Iris Böschen

Makroökonomik und Wirtschaftspolitik


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gesamtwirtschaftliche Entwicklung von Volkswirtschaften weist – so haben Wirtschaftswissenschaftler festgestellt – gewisse Regelmäßigkeiten auf. Diese charakterisieren den Prozess des wirtschaftlichen Wachstums und werden als stilisierte Fakten bezeichnet.[6]

       Das BIP Y pro Kopf nimmt über die Zeit zu, und seine Wachstumsrate w nimmt tendenziell nicht ab. Die Entwicklung des realen Pro-Kopf-Einkommens in Deutschland seit 1990 ist hierfür ein Beispiel.

      

Abbildung 3:

      Entwicklung des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens in ausgewählten Volkswirtschaften in US-Dollar (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von UNCTAD 2015b).

      |13|Auch das Pro-Kopf-Einkommen in z.B. Großbritannien nimmt im Durchschnitt über all die Jahre zu. Der starke Einbruch 2008/2009 ist auf die Weltwirtschaftskrise zurückzuführen, die bereits 2007 in den USA ausgelöst wurde und sich aufgrund der internationalen Verknüpfung der Kapitalmärkte weltweit niedergeschlagen hat. Da ein Großteil des BIP in Großbritannien im Finanzsektor generiert wird, ist der Einbruch der wirtschaftlichen Leistung dramatisch gewesen und der Erholungsprozess verläuft langsam.

      Auch die Entwicklungen in den sogenannten ‚BRIC‘-Staaten untermauern die oben genannte These. Abbildung 3 veranschaulicht, dass die Pro-Kopf-Einkommen in Brasilien, Russland, Indien und China zwischen 1990 und 2014 durchschnittlich zugenommen haben. In Russland bzw. vormals der UdSSR und Brasilien lagen vor dem betrachteten Zeitraum einige deutliche Schwankungen vor. Hierfür waren in beiden Volkswirtschaften politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformversuche ursächlich. Insbesondere Brasilien war von einer Hyperinflation betroffen. In Russland hat der Übergang von der zentralen Planwirtschaft zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu Anpassungsschwierigkeiten geführt (dbresearch 2010).

       Die Entwicklung der sogenannten Kapitalintensität wird als weiteres stilisiertes Faktum herangezogen, um die Entwicklung einer Volkswirtschaft zu beurteilen.

      Am Beispiel Deutschlands erläutert das Statistische Bundesamt: „Wie sich die beiden Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit im Verhältnis zueinander entwickelt haben, zeigt die Kapitalintensität, d.h. das Verhältnis von Bruttoanlagevermögen zu Erwerbstätigen.“[7] Am Ende des Jahres 2015 belief sich das Bruttoanlagevermögen für Produktionszwecke in Deutschland auf 17,2 Billionen Euro und es waren 43,29 Millionen Menschen erwerbstätig, d.h. die Kapitalintensität betrug 17,2 Billionen Euro geteilt durch 43,29 Millionen Erwerbstätige und damit war jeder Arbeitsplatz in Deutschland durchschnittlich mit Anlagegütern im Wert von 397320 € ausgestattet. Das Bruttoanlagevermögen ist preisbereinigt um 5,9 Prozent gegenüber 2010 und um 1,2 Prozent gegenüber 2014 gestiegen.[8]

       Der Quotient aus dem physischen Kapital und dem Output ist in etwa konstant. Das Verhältnis zwischen dem Kapitaleinsatz K und dem Output Y wird als Kapitalkoeffizient k bezeichnet. Im langfristigen Wachstumsprozess wachsen die Produktion und das Kapital im Durchschnitt mit der gleichen Rate, so dass der Kapitalkoeffizient – stilisiert – konstant bleibt.

      wk = wK – wY = 0

      Die Anteile der Arbeit und des physischen Kapitals am Volkseinkommen, d.h. die Lohnquote und die Gewinnquote, sind beinahe konstant. Die Lohnquote ergibt sich aus den Arbeitnehmereinkünften (ANE), die im Rahmen der Verteilungsrechnung besprochen wurden, anteilig am Volkseinkommen multipliziert mit 100. Die Gewinnquote |14|ergibt sich den Unternehmens- und Vermögenseinkünften anteilig am Volkseinkommen multipliziert mit 100. Zusammen sind die Lohn- und die Gewinnquote immer 100 Prozent des Volkseinkommens. Die leichten Schwankungen der beiden Quoten geben Hinweise auf die konjunkturelle Phase, in der die Volkswirtschaft sich befindet. In Deutschland liegt die Lohnquote im Durchschnitt der letzten Jahre bei 66,7 Prozent. Im Jahr 2007 betrug sie jedoch nur 63,5 Prozent des Volkseinkommens. Spiegelbildlich verhält sich die Gewinnquote. In der Folge der Finanzmarktkrise der Jahre 2007 und folgende, die mit einem Einbruch des Wirtschaftswachstums um nahezu 6 Prozent im Jahr 2009 einherging, ist die Gewinnquote auf 31,5 Prozent des Volkseinkommens gesunken. Die Unternehmen verzeichneten aufgrund des stagnierenden Welthandels und der schwächelnden Binnenwirtschaft Gewinneinbußen. Die Einkünfte aus Vermögen wie Zinsen und Dividenden gingen zurück.

      

Abbildung 4:

      Lohn- und Gewinnquote in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten vom Statistischen Bundesamt 2017d).

      In Abbildung 4 werden auf der vertikalen Achse die Lohn- bzw. Gewinnquote in Prozent dargestellt. Auf der horizontalen Achse werden die Jahre abgebildet. Während die Lohnquote um die 67 Prozent anteilig am Volkseinkommen schwankt, liegt die Gewinnquote um die 33 Prozent herum.

       Die Wachstumsrate des Outputs Y je Arbeiter A (die Arbeitsproduktivität[9]) weicht zwar zwischen einzelnen Ländern erheblich voneinander ab, nimmt aber in einer wachsenden Volkswirtschaft mit einer konstanten Rate zu. Abbildung 5 zeigt für Deutschland einen zwar nur leicht ansteigenden Verlauf der Trendlinie. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Folgen der Weltwirtschaftskrise sich insbesondere im Jahr 2009 gravierend auf die Entwicklung des Outputs (BIP) und damit bei sogar um 0,1 Prozent angestiegenen Erwerbstätigenzahlen auf die Arbeitsproduktivität ausgewirkt haben und das Bild ein wenig verzerren.

      

|15|Abbildung 5:

      Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Deutschland in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten vom Statistischen Bundesamt 2016g und 2017a).

      Verschiedene Studien über unterschiedliche Volkswirtschaften und in verschiedenen Zeiträumen spiegeln die aufgeführten Punkte wider (Barro und Sala-i-Martín 1998, 6–11). Heubes fordert in diesem Zusammenhang: „Jede Wachstumstheorie, die als Erklärung der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung akzeptiert werden will, muss in der Lage sein, diese stilisierten Fakten zu erklären.“ (Heubes 1991, 153) Bevor zwei einfache Wachstumsmodelle erläutert werden, sei hervorgehoben, dass folgende Bestimmungsgründe das Wachstum einer Volkswirtschaft maßgeblich beeinflussen:

       der technische Fortschritt;

       die Höhe der Humankapitalinvestitionen, d.h. der Investitionen in die Bildung der Wirtschaftssubjekte, die in der Volkswirtschaft agieren;

       die Produktivität der Arbeit, die in die vielfältigen Produktionsprozesse einfließt;

       die Rentabilität des Kapitals bzw. die Erhöhung des Kapitalstocks, das in die Produktionsprozesse eingebunden ist.

      Tatsächlich sind die genannten, empirisch beobachteten Fakten unmittelbar eingängig und liefern doch zu wenige Argumente für die Beantwortung der Frage, wie wirtschaftliches Wachstum von statten geht. Zu diesem Zweck werden theoretischen Modelle herangezogen.

      1.3.2 Theorien zur Erklärung des wirtschaftlichen Wachstums

      Theorien und Modelle zum wirtschaftlichen Wachstum haben die Aufgabe, bestimmte Teilaspekte der langfristigen Entwicklung einer Volkswirtschaft anschaulich zu erklären. Sie sind wegen der Abstraktion nicht allumfassend und beinhalten üblicherweise unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Es können die neoklassische Wachstumstheorie |16|und die keynesianische unterschieden werden.[10] Die neoklassische Wachstumstheorie geht davon aus, dass der Output Y durch den Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit A hervorgebracht wird und dass jede zusätzlich in den Produktionsprozess eingebrachte Einheit Kapital bzw. Arbeit dafür sorgt, dass ein höherer Output produziert werden kann. Es nimmt jedoch der zusätzliche Output ab, je mehr Einheiten Kapital respektive Arbeit bereits im Produktionsprozess eingesetzt sind. Es werden abnehmende Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren angenommen. Die keynesianische Wachstumstheorie orientiert sich vor allen Dingen an den Investitionen.

      1.3.2.1.