Iris Böschen

Makroökonomik und Wirtschaftspolitik


Скачать книгу

Sachverständigenrat rechnet mit einer Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,0 Prozent. (SVR 2014)

      Tatsächlich ist das BIP im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent gestiegen. Für das Jahr 2016 korrigiert der Sachverständigenrat seine Konjunkturprognose:

      „[…] aufgrund eines etwas schwächeren außenwirtschaftlichen Umfelds leicht nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland wird nach Einschätzung des Rates um 1,5 Prozent wachsen, also um 0,1 Prozentpunkte weniger als im Jahresgutachten 2015/16 prognostiziert. Für das Jahr 2017 wird ein etwas höherer BIP-Zuwachs von 1,6 Prozent erwartet.“ (SVR 2016b)

      Tatsächlich ist das BIP 2016 um 1,9 Prozent gewachsen.

      Konjunkturschwankungen, wie sie in den Zitaten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus dem Herbst des Jahres 2013 sowie 2014 und in der Pressemitteilung aus dem Frühjahr 2016 diagnostiziert und prognostiziert werden, lassen sich als Schwankungen des Auslastungsgrades des Produktionspotenzials definieren. Dieser Indikator gibt ein Bild von der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsentwicklung wieder. Er misst nicht die wirtschaftlichen Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte selbst, sondern stellt diese in Relation zur potenziellen Wertschöpfung (vgl. dazu Böschen 2015).

      |26|Dasjenige Produktionsvolumen, das in einer Periode maximal erzeugt werden könnte, wenn alle Produktionsfaktoren vollständig ausgelastet wären, bezeichnet man als Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial ist eine hypothetische Größe. Eine objektive Definition der volkswirtschaftlichen Produktionsgrenze ist nicht möglich. Fasst man das Produktionspotenzial als Summe der betrieblichen Produktionsmöglichkeiten auf, so müssten letztere eindeutig definiert werden, um den gesamtwirtschaftlich erzeugbaren Output zu ermitteln. Für die Vollauslastung der Produktionskapazitäten eines Unternehmens gibt es jedoch keine objektiven Kriterien. Häufig wird auf die betriebsübliche, nicht jedoch auf die technisch maximal mögliche Kapazität abgestellt. Entsprechendes gilt für die Kapazitätsgrenze einer Volkswirtschaft. Das Produktionspotenzial ließe sich demnach nur dann quantifizieren, wenn Annahmen hinsichtlich der bestmöglichen Nutzung der Produktionsfaktoren getroffen werden würden.[14] Im ‚Normalzustand‘ der deutschen Volkswirtschaft wird das Produktionspotenzial zu 96,75 Prozent ausgelastet (SVR 2011). Das Konzept des Produktionspotenzials spielt ungeachtet der genannten Kritik eine wichtige wirtschaftstheoretische und -politische Rolle. So ist die kurzfristig orientierte Konjunkturpolitik darauf ausgerichtet, die optimale Auslastung des Produktionspotenzials zu sichern.

      Das Produktionspotenzial weist eine positive Steigung auf, da in der Regel – abgesehen von Kriegssituationen – der Kapitalstock einer Volkswirtschaft stetig zunimmt. Würden alle Produktionsfaktoren ständig voll ausgelastet werden, würde die Volkswirtschaft entlang dieses Pfades wachsen. Da aber Konjunkturschwankungen aufgrund verschiedener Faktoren üblich sind, wird das Produktionspotenzial nur im sogenannten Boom, der Hochkonjunktur, zu 100 Prozent genutzt. In der Depression ist nur ein Teil der Produktionsfaktoren ‚beschäftigt‘. Um zu erklären, in welchem Maße die Volkswirtschaft durchschnittlich während eines Konjunkturzyklus’ wächst, wird ein Trend bestimmt. Die Konjunktur (das tatsächliche BIP) schwankt um diesen langfristigen Wachstumstrend.

      Mit Konjunktur meinen Ökonomen somit die Schwankungen, die bei einem bestimmten Grad der Kapazitätsauslastung des vorhandenen Produktionspotenzials entstehen (können). Hochkonjunkturphasen werden als Perioden einer überdurchschnittlichen Inanspruchnahme der Produktionskapazitäten wahrgenommen. Während einer Depression werden demgegenüber die Produktionsmöglichkeiten nur unterdurchschnittlich intensiv genutzt. Die Phase zwischen einer Hochkonjunktur bzw. einem wirtschaftlichen Boom und einer Depression bezeichnet man als Abschwung oder Rezession. Die Phase zwischen einer depressiven Periode und einem Boom nennen Ökonomen Aufschwung oder Expansion.

      Während eines Aufschwungs steigt die Produktion (das BIP) gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen.[15] |27|Die Arbeitslosigkeit sinkt. Im Boom (Hochkonjunktur) erfolgt die Produktion an der Kapazitätsgrenze. Es werden relativ viele Investitionen getätigt und das Preisniveau steigt u.U. stark. Wenn die Inflationsrate besonders stark im Verhältnis zum BIP zunimmt, wird dies als konjunkturelle Überhitzung bezeichnet. Aufgrund des Preisanstiegs geht in der Regel die Nachfrage zurück und schließlich die Produktion. Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, wenn die Produktion in zwei aufeinander folgenden Quartalen abnimmt. In dieser Situation steigt die Arbeitslosigkeit. Fällt das BIP, während die Inflationsraten hoch bleiben, befindet sich die Volkswirtschaft in einer Situation der Stagflation: wirtschaftliche Stagnation und monetäre Inflation. Gehen die Produktion und die Investitionen weiter zurück und nimmt die Arbeitslosigkeit zu, dann ist die Volkswirtschaft von einer Depression (Krise) betroffen.

      Je nachdem in welcher Phase die volkswirtschaftliche Entwicklung verortet wird, sollen konjunkturpolitische Maßnahmen die konjunkturelle Entwicklung während des Booms gegebenenfalls vorab dämpfen oder in der Depression unterstützen. Betrachtet man die empirischen Daten der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft wie sie in untenstehender Abbildung 7 dargestellt sind, so fällt auf, dass der durchschnittliche Wachstumspfad zwar durchweg positiv war, dass zwischen 1950 und 2016 die Wachstumsdynamik jedoch deutlich abgenommen hat.

      

Abbildung 7:

      Veränderung des realen deutschen Bruttoinlandsproduktes gegenüber dem Vorjahr in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten vom Statistischen Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung – Lange Reihen ab 1950, 2017e).[16]

      |28|Von einem durchschnittlichen Wachstum von 8,2 Prozent in den Wiederaufbaujahren zwischen 1950 und 1959 ist die deutsche Volkswirtschaft auf ein durchschnittliches Wachstum von nur 0,9 Prozent zwischen 2000 und 2010 gerutscht. Dafür maßgeblich ist unter anderem die Weltwirtschaftskrise, die im Jahr 2007 in den USA durch den Kollaps des Bankwesens aufgrund der Kreditvergabepolitik der Banken provoziert und ausgelöst wurde. Die Auswirkungen zeigten sich insbesondere 2009 in Deutschland und in einer Reihe anderer Staaten auf der Welt.

      Neben der geringeren Wachstumsdynamik ist in Abbildung 7 ablesbar, dass es einige Depressionen während der vergangenen 60 Jahre in Deutschland gegeben hat. Die erste Ölpreiskrise 1973/74 hat sich auch auf die deutsche Wirtschaft deutlich ausgewirkt. Aufgrund des Ölpreisschocks gingen die Produktion, die Nachfrage und die Investitionen deutlich zurück. „Der Rohölpreis, der 1970 noch 1,40 US-Dollar pro Barrel (=158,8 Liter) betragen hatte, schoss nach oben und hatte sich um die Jahreswende 1973/74 vervierfacht.“ (Seng 2004)

      Die zweite Depression wurde ebenfalls durch einen immensen Anstieg des Ölpreises 1980/1981 ausgelöst. Das Barrel kostete zeitweise 38 USD. Anfang der 90er Jahre manövrierte Deutschland sich wirtschaftlich durch die Wiedervereinigung und die damit verbundenen Aufwendungen sehenden Auges in eine wirtschaftliche Depression. Anfang des neuen Jahrtausends sorgte die sogenannte „dot.com-Krise“ für Irritationen an den Finanzmärkten. Die Unternehmen der „New Economy“ schienen stark überbewertet zu sein und es kam zu einem Platzen der Spekulationsblase mit der Folge eines massiven Abrutschens der Börsenwerte der Unternehmen der betroffenen Branchen. Dies zeitigte schließlich auch Auswirkungen in der Realwirtschaft. Davon betroffen war nicht nur die deutsche Volkswirtschaft. Der wirtschaftliche Einbruch war weltweit spürbar.

      Bereits erwähnt wurde die Finanzmarkt-, Wirtschafts-, Banken- und Staatsschuldenkrise, die sich realwirtschaftlich ab 2009 in Deutschland auswirkte. Sie scheint jedoch, soweit die in Abschnitt 2 aufgeführten Indikatoren eine stichhaltige Aussage zulassen, überwunden zu sein. In den Jahren 2010 und 2011 wurden reale Wachstumsraten zwischen 3,6 und 3,3 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorjahr vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen[17], 2012 und 2013 0,7 und 0,1 Prozent. Im Jahr 2014 ist das BIP um 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, 2015 um 1,7 Prozent und 2016 um 1,9 Prozent (Statistisches Bundesamt 2017d).

      2.2 Konjunkturdiagnose

      Um eine erfolgreiche Konjunkturpolitik mit dem Ziel der Glättung der Konjunkturschwankungen umsetzen zu können, ist es unabdingbar, gewisse Gesetzmäßigkeiten konjunktureller Entwicklungen zu