2.1 Die Frage nach der Wahrheit
2.1.1 Das Problem der Dialektik
2.1.2 Wahrheit und Begründung: Die Aktualität von Dialektik und Dialog
2.2 Die Bedingungen des Guten: Das Problem der Ethik
2.2.1 Die Transzendenz des Guten und das Sittengesetz
2.2.2 Das Gute und das Nützliche
2.3 Die Bedingungen der Freiheit: Das Problem der Politik
2.3.1 Das Wesen der Freiheit und die Konstitution der Polis
2.3.2 Die unbeweisbare Freiheit: Politische Philosophie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
2.4.1 Das Problem der Metaphysik
2.4.2 Ende oder Zukunft der Metaphysik: Die unhintergehbare Seinsfrage
3 Wie sollte im 21. Jahrhundert Philosophie studiert werden?
Rückumschlag
Vorwort
von Harald Seubert
Die Einführung in die Philosophie ist die elementarste und grundlegendste Vorlesung eines philosophischen Lehrers. Dadurch ist sie auch eine Königsdisziplin. Auf knappem Raum gilt es zu sagen, was Philosophie ist, die, im Unterschied zu anderen Wissenschaften, nicht einen festgelegten Kanon von Methoden und wissenswerten Sachverhalten enthält, sondern in der buchstäblich alles zur Disposition steht. Man lernt die Sache und den Denker gleichermaßen kennen. Manfred Riedel (1936–2009) hat seine ‚Einführung‘ eine ‚Hinführung‘ genannt, und er hat Philosophie zuerst dadurch gekennzeichnet gesehen, dass sie radikales Fragen sei. Die Vorlesung situiert deshalb Philosophie zwischen Weltanschauung und Wissenschaft: Es sind die beiden Dimensionen, aber auch Deformationen des Geistes, zwischen denen die Philosophie in der Zeit nach Hegel ihre eigenständige und vermittelnde Bedeutung zu verlieren drohte. So besteht die Gefahr, dass Philosophie zu Wissenschaft oder zu Ideologie degeneriert. In einer Weltanschauung bricht die philosophische Fragebewegung ab. Sie erstarrt zu Dogma oder Ideologie. Dies zeigt Riedel im Blick auf den Marxismus, den er seit seiner Schul- und Studienzeit kannte und der in den frühen Siebzigerjahren die westlichen Intellektuellen in ihren Bann zog. Eine nur szientistische wissenschaftliche Weltorientierung, der sich zu weiten Teilen die angelsächsisch-sprachanalytische Philosophie verschrieben hat, reduziert ihrerseits die Fragebewegung im Namen von vorgegebenen Erkenntnismodellen, vor allem des physikalistischen. Philosophie aber ist, dies betont Riedel eindrücklich, nichts Nachträgliches – weder bezogen auf Weltanschauung noch auf Wissenschaft. Sie ist selbst Ursprung der Denkbewegung, die über die gegebene faktische Welt, sei es eines Zeitgeistes, sei es eines positivistisch gesetzten Theorierahmens hinausgeht. Eindrucksvoll zeigt er deshalb im Rückgriff auf die mittelalterliche Transzendentalienlehre [<<7] und die kantische Transzendentalphilosophie, dass Philosophie aus sich heraus die Grenze zwischen dem Transzendenten und dem positiv Gegebenen überschreitet. Anders gesagt: Sie muss als Philosophie einen spekulativen Weg nehmen. Wenn sie dies nicht tut, verfehlt sie sich.
Von diesen Vorklärungen her exponiert Riedel die vier Grundprobleme der Philosophie, die in einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung umkreist werden. So entsteht ein Gespräch zwischen antikem, neuzeitlichem und modernem Denken, das im besten Fall zu immer größerer Sinnklarheit führt, nicht aber zu verwertbaren dogmatischen Sätzen und auch nicht zu szientifischen Lösungen.
Riedel benennt zunächst die Frage nach der Wahrheit, die auf das Sich-Unterreden über die Sache, die Grundbedingung von Identität und Differenz, führt. Mit seinem Lehrer Gadamer hält er fest, dass Dialektik im Dialog gründet. Das zweite Problem ist die Frage nach den Bedingungen des Guten: Sie führt auf die Ethik. Das dritte Problem betrifft die Bedingungen der Freiheit und damit der Manifestation und Realisierung des Guten in der politischen bürgerlichen Gesellschaft. Die vierte Frage gilt schließlich dem ‚Sinn von Sein‘, worin Riedel das Grundproblem der Metaphysik zwischen Aristoteles einerseits, Hegel und Heidegger andererseits eindrucksvoll sichtbar macht.
Das Manuskript kann und soll nicht verleugnen, dass es aus den Debattenlagen der Siebziger- und Achtzigerjahre hervorgegangen ist. Dennoch ist es von bemerkenswerter Aktualität: Die gegenwärtig dominierende Tendenz der Philosophie, sich nur noch szientistisch zu verstehen, hat zumal in Deutschland seither vehement zugenommen. Man findet kaum zeitgenössische ‚Einführungen‘, die einen unreduzierten Philosophiebegriff entwickeln. Schul- und abgezirkelte Spezialdebatten verdunkeln das Selbstverständnis. Die Präsenz von ‚Weltanschauungen‘ ist im Zeitalter der ‚globalisierten Welt‘ gewiss geringer geworden. Dieses Buch kann aber dazu verhelfen, die Frage nach der impliziten ‚Ideologie‘ des entfesselten globalen ‚Weltinnenraums des Kapitals‘ aufzuwerfen. Wie kann sich demgegenüber die Eigenständigkeit der Philosophie bewähren?
Manfred Riedels bestechend klarsichtige Gliederung lässt Raum für die Selbstentfaltung des philosophischen Gedankens in großen Vertretern. So entsteht ein Gespräch der Antike mit der Moderne, in das durch die [<<8] Veränderungen der politischen und der Wissensformen Brüche eintreten, das aber nie abbricht. Riedel, der eingehend über Hegel, Nietzsche und Heidegger gearbeitet hat, weiß um die Problematik des ‚Endes der Philosophie‘ und zumal der ‚Metaphysik‘. Doch spielt er nie mit modischen Epitheta wie der Berufung auf ein ‚nachmetaphysisches Denken‘. Die Eigenständigkeit zeigt sich auch gegenüber dem ‚linguistic turn‘, in dem hermeneutische und semantisch analytische Philosophie konvergierten. Riedel legt großen Wert darauf, dass die philosophischen Probleme nicht auf Sprachprobleme reduzierbar sind.
Unverkennbar ist Riedel den vier kantischen Fragen: ‚Was können wir wissen?‘ – ‚Was sollen wir tun?‘ – ‚Was dürfen wir hoffen?‘ – und der dahinter liegenden nach der „Bestimmung des Menschen“ verpflichtet, und nicht minder der auf Aristoteles zurückgehenden Tektonik von Theoretischer Philosophie als dem Wissen um des Wissens und Praktischer Philosophie als Wissen um des Handelns willen. Sein Ansatz ist aber eigenständig; einem Primat Praktischer Philosophie verbunden, vor deren Horizont der spekulative Fragezusammenhang sich entfalten wird. Die Nähe zu Heidegger deutet sich an. Doch Riedel folgt ihm nicht in seinem Diktum vom Ende der Philosophie und einem ‚anderen‘, anfänglichen Denken. Er hält vielmehr das große europäische Denkgespräch offen in einer souveränen Verbindung des sachgemäßen und damit systematischen Denkens und der Kenntnis der Philosophiegeschichte. Aktuell ist diese Hinführung nicht zuletzt in einer Zeit, in der beides auseinanderfällt. Riedel meidet jedes Pathos. Seine Sprache ist sachbezogen und zutiefst human. Wie könnte