der Auferstehung Jesu sind, d.h. sie können nicht von der einen Basisaussage abgelöst werden: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt. Religions- und traditionsgeschichtlich handelt es sich um Visionen im Kontext apokalyptischer Vorstellungen, nach denen Gott in der Endzeit wenigen Auserwählten Einblick in sein Handeln gewährt20. Der Realitätsgehalt der Erscheinungen kann aufgrund der spärlichen Überlieferungssituation nicht psychologisch erfasst werden, und auch eine Interpretation der Erscheinungen als rein subjektive Glaubenserfahrungen ist nicht hinreichend21, denn so wird der besondere Status der Erscheinungen als Glaubensgrundlage minimiert. „Andererseits müssen die Visionen von solcher Art gewesen sein, dass sie es ermöglichten bzw. sogar dazu nötigten, sie im Sinne der Aufererweckungsaussage zu deuten.“22 Wie die Auferstehung selbst sind auch die Erscheinungen als ein von Gott kommendes Transzendenzgeschehen zu begreifen, das bei den Jüngern und Jüngerinnen Transzendenzerfahrungen auslöste (s.u. 6.2.2). Transzendenzerfahrungen können in zweifacher Art verarbeitet und rekonstruiert werden: „Erzählungen, in welchen die Erfahrungen von Transzendenz kommunikativ gestaltet und zur Wiedererzählung bereitgestellt werden, und Rituale, in welche solche Erfahrungen kommemoriert werden und mit welchen die transzendente Wirklichkeit beschworen wird.“23 Dies leisten sowohl die Formel- als auch die Erzähltraditionen, in denen notwendigerweise in unterschiedlichen zeitbedingten Formen diese Transzendenzerfahrungen aufgearbeitet und zum intersubjektiven Diskurs in den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Taufe, Herrenmahl und Gottesdienste waren rituelle Orte, an denen die Erfahrungen erneuert und verfestigt wurden.
Ostern wurde so zur Basisgeschichte der neuen Bewegung24. An den Texten lässt sich ablesen, was die Ereignisse auslöste und welche Bedeutungen ihnen zugeschrieben wurden. Historisch und theologisch höchst bedeutsam ist die Beobachtung, dass Paulus als authentischer Erscheinungszeuge seine Transzendenzerfahrung sehr restriktiv schildert und auf die entscheidende theologische Erkenntnis hin auslegt: Der Gekreuzigte ist auferstanden! Die Erscheinungen des Auferstandenen als Transzendenzerfahrungen eigener Art begründen die Gewissheit, dass Gott durch seinen schöpferischen Geist (vgl. Röm 1,3b–4a) an Jesus Christus handelte und ihn zur maßgeblichen Gestalt der Endzeit eingesetzt hat.
Neben den Erscheinungen des Auferstandenen ist das Wirken des Geistes die zweite Erfahrungsdimension, die auf die Ausbildung der frühen Christologie einwirkte. Während die Erscheinungen streng begrenzt waren, ist das Wirken des Geistes keinen Beschränkungen unterworfen. Religionsgeschichtlich gehören Gott und der Geist schon immer zusammen. Im griechisch-römischen Kulturraum vollzieht sich das Wirken der Gottheiten vor allem nach der Lehre der Stoiker in der Sphäre des Geistes25. Im antiken Judentum ist die Vorstellung von großer Bedeutung, dass in der Endzeit der Geist Gottes ausgegossen wird (vgl. Ez 36,25–29; Jes 32,15–18; Joel 3,1–5LXX; 1QS 4,18–23 u.ö.). Der Messias wurde als geistbegabte Gestalt vorgestellt und Tempel-/Einwohnungsmetaphorik verbanden sich mit dem Geist26.
Im frühen Christentum dürften spontane Geisterfahrungen den Ausgangspunkt der Entwicklung markieren: ‚Gott hat uns den Geist gegeben‘ (vgl. 1Thess 4,8; 1Kor 1,12.14; 2Kor 1,22; 5,5; Röm 5,5; 11,8). Der Empfang des Geistes ist auch an äußeren Phänomenen erkennbar (vgl. Gal 3,2; Apg 8,18), speziell an wunderbaren Heilungen (1Kor 12,9.28.30), ekstatischer Glossolalie (Apg 2,4.11; 4,31 u.ö.) und prophetischem Reden (vgl. 1Kor 12; 14; Apg 10; 19). In legendenhafter Ausschmückung, im Kern aber historisch sicherlich zuverlässig, beschreibt die Apostelgeschichte das Wirken des Geistes in den frühesten Gemeinden. Der Heilige Geist erscheint als die von Jesus versprochene „Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49; Apg 1,5.8), die den Jüngern zu Pfingsten (Apg 2,4) verliehen wird. Der Geist wird allen zuteil, die die Predigt der Apostel annehmen und sich taufen lassen (vgl. Apg 2,38). Nach frühester Überlieferung war schon das Wirken Jesu seit der Taufe durch den Heiligen Geist geprägt (vgl. Mk 1,9–11; Apg 10,37). Es ist der Geist Gottes, der die Auferstehung Jesu bewirkt (Röm 1,3b–4a; Röm 6,4; 8,11; 1Petr 3,18; 1Tim 3,16), und nun die neue Seins- und Wirkweise des Auferstandenen bestimmt (2Kor 3,17: „Der Herr aber ist der Geist“; vgl. 1Kor 15,45). Das Wirken des Geistes trennt im Taufgeschehen die Glaubenden von der Macht der Sünde und bestimmt von nun an ihr neues Sein (vgl. 1Kor 12,13; 6,19; Röm 5,5). Paulus als ältester literarischer Zeuge teilt die Auffassung von den wahrnehmbaren Zeichen des eschatologischen Geistempfanges (vgl. z.B. 1Thess 1,5; Gal 3,2–5; 1Kor 12,7ff). Er selbst nimmt Erfahrungen des Geistes für sich in Anspruch (vgl. 1Kor 14,18; 2Kor 12,12) und mahnt die Gemeinden, den Geist nicht zu dämpfen (vgl. 1Thess 5,19).
Die ältesten christlichen Aussagen über das Wirken des Geistes Gottes sprechen die Überzeugung aus, dass die jüdische Hoffnung auf das inspirierende und lebenspendende Pneuma für die Endzeit jetzt ihre Erfüllung gefunden hat. Im Wirken des Geistes Gottes erkannten die frühen Christen die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
4.4Die christologische Lektüre der Schrift
Das Auftreten Jesu in Israel verweist die frühen Christen auf die Schriften Israels. Aus den Schriften nimmt die Christologie ihre Sprache, wie 1Kor 15,3f bezeugt; das Postulat „gemäß den Schriften“ (ϰατὰ τὰς γραφάς) ist ein grundlegendes theologisches Signal. Die frühen Christen leben in und aus den Schriften Israels. Die Lektüre vollzieht sich allerdings unter veränderten Verstehensbedingungen, denn nun lesen die Judenchristen ihre Schrift (vornehmlich in der Gestalt der Septuaginta27) neu aus der Perspektive des Christusgeschehens. Die Relecture der Schriften vollzieht sich in einer zweifachen Bewegung: Die Schriften werden zum Bezugsrahmen der Christologie und die Christologie gibt den Schriften eine neue Bestimmtheit28.
Die christologische Relecture der Schrift führt im frühen Christentum zu verschiedenen Modellen, um die Kontinuität des Verheißungshandelns Gottes in der Geschichte aufzuzeigen. Durch Gottes Heilshandeln an Jesus von Nazareth in Kreuz und Auferstehung war für die ersten Christen deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem Geschehen und dem Heilshandeln Gottes mit Israel geben muss. In den Figuren der Typologie (Vorabbildung), der Verheißung und der Erfüllung sowie in den exegetischen Methoden der Allegorese und des Midrasch, in Zitatkombinationen, Zitatvariationen und Anspielungen sind Modelle zu sehen, um diese grundlegende Überzeugung auszudrücken.
In den unbestritten echten Paulusbriefen finden sich 89 Zitate aus dem Alten Testament29, wobei die Verteilung der Zitate über die einzelnen Briefe auffällig ist: Im ältesten (1Thess) und in den beiden jüngsten (Phil, Phil) Briefen fehlen Zitate, hingegen finden sich die meisten Zitate in den Schriften, in denen der Apostel aktuelle Probleme bzw. Konflikte bearbeiten muss (Korintherbriefe, Gal und vor allem Röm!). Theologisch ist für Paulus die Schrift Zeuge des Evangeliums, denn die Verheißungen Gottes (vgl. ἐπαγγελία in Gal 3 und Röm 4) erfahren im Evangelium von Jesus Christus ihre Bestätigung (vgl. 2Kor 1,20; Röm 15,8). In der Logienquelle finden sich 5 Zitate mit Einleitung, wobei die Konzentration auf die Versuchungsgeschichte auffallend ist (vgl. Q 4,4.8.10f.12; ferner Q 7,27)30. Markus platziert Zitate an zentralen Stellen seines Evangeliums (vgl. Mk 1,2f; 4,12; 11,9; 12,10.36; 14,27); sie bestätigen das Heilsgeschehen, ohne ein zentrales Element der Christologie zu sein31. Auffälligerweise findet sich bei Markus erstmals in einem Nebensatz die Wendung „aber die Schriften sollen erfüllt werden“ (Mk 14,49). Bei Matthäus sind die Erfüllungszitate ein grundlegender Bestandteil der Christologie (vgl. mit jeweils redaktioneller Einführung Mt 1,23; 2,6.15.18.23; 4,15f; 8,17; 12,18–21; (13,14f); 13,35; 21,5; 27,9f; vgl. ferner Mt 26,54.56)32. Sie legen nach dem Deutungsmodell ‚Verheißung – Erfüllung‘ umfassend dar, wie einzelne Begebenheiten aus dem Leben Jesu, seine Taten und Worte sowie die Passion den Schriften entsprechen, sie bejahen und erfüllen. Die Einführungsformeln zeigen Gemeinsamkeiten, es folgt auf den Erfüllungsgedanken der Verweis auf die Schriftstelle, wobei auch der Name des Propheten (Jesaja, Jeremia) genannt werden kann. Das Leitverb πληρόω steht in der Regel im Passiv, um so auf das Handeln Gottes zu verweisen. Dadurch wird das Hauptanliegen matthäischer Christologie zum Ausdruck gebracht: Die Geschichte Jesu ist die Geschichte Gottes. Bei Lukas steht die Vorstellung im Mittelpunkt, dass im