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2) Das Modell der Kontinuität wird von J.Jeremias vertreten, „die vor- und nachösterliche Botschaft gehören unauflöslich zusammen, keine von beiden darf isoliert werden. Sie dürfen aber auch nicht nivelliert werden. Vielmehr verhalten sie sich zueinander wie Ruf und Antwort.“3 Nach L.Goppelt „vertritt Jesus eine Christologie als verhülltes Selbstzeugnis; die Apostel entfalten sie als offenes Bekenntnis und daher als dieses Bekenntnis explizierende Lehre.“4 Umfassend versucht W.Thüsing die Ganzheit ntl. Theologie zu begründen, „weil Jesus auch als der Irdische schon ‚der Sohn‘ ist (wenn er auch erst von Ostern her im Vollsinn als solcher erkannt werden kann), weil die theologische Grundstruktur des ‚Evangeliums‘ also schon deshalb nicht erst von Ostern an besteht; weil die inhaltlichen Strukturen der eschatologisch-theologischen Botschaft des Christentums durch das Jesuanische geprägt sind: Die Ganzheit der ‚nachösterlichen Transformation‘ ist durch die Ganzheit des Jesuanischen (der ‚jesuanischen Strukturkomponenten‘) vorgeprägt.“5 Für F.Hahn ist die Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen „das Fundament für alle christologischen Aussagen. Jede isolierte theologische Wertung der vorösterlichen Geschichte Jesu widerspricht dem Gesamtzeugnis des Neuen Testamentes.“6

      Beide Entwicklungen sind in sich teilweise überlagernder Form möglich: Die nachösterliche Christologie könnte ein wirklich neues Element sein, das keinen oder nur wenig Anhalt am vorösterlichen Jesus hat; sie könnte aber auch eine folgerichtige Fortschreibung des vorösterlichen Anspruchs Jesu unter der veränderten Perspektive der Osterereignisse sein. Zur Klärung dieser Frage müssen die entscheidenden Faktoren für die Ausbildung der frühen Christologie bedacht werden.

      Die vorangegangenen Analysen (s.o. 3) haben gezeigt, dass Jesu Auftreten mit seinen lehrhaften, charismatischen, prophetischen, weisheitlichen und messianischen Dimensionen schon unter religionsgeschichtlichen Aspekten als singulär anzusehen ist. Es gibt keine Gestalt der Antike, die einen vergleichbaren Anspruch gestellt und eine vergleichbare Wirkung erzielt hätte wie Jesus von Nazareth7. Wenn Jesus das Aufrichten der Königsherrschaft Gottes exklusiv an seine Person band, so dass sein Tun als Anbruch der Gottesherrschaft erscheint, dann musste er notwendigerweise in die Nähe Gottes gerückt und mit Gott zusammengedacht werden. Wenn er seine Person zum Kriterium des eschatologischen Gerichtes erhob (Q 12,8fpar), als Wundertäter auftrat und wie Gott Sünden vergab, sich über Mose stellte und mit der Berufung der 12 Jünger die eschatologische Restitution Israels in neuer Form anstrebte, dann ist die eschatologische Qualität des vorösterlichen Jesus der Grund, warum nach Ostern eine explizite Christologie ausgebildet wurde. Jesus erhob bereits vorösterlich einen einzigartigen Anspruch, der durch die Auferstehung nachösterlich verändert, aber zugleich noch verstärkt wurde8.

      Die Entstehung der frühen Christologie liegt aber nicht nur im personalen Anspruch Jesu begründet, sondern auch in seinen Lehrinhalten; es kann von einer wirkungsgeschichtlichen Plausibilität in personaler und sachlicher Hinsicht gesprochen werden. Dafür sprechen die Kontinuitätslinien zwischen dem Handeln bzw. der Verkündigung Jesu und dem frühen Christentum9: 1) Jesus band den Willen Gottes nicht an rituelle Vollzüge, sondern betonte die Ethik der Gottes- und Nächstenliebe. Von hier aus konnte im frühen Christentum eine Liebesethik entwickelt werden, die nicht unmittelbar mit der Tora verbunden war. Jesu Wirken wurde in seiner Gesamtheit als heilsame Regelung gestörter Beziehungen des Menschen zu Gott und der Menschen untereinander wahrgenommen und interpretiert. Jesus hatte sein Leben ‚für uns‘ losgelassen, um es von Gott neu zu erhalten. 2) Gottes grenzenlose Liebe eröffnet Perspektiven, die über die Erwählung Israels hinausgehen. Obwohl Jesus sich prinzipiell nur an Israel gesandt wusste, ermöglichten seine zeichenhaften Hinwendungen zu Heiden den frühen Christen, ihre Botschaft über Israel hinauszutragen. 3) Jesus erkannte dem Tempel offenbar nur eine geringe Bedeutung zu, so dass für die frühen Christen die lokale Gottesverehrung an einem einzigen Ort keine besondere Rolle spielte. Jesus interpretierte die Grundpfeiler des Judentums seiner Zeit offenbar in einer Weise, die für eine Transformation hin zum Universalismus offen war.

      Die Erscheinungen des Auferstandenen als ein zentraler Teil des Ostergeschehens waren offenbar die Initialzündung für die grundlegende Erkenntnis der frühen Christen: Der schmachvoll am Kreuz gestorbene Jesus von Nazareth ist kein Verbrecher, sondern er ist auferweckt worden von den Toten und gehört bleibend auf die Seite Gottes. Aus der hervorragenden Qualität Jesu vor Ostern wurde so Jesu Christi unüberbietbare Qualität nach Ostern. Hinzu kommt: Durch die Erscheinungen wurde die Auferstehung zu einem Erzählfaktum. Ein Vergleich der Ostererzählungen der Evangelien mit 1Kor 15,3b–5 zeigt, dass drei Elemente das Grundgerüst aller Ostererzählungen ausmachen: 1. eine Grabeserzählung (1Kor 15,4: „Und er wurde begraben“); 2. Ein Erscheinungsbericht (1Kor 15,5a: „Und dass er erschienen ist dem Kephas“); 3. Eine Gruppenerscheinung vor Jüngern (1Kor 15,5b–7)10.

      Wie die Evangelien (vgl. Mk 16,1–8par; Joh 20,1–10.11–15) setzt auch Paulus das leere Grab voraus11. Er erwähnt es nicht ausdrücklich, aber die Logik des Begrabenseins und der Auferstehung Jesu in 1Kor 15,4 (und auch des Mitbegrabenwerdens in Röm 6,4) verweist auf das leere Grab, denn die jüdische Anthropologie geht von einer leiblichen Auferstehung aus12. Hinzu kommt ein grundsätzliches Argument: Die Auferstehungsbotschaft hätte in Jerusalem nicht so erfolgreich verkündigt werden können, wenn der Leichnam Jesu in einem Massengrab oder einem ungeöffneten Privatgrab verblieben wäre13. Es dürfte weder den Gegnern noch der Anhängerschaft entgangen sein, wo Jesus beigesetzt wurde14. Der Erfolg der Osterbotschaft in Jerusalem ist gerade historisch ohne ein leeres Grab nicht denkbar. Der Fund eines Gekreuzigten im Nordosten des heutigen Jerusalem aus der Zeit Jesu zeigt15, dass die Leiche eines Hingerichteten an seine Angehörigen oder andere Nahestehende ausgeliefert und von ihnen bestattet werden konnte. Das leere Grab allein bleibt allerdings zweideutig, seine Bedeutung erschließt sich erst von den Erscheinungen des Auferstandenen her16.

      Ausgangspunkt der Erscheinungsüberlieferungen17 ist die Protepiphanie Jesu vor Petrus (vgl. 1Kor 15,5a; Lk 24,34), denn sie begründete die hervorgehobene Stellung des Petrus im frühen Christentum18. Das Johannesevangelium geht von einer Ersterscheinung vor Maria Magdalena aus (Joh 20,11–18), erst danach erscheint Jesus den Jüngern (Joh 20,19–23). Bei Markus werden Erscheinungen Jesu in Galiläa angekündigt (Mk 16,7), ohne erzählt oder überliefert zu werden. Bei Matthäus erscheint Jesus zunächst Maria Magdalena und der anderen Maria (vgl. Mt 28,9.10), bei Lukas den Emmausjüngern (Lk 24,13ff). Die Berichte lassen noch erkennen, dass Jesus wahrscheinlich zunächst Petrus und Maria Magdalena bzw. mehreren Frauen erschien. Offensichtlich verfolgen die Erscheinungsberichte keine apologetische Tendenz19, denn obwohl Frauen nach jüdischem Recht nicht voll zeugnisfähig waren, spielen sie in fast allen Erscheinungsberichten der Evangelien eine wichtige Rolle. Jesus ist nach den Erscheinungen vor Einzelpersonen verschiedenen Gruppen von Jüngern erschienen, seien es die Zwölf oder aber mehr als 500 Brüder, von denen 1 Kor 15,6 spricht. Auf diese Gruppenerscheinungen folgten wiederum Einzelerscheinungen, so vor Jakobus und Paulus (vgl. 1Kor 15,7.8).

      Auf der Grundlage dieser Überlegungen lassen sich die erkennbaren geschichtlichen Daten schnell zusammentragen: Die Jünger waren bei der Inhaftierung Jesu geflohen, wahrscheinlich nach Galiläa. Nur einige Frauen wagten es, der Kreuzigung von ferne zuzusehen und später nach dem Grab zu sehen. Begraben wurde Jesus von Joseph von Arimathäa, der ein Sympathisant Jesu aus vornehmer Jerusalemer Familie war (vgl. Mk 15,43; Joh 19,38). Die ersten Erscheinungen Jesu ereigneten sich in Galiläa (vgl. Mk 16,7; 1Kor 15,6?), möglicherweise gab es auch Erscheinungen in Jerusalem (vgl. Lk 24,34; Joh 20). Wahrscheinlich sammelte Petrus Mitglieder des Zwölferkreises und andere Jünger bzw. Jüngerinnen, denen Jesus dann erschien. Es folgten besondere Einzelerscheinungen (Jakobus, Paulus), mit denen diese besondere Epoche abgeschlossen wurde. Mit den Auferstehungserscheinungen verband sich sehr früh die Überlieferung vom leeren Grab, das in der Nähe seiner Hinrichtungsstätte gelegene Grab wurde so im Licht der Ostererscheinungen zu