Studien, IHS, Wien.
An dieser 2007 eingeführten wettbewerblich organisierten Vergabepraxis wird deutlich, dass das zuständige Bundesministerium bemüht ist, eine größtmögliche Unabhängigkeit zwischen Wissenschaft und Politik hinsichtlich der unter anderem für die Unternehmen und die Politik sehr wichtigen wirtschaftswissenschaftlichen Konjunkturanalysen herzustellen.[23]
Große Bedeutung wird in Wirtschaft und Politik auch dem Bericht des SVR beigemessen. Das Gutachten wird seit 1963 jährlich bis zum 15. November der amtierenden Bundesregierung überreicht. Diese nimmt bis spätestens acht Wochen nach Vorlage des Gutachtens im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts Stellung. In einem eigenen Gesetz über die Bildung eines SVR sind die Aufgaben des Sachverständigenrates und die Berufung der Mitglieder geregelt. Zu den Aufgaben gehören die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Lage und Prognosen für die Zukunft. Die Experten sollen „Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen“. In der Tat nutzt der SVR nationale und internationale Indikatoren, um die Konjunktur zu analysieren. Diese Datenreihen werden laufend aktualisiert. Zu den Indikatoren gehören zusammengefasst:
|36|die Produktion der Industrie,
der Auftragseingang der Industrie aus dem Inland/Ausland,
die Produktion des Bauhauptgewerbes,
die Entwicklung des Geschäftsklimas in der gewerblichen Wirtschaft,
die Beurteilung der Fertigwarenlager und der Auftragsbestände im verarbeitenden Gewerbe,
der Frühindikator für die wirtschaftliche Lage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW),
die Umsatzentwicklung im Einzelhandel,
das Verbrauchervertrauen,
die Entwicklung der Aus- und Einfuhr,
der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungsbereich,
die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und dessen Verwendungskomponenten,
die Entwicklung von Produktivität und Lohnstückkosten,
die Entwicklung der Bruttowertschöpfung, von verfügbarem Einkommen, Konsum und Sparen,
die Einschätzung der Wirtschaftslage (Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, DIHK),
die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland, der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung.
Auf der Basis der gewonnenen Daten wurde auch das Gutachten mit dem Titel „Jahresgutachten 2016/17 – Zeit für Reformen“ veröffentlicht, das folgende Daten beinhaltet:
Tabelle 1: Wirtschaftliche Eckdaten für Deutschland in Prozent
Quelle: Eigene Darstellung mit Daten des SVR und des Statistischen Bundesamtes[24].
|37|Im Gegensatz zum Ifo-Geschäftsklimaindex und zum GfK-Konsumklimaindex basieren die erhobenen Daten weniger auf Umfragen (abgesehen z.B. von der DIHK-Umfrage zur Einschätzung der Wirtschaftslage), als vielmehr auf Daten, die von den statistischen Landes- und Bundesämtern regelmäßig erhoben werden. Es handelt sich also um ex post-Daten, deren Extrapolation gleichwohl eine Prognose erlaubt. Tabelle 1 weist einige Verwendungskomponenten des BIP aus und deren Veränderung in den vergangenen Jahren, wobei für die Jahre 2014, 2015, 2016 und 2017 auf der Basis der Daten, die bis Mitte des entsprechenden Vorjahres verfügbar waren, Prognosen formuliert wurden. Häufig wird die Qualität bzw. die Treffsicherheit von Prognosen kritisiert. Während der SVR mit seiner Prognose die Entwicklung des BIP für das Jahr 2016 eine Punktlandung hingelegt hat, hat er das BIP-Wachstum 2015 um 0,6 Prozentpunkte unterschätzt (vgl. die Spalte 20152). Für das Jahr 2014 wurden die prognostizierten 1,6 Prozent realen Wirtschaftswachstums durch das Statistische Bundesamt bestätigt (vgl. die Spalte 20142). Hinsichtlich des privaten und staatlichen Konsums hat der SVR die Nachfragesituation 2016, 2015 und 2014 unterschätzt. Die Ausrüstungsinvestitionen wurden in den Jahren teilweise deutlich unterschätzt, während die Bauinvestitionen 2016 und 2015 über- und 2014 unterschätzt wurden. Die Exporttätigkeit war 2016 höher und 2015 sowie 2014 geringer erwartet, während die Importtätigkeit etwas stärker angenommen worden war, als sie tatsächlich ausfiel. Bei der Arbeitslosenquote hat sich der Sachverständigenrat erhofft, dass die Arbeitsmarktsituation sich deutlicher verbessern würde. Hinsichtlich der Preisveränderungen ist die Differenz zwischen der Prognose des SVR und den Daten des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2016 geringer und 2015 deutlich höher als 2014. Letzteres hängt damit zusammen, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank nicht zu der in all den Jahren vor der Finanzmarktkrise üblichen Ausweitung der Geldmenge und damit zu einer Steigerung des Preisniveaus führt. Die Prognosegenauigkeit ist insgesamt als relativ hoch zu bezeichnen. Diese Tatsache erlaubt das Stützen konjunkturpolitischer Maßnahmen auf der Basis der Prognosewerte des SVR.
2.4 Konjunkturtheorien
Um konjunkturelle Entwicklungen trotz der aufgeführten Diagnose- und Prognosemethoden noch besser verstehen, vorhersehen und interpretieren zu können, wurden und werden nach wie vor Konjunkturtheorien und -modelle entwickelt. Bei den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zur Konjunkturentwicklung unterscheiden wir die vorkeynesianischen von den „neuen“ Theorien. Zu letzteren gehören das keynesianische Konjunkturmodell (ab ca. 1937) sowie die polit-ökonomische Sichtweise der Theoretiker (ab 1975) und einige weitere jüngere Modelle.
2.4.1 Vorkeynesianische Konjunkturtheorien
Die Wissenschaftler, die die rein-monetäre Konjunkturtheorie postulierten, gingen davon aus, dass die Instabilität des Geldumlaufes der zentrale Bestimmungsgrund des Konjunkturverlaufes ist. Für sie ist der Konjunkturzyklus ein reines Geldphänomen. So |38|sorgt ein erhöhtes Geldangebot für sinkende Zinsen, da das Geld weniger knapp wird. In der Folge wird die realwirtschaftliche Lagerhaltung günstiger und die (Konsum-) Nachfrage belebt. Demgegenüber veranlassen steigende Zinsen aufgrund des knapper werdenden Geldes einen Lagerabbau. Die im Lager befindlichen Waren sollen abgesetzt werden, damit mehr Geld in Umlauf kommt und gegebenenfalls die Zinsen erneut fallen können. Das zusätzliche Güterangebot aus den aufgelösten Lagern konkurriert nun mit den Waren aus der laufenden Produktion. Dieses Mehrangebot an Gütern dürfte zu fallenden Preisen führen. Verstärkt wird der monetäre Anstoß sowohl im Aufschwung als auch in der Depression dadurch, dass die Einkommen produktionsabhängig sind und damit auch der Konsum. Während des Aufschwunges sorgen Preissteigerungserwartungen demnach dafür, dass die Händler ihre Vorräte ausdehnen, d.h. mehr Güter produzieren, um mehr in die Lager einstellen zu können. Damit wird der Expansionsprozess gefördert, der Boom verstärkt. Ebenso bewirkt nach der konjunkturellen Wende die Erwartung sinkender Preise den Abbau der Lager. Die Talfahrt in die Depression wird beschleunigt. Es greifen somit die jeweilige Konjunkturphase verschärfende Mechanismen und nicht die wünschenswerten konjunkturdämpfenden Maßnahmen. Die adäquate politische Maßnahme ist gemäß der Anhänger der rein-monetären Konjunkturtheoretiker die Stabilisierung des Geldumlaufes. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes hängt von den Erwartungen der Konsumenten und Unternehmen im Hinblick auf die Zinsentwicklung, auf die Höhe der künftig verfügbaren Einkommen etc. ab. Ob der Umlauf des Geldes überhaupt kontrolliert werden kann, ist noch heute umstritten. Zudem wird an der Theorie kritisiert, dass empirische Studien widerlegen, dass die Lagerhaltung zinsabhängig ist. Im Gegenteil: die jederzeitige Lieferfähigkeit hat sich als dominierend herausgestellt (Teichmann 1997, 4ff).
Eine weitere Erklärung für das Auftreten konjunktureller Wellen sind die monetären und die nicht-monetären, realen Überinvestitionstheorien. Die monetären Überinvestitionstheorien begründen Konjunkturschwankungen mit dem Auseinanderfallen von „natürlichem Zins“ und „Kreditzins“. Hier werden Investitionen durch eine übergroße Differenz zwischen dem „natürlichem Zins“ als realwirtschaftlich bestimmter