Silke Heimes

Künstlerische Therapien


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ihre Entsprechung. Nicht dadurch, dass der Mensch die Lebensrealität verneint oder verleugnet und sich zurückzieht, ist er in der Lage, eine gesunde Form der Bewältigung zu finden, sondern nur, indem er sich in einem geschützten Raum mit den Gegebenheiten aktiv und interaktiv auseinandersetzt, wird er Lösungsstrategien erarbeiten, die sich im Alltag als tragfähig erweisen müssen.

      Die Künstlerischen Therapien stellen diesen geschützten Raum zur Verfügung, in dem sich der Mensch mit verschiedenen Medien und Ausdrucksformen beschäftigen kann und die Möglichkeit erhält, Bewältigungsstrategien zu erproben. Indem der Mensch im künstlerischen Kontext Erfahrungen sammelt, erwirbt er zugleich Fähigkeiten, die ihn in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden, auf welche Reize und Forderungen er in welcher Art und Weise reagieren will. Dabei kann auch das Nichtreagieren als Reaktion verstanden werden, als aktive Verweigerung, die eine andere Haltung impliziert als passive Verweigerung, der eine Überforderung und keine bewusste Entscheidung zugrunde liegt.

      In den Künstlerischen Therapien hat der Mensch selbstbestimmt und eigenverantwortlich an der Therapie teil und gestaltet den therapeutischen, respektive künstlerischen Prozess in interaktiver Weise mit. Zwei Experten, Patient und Therapeut, suchen, unter Einbeziehung der Lebensrealität und der Ressourcen des Patienten, gemeinsam einen individuellen Weg zu seinem Wohl. Dafür werden im intermedialen Ansatz|14◄ ►15| mehrere künstlerische Ausdrucksformen wie Sprache, Bewegung, Musik, Malen und Gestaltung miteinander kombiniert, wobei die einzelnen Medien und die mit ihnen verbundenen Reize nicht getrennt wirken, sondern simultan, so wie es der Lebensrealität entspricht.

      2.4 Das menschliche Gehirn

      Das intermediale Konzept trägt aber nicht nur der komplexen Lebensrealität des Menschen Rechnung, sondern zugleich der neuronalen Verschaltung des menschlichen Gehirns. Ein durch den intermedialen Einsatz künstlerischer Mittel und Methoden gefördertes vielfältiges Angebot an Sinneseindrücken korrespondiert am besten mit der Organisation des Gehirns, in dem eine Synchronisation visueller, auditiver, somatosensorischer und motorischer Sinneseindrücke auf neuronaler Ebene stattfindet.

      Schon in früher Kindheit schaltet das Gehirn Merkmalsbedeutungen zusammen, um die Umwelt ganzheitlich wahrnehmen und erleben zu können. Verschiedene Sinnesdaten werden zu kohärenten Wahrnehmungseindrücken zusammengefasst, ohne die die Wahrnehmungswelt eine Anhäufung von Eindrücken ohne Sinn und Zusammenhang bliebe.

      Gerade Kinder sind in besonderer Weise in der Lage, die in der einen Sinnesmodalität aufgenommenen Informationen in eine andere zu übersetzen. Diese Fähigkeit bleibt prinzipiell lebenslang erhalten und kann, auch wenn sie durch Alltagszwänge in den Hintergrund gedrängt wurde, aktiviert und gefördert werden.

      2.5 Ressourcenaktivierung

      Unter der Voraussetzung des dosierten und achtsamen Umgangs mit den verschiedenen Medien können die vielfältigen, simultanen Sinnesanregungen zur Stimulation des Gehirns beitragen. Sie ermöglichen es dem Menschen Verhaltensweisen zu generieren, die ihn befähigen, im Alltag schneller und leichter zu reagieren, so dass ihn die dort ebenfalls zahlreich auf ihn einströmenden Reize nicht mehr überfluten.

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      Dabei geht es in den Künstlerischen Therapien nicht in erster Linie um Kunsthandwerk oder -fertigkeit, sondern darum einen adäquaten Ausdruck zu finden, der einen befriedigenden Umgang mit Gefühlen und Gedanken ermöglicht. Dabei hängt die Wahl der Ausdrucksmittel des Einzelnen von zahlreichen in der Gegenwart und Vergangenheit des Individuums begründeten Faktoren ab und ist im Prozess variabel.

      Je mehr Erfahrungen mit den verschiedenen Medien und Materialien existieren, umso leichter und fließender lassen sich Übergänge gestalten, umso flexibler können die Ausdrucksformen genutzt werden. Auf diese Weise wird in den Künstlerischen Therapien ein alternativer Erfahrungsraum geschaffen, der gestaltend genutzt werden kann, um neue Erfahrungen zu sammeln und Ressourcen zu aktivieren, die zu einer sinnerfüllten Alltagsbewältigung beitragen.

      3 Wahrnehmung und Wahrnehmungspsychologie

      Als Grundlage für die Wahrnehmung dient dem Menschen ein komplexes, differenziertes Sinnessystem, das Eindrücke über die Sinnesorgane aufnimmt und vermittels Nervenbahnen an das Gehirn leitet, wo sie verarbeitet werden.

      Es wurden zahlreiche Versuche unternommen, die verschiedenen Sinne durch Einteilung zu systematisieren. Der britische Neurophysiologe Charles Sherrington, der sich an Lage und Wirkrichtung von Rezeptoren orientierte, kam auf dreizehn Sinne: Stellungs-, Spannungs-, Lage-, Bewegungs-, Tast-, Geschmacks-, Druck-, Berührungs-, Temperatur-, Schmerz-, Gesichts-, Gehör- und Geruchssinn (Sherrington 1906). Der österreichische Philosoph Rudolf Steiner sprach in seiner Sinneslehre von zwölf Sinnen und ordnete den körperorientierten Sinnen den Lebens-, Sprach-, Wort-, Gedanken- und Ichsinn bei (Steiner; Vorträge 1922/23).

      Neben den Sinnesorganen und den leitenden Nervenfasern spielt das Gehirn als verarbeitendes und steuerndes System von Reizen eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung. Es umfasst bei Frauen etwa neunzehn und bei Männern ungefähr dreiundzwanzig Milliarden Nervenzellen.

      Da bei der Geburt annähernd alle Nervenzellen vorhanden sind, resultieren|16◄ ►17| Gewichts- und Größenwachstum des Gehirns in erster Linie aus der Vernetzung der Neuronen und dem Dickenwachstum der Verbindungen. Die Vernetzung von Nervenzellen vollzieht sich vorwiegend in den ersten Lebensjahren, wobei diese Prozesse nie ganz abgeschlossen sind und sowohl für die primäre als auch die sekundäre Vernetzung stimulierende Reize unabdingbar sind (Heimes 2008).

      Eine weitere für die Wahrnehmung entscheidende Struktur im Gehirn ist das limbische System, in dem alle Signale verarbeitet werden und eine emotionale Komponente erhalten. Dabei erlebt und deutet jede Spezies ihre Umwelt über die Informationen, auf deren Verarbeitung ihre Sinnesausstattung programmiert ist. Nur der Mensch verfügt neben der physiologischen Sinnesausstattung über die Fähigkeit, symbolisch vermittelte Informationen aufzunehmen und sich darüber neue Perspektiven zu eröffnen.

      Steht der Begriff der Wahrnehmung in der Biologie ganz grundlegend für die Fähigkeit eines Organismus, mit seinen Sinnesorganen Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, werden in der Psychologie für die Wahrnehmung nur jene Sinnesreize als bedeutsam erachtet, die der Anpassung des Individuums an seine Umwelt dienen oder ihm Rückmeldungen über die Auswirkungen seines Verhaltens geben.

      Gemäß dieser Definition dienen also nicht alle Sinnesreize der Wahrnehmung, sondern nur die, die kognitiv verarbeitet werden und der Orientierung und Ausrichtung des Wahrnehmenden helfen. Eine unter diesem Aspekt betrachtete Wahrnehmung ermöglicht sinnvolles Handeln und planerisches Denken und kann als Grundlage von Lernprozessen verstanden werden.

      Die menschlichen Sinne sind Vermittler von Empfindungen, wobei die Sinnesorgane nur einen Teil der vorhandenen Reize aufnehmen und jede Wahrnehmung zuerst in einem sensorischen Speicher auf ihren Nutzen hin untersucht wird, bevor sie, sofern relevant, weiterverarbeitet wird. Wahrnehmungen sind also von Erinnerungen und Erwartungen abhängig: Ein Mensch kann nur wahrnehmen, was er wahrzunehmen bereit ist und gelernt hat. Kognitive Beurteilungsprogramme entscheiden, was wahrgenommen wird, so dass Wahrnehmung immer zugleich an die Biographie des Wahrnehmenden gebunden ist.

      Um Beunruhigung und Verunsicherung zu vermeiden, stellt das Gehirn, das verschiedene Reize gleichzeitig verarbeitet, aus einzelnen, zunächst|17◄ ►18| nicht zusammenhängenden Objekten ein einheitliches Ganzes her, um Dinge möglichst schnell in ihrer Grundbedeutung zu erfassen. Das Gehirn organisiert Zusammenhänge und sieht, dem menschlichen Bedürfnis nach kausalen Beziehungen folgend, auch dort Verbindungen, wo keine vorhanden sind. Dabei stehen Wahrnehmung und wahrgenommenes Objekt in einem ständigen Wechselverhältnis, so dass sich das wahrgenommene Objekt durch die sinnliche Aufnahme und Weiterverarbeitung in seiner Bedeutung verändert, wodurch sich wiederum die Wahrnehmung des Objektes verändert.

      Die Fähigkeit, Inhalte wahrzunehmen, ohne ihnen automatisch Bedeutungen beizumessen, muss geschult werden, um neue bildhafte Erkenntnisse zu gewinnen und andersartige Gestaltungsformen zu ermöglichen. So gesehen