeinschaft der Menschen mit Gott werden durch die pneumatologische Selbsterschließung Gottes gewährt. Denn der Heilige Geist erschließt innertrinitarisch den Vater für den Sohn und umgekehrt, wobei er ermöglicht, dass beide nicht in egoistischer Liebe aufgehen,