Die Unternehmen bauen Kapazitäten über die Maßen ab. Die Beschäftigung geht zurück. Die Kaufkraft fällt weiter. Denkbar ist auch, dass der Optimismus der Konsumenten einen nachfrageinduzierten Aufschwung einleitet. In der Erwartung zunehmender Beschäftigung sowie steigender Löhne und Gehälter wird der Konsum ausgedehnt. Stellen sich die Erwartungen als fehlerhaft heraus, steigen die Löhne und Gehälter nicht im erhofften Ausmaß. Der Konsum wird zurückgenommen. Die anfänglich positive Erwartung schlägt in eine Rezession um (Teichmann 1997, 7ff).
Ein Konjunkturzyklus kann auch ohne jegliche kausale ökonomische Notwendigkeit herbeigeredet werden. In dem Augenblick, in dem die Medien und einflussreiche Wirtschaftssubjekte mit einem wirtschaftlichen Einbruch rechnen und öffentlich |42|darüber reden, beginnen die Empfänger der Informationen zu sparen, weniger zu investieren bzw. zu konsumieren. Andersherum kann auch ein Aufschwung herbeigeredet werden. Wird eine neue, als wirtschaftskompetent geltende Regierung gewählt, investieren die Unternehmen, um die Konsumenten künftig bedienen zu können. Diese kaufen auch auf Kreditbasis Güter, da sie mit Lohn- und Gehaltssteigerungen rechnen und andererseits Preissteigerungen erwarten. Diese Art von Konjunkturschwankungen wird durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen induziert.
Sowohl die Unterkonsumtions- als auch die Überinvestitionstheorie und die zur Auflösung der konjunkturellen Verzerrung empfohlenen Instrumente werden heute überwiegend als überholt angesehen, helfen uns jedoch, die Prozesse besser zu verstehen. Die Konturen der Zyklen sind heute aufgrund der statistischen Datenerhebungs- und Analysemöglichkeiten deutlicher zu erkennen. Der technische Fortschritt erfolgt aufgrund der Globalisierung heute weniger in „plötzlichen“ Schüben als vielmehr relativ gleichmäßig. Es werden von dieser Seite heute eher keine Konjunkturzyklen ausgelöst.
2.4.2 Keynesianische Konjunkturmodelle
Zwei einfache Modelle zur Erklärung von Konjunkturschwankungen basieren auf der keynesianischen Theorie. Es sind die Modelle von John R. Hicks (1904–1989) und Paul A. Samuelson (1915–2009) (vgl. dazu z.B. Heubes 1991, 29–83 sowie Teichmann 1997, 11–14). Samuelson betrachtete in seinem Modell eine geschlossene Volkswirtschaft, d.h. das Export- und das Importverhalten der Unternehmen und privaten Haushalte bleiben außer Acht. Das BIP Y wird demnach für den Konsum der privaten Haushalte CH, die Investitionen I und den Staatskonsum CG verwendet. Das Preisniveau nimmt Samuelson als gegeben an, d.h. es wird nicht durch die genannten Größen beeinflusst. Der Produktionsfaktor Arbeit ist bei dieser Betrachtung ausreichend vorhanden. Der Produktionsfaktor Kapital stellt hingegen einen Engpass dar. Die Produktionsfaktoren werden beide im Produktionsprozess benötigt und können nicht durch den jeweils anderen ersetzt werden. Jede zusätzlich im Produktionsprozess eingebrachte Einheit Kapital erfordert eine bzw. mehrere zusätzliche Einheiten Arbeit und anders herum. Diese Annahme ist durchaus realistisch: man stelle sich ein neu angeschafftes Fließband vor, an dem nur unter besonderen Umständen Güter produziert werden können, ohne dass eine zusätzliche Arbeitskraft zum Einsatz kommt. Samuelson geht in diesem Modell davon aus, dass Konjunkturschwankungen durch Veränderungen des Verhältnisses der Investitionen I zum Output Y verstärkt werden. Steigen die Investitionen um eine Einheit, so ist zu erwarten, dass der Output entsprechend um zwei bis zu drei Einheiten, also überproportional zunimmt. Der Grund: Die Investitionen selbst erhöhen die Nachfrage des Unternehmens nach Zulieferprodukten, die weiterverarbeitet werden können, und damit werden Investitionen in weiteren Unternehmen notwendig. Die Investitionen wirken wie ein Akzelerator und dieser wird – wenn wir einmal die Annahme der geschlossenen Volkswirtschaft außer Acht lassen – nicht ausschließlich im Inland wirksam.[26] So waren 2015 in Deutschland rund |43|16 Prozent der Exportgüter chemische Erzeugnisse und etwa 13 Prozent der Importe (German Trade and Invest 2016). Auch zum Konsum CH trifft Samuelson verschiedene Annahmen: Die Konsumfunktion basiert auf den Annahmen von John M. Keynes’ makroökonomischem Modell zur Begründung der Notwendigkeit höherer Staatsausgaben in wirtschaftlichen Krisensituationen (Felderer 2005). Der Konsum CH der privaten Haushalte ist diesem zufolge vom Einkommen der Vorperiode abhängig. Dieses wiederum wird entweder gespart oder ausgegeben, je nachdem wie groß die Konsumneigung c bzw. die Sparneigung s ist. Konsumneigung und Sparneigung ergeben in der Summe immer 1, d.h. der Wert z.B. der Konsumneigung liegt zwischen 0 und 1. Wenn die Konsumneigung c 0,8 beträgt, werden 80 Prozent des verfügbaren Einkommens für Konsumzwecke verausgabt, und 20 Prozent gespart. Wenn die Konsumneigung von 0,8 auf 0,9 steigt, dann geht die Ersparnis zwar um 10 Prozentpunkte zurück, aber durch den zusätzlichen Konsum nimmt nicht nur die aktuelle Güternachfrage zu, sondern es steigen zudem die Investitionen. D.h., da die laufende Investitionsnachfrage sich – anders als die einkommensunabhängige autonome Investitionsnachfrage – proportional zum Konsum CH verhält, werden zusätzliche Investitionen getätigt und damit künftige Produktionskapazitäten geschaffen, um Nachfragesteigerungen bedienen zu können. Dies wiederum bewirkt, dass zusätzliche Arbeitseinheiten in den Produktionsprozess eingebracht werden müssen. Die Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit zieht gesamtwirtschaftlich ein höheres Einkommen nach sich. Ein höheres Einkommen seinerseits bewirkt, dass die Konsumausgaben, die annahmegemäß einkommensabhängig sind, steigen. Es liegt demnach ein doppelter Effekt vor, der durch die Konsumneigung hervorgerufen wird. Daraus resultiert der Begriff Multiplikator.
Die zusätzliche Konsumnachfrage erhöht die Investitionen unter der Annahme, dass ein entsprechender Kapitalstock aufgebaut werden kann. Die Gesamtinvestitionen beinhalten die laufenden, von der Konsumnachfrage abhängigen, Investitionen und die autonomen Investitionen. Das Zusammenwirken von Akzelerator und Multiplikator erklärt Samuelson zufolge das Auftreten von Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit Konjunkturschwankungen. Eine Zunahme der Konsumneigung c von z.B. 0,8 auf 0,9 wirkt also zunächst über den Multiplikator auf die Zunahme des Einkommens und über den Akzelerator wirkt dies auf die Erhöhung der Investitionen mit dem bekannten Effekt der Verzwei- bis Verdreifachung des Outputs. Der Aufschwung wird – zu sehr – verstärkt. Eine konjunkturelle Überhitzung kann die Folge sein. Andersherum wirkt eine Abnahme der Konsumneigung insofern nachteilig auf die wirtschaftliche Entwicklung, als dass die konjunkturelle Delle verschärft werden kann. In beide Richtungen kann die wirtschaftliche Entwicklung diesem Modell zufolge aufgrund des Zusammenwirkens von Akzelerator und Multiplikator ‚explodieren‘. Es können mit diesem Modell Konjunkturschwankungen erklärt werden.
Ein wichtiger Aspekt konjunktureller Schwankungen sind zeitliche Verzögerungen – time lags –, mit denen die Anpassungsprozesse eintreten. So ist davon auszugehen, |44|dass Effekte infolge der Veränderung der Konsumneigung erst zwei Perioden verspätet sichtbar werden. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Vielzahl eben dieser Verzögerungen als Auslöser von Konjunkturschwankungen in Frage kommt. Die Einkommen steigen beispielsweise bevor die Konsumausgaben CH zunehmen. Die Nachfrage CH wird geäußert und die Produktion nimmt erst daraufhin zu. Die Investitionsentscheidung geht der Investition voraus etc. Nach Samuelson sind Konjunkturschwankungen von unterschiedlichem Ausmaß natürlich, regelmäßig gleiche Amplituden der Schwankungen jedoch eher zufällig. Allerdings – und dies ist bedeutsam – wird in Samuelsons Modell der Einfluss der Erwartungsbildung außer Acht gelassen und es werden ausschließlich reale Größen betrachtet. Monetäre Effekte werden annahmegemäß nicht in die Analyse einbezogen. Dies beinhaltet darüber hinaus eine gewisse Realitätsferne, gleichwohl vereinfacht die Exogenität des Preisniveaus die realwirtschaftliche Betrachtung.
Hicks zeigte etwa ein Jahrzehnt nach Samuelson in den 50er Jahren, dass Konjunkturschwankungen um einen Gleichgewichtspfad herum verlaufen, d.h. dass sie gerade nicht ‚explodieren‘. Untenstehende Abbildung 11 veranschaulicht dies. Die Konjunktur schwankt um einen Wachstumspfad. Während auf der vertikalen Achse das Bruttoinlandsprodukt bzw. die Produktion Y dargestellt wird, veranschaulicht die horizontale Achse den Ablauf der Zeit t.
Produktionspotenzial und Konjunkturschwankungen (Quelle: Eigene Darstellung nach Albertshauser 2007).
|45|Grundlegende Annahmen auch dieses Modells sind das Vorliegen einer geschlossenen Volkswirtschaft, die Tatsache, dass Staatsinvestitionen