Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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gehen und Trost holen, nicht an Brot und Wein, nicht an Leib und Blut Christi, sondern am Wort, das im Sakrament den Leib und das Blut Christi als für uns gegeben und vergossen darbietet (18, 204, 5–8). Die Worte Christi beim Abendmahl sind Worte des Lebens und der Seligkeit, so dass dem, der daran glaubt, durch solchen Glauben alle Sünden vergeben sind und er ein Kind des Lebens ist und Hölle und Tod überwunden hat (11, 432, 21–27; vgl. 23, 205, 20–23).

      5. Die Wirkung des Abendmahl hat ihren Grund in der wirklichen Gegenwart Christi im Abendmahl Die Einheit von Brot und Wein mit Leib und Blut Christi im Abendmahl ist rational nicht zu verstehen (6, 511, 18–21). Dennoch ist die Einheit nicht wider Vernunft und Logik (26, 440, 16f.). Aber die vermeintliche rationale Erklärung als Transsubstantiation führt in die Irre, weil sie philosophisch argumentieren will und eine bloße Meinung etabliert, die mit dem Glauben nichts zu tun hat (6, 508, 17–22), aber mit dem Anspruch auf verbindliche Glaubenswahrheit verkündet wird (ebd. 17. 27–31; vgl. 11, 441, 18–31). Die Transsubstantiation, die nicht notwendig angenommen werden muss, ist für eine Erfindung menschlicher Meinung zu halten, da sie durch keine Schriftstelle und keinen Vernunftgrund gestützt wird (6, 509, 15–21). Die Zweinaturenlehre in der Christologie zeigt, dass eine Einheit zweier Wesen möglich ist, ohne dass sich eines der beiden verändern müsste. So gebe es auch im Abendmahl den wahren Leib und das wahre Blut Christi, ohne dass Brot und Wein ihre Substanz ändern müssten (6, 511, 34–512, 1; vgl. 23, 145, 13–21; 26, 440, 34–441, 8). Der Begriff der Konsubstantiation ist für die Deutung der Abendmahlslehre Luthers ungeeignet, da er den Substanzbegriff voraussetzt, der bei der Erläuterung des Abendmahl auf eine falsche Ebene, die des Wissens, führt. Luther toleriert diese philosophische Deutung des Abendmahl, fordert aber, diese Meinung nicht zu einem |5|verbindlichen Glaubensartikel zu erklären (6, 512, 4–6). Es besteht nach Luther keine logisch-ontologische Identität von Brot und Leib, sondern eine sakramental-soteriologische Einheit, wo zwei unterschiedliche Wesen in ein Wesen kommen (26, 443, 15), obwohl jedes für sich sein eigenes Wesen hat (ebd. 27–32). Diese Einheit aus zwei für sich bestehenbleibenden Dingen, die zusammen ein neues Wesen ausmachen, wird sprachlich durch eine Synekdoche ausgedrückt (26, 444, 2). Der Grund für die Anwesenheit Christi im Abendmahl liegt in seiner Erhöhung zur Rechten Gottes nach Auferstehung und Himmelfahrt. Christus ist als Gott und Mensch bei Gott und hat Teil an Gottes Allwirksamkeit und Allgegenwart (23, 143–153) (Ubiquität; vgl. 19, 491, 13–20). Diese verschiedenen Varianten des Ausdrucks der Realpräsenz Christi im Abendmahl toleriert Luther, aber er lehnt ihre Interpretation als Bedeutungen, die analog zur alttestamentlichen Typologie zu verstehen wären, ab: Das ‚Ist‘ in den Abendmahlsworten ‚Das ist mein Leib‘ dürfe nicht als ‚bedeutet‘ verstanden werden, so dass es heiße: ‚das bedeutet mein Leib‘ (11, 434, 17–26). Diese Interpretation der Abendmahlsworte fand Luther zuerst 1522 bei Cornelius Honius (Hoen), später bei Karlstadt und Zwingli, gegen die er vehement die Realpräsenz verteidigte. Luther wirft Zwingli ein Missverständnis der Funktionsweise von Metaphern vor, wenn er die Rede Christi im Abendmahl ‚Das ist mein Leib‘ als Rede über die Bedeutung verstehen wolle. Denn eine Metapher schafft ein neues Wort mit neuer Bedeutung, und ihre Prädikation ist eine Aussage über das Sein, nicht über die Bedeutung. Auch Johannes Oekolampads Auffassung, das Brot im Abendmahl sei Zeichen des Leibes Christi, entspricht nicht der Rede Christi (23, 105; 26, 278f.). Luther lehnt auch die Deutung des Abendmahls als Integration in den geistlichen Leib Christi, also die christliche Gemeinde ab (11, 437, 16–18). Auch dies wäre eine nicht schriftgemäße Rationalisierung (11, 438, 10). Denn der geistliche Leib Christi ist nicht für uns gegeben, sondern sein natürlicher Leib ist für seinen geistlichen Leib, der wir sind, gegeben (11, 438, 30f.).

      6. Der Leib Christi im Abendmahl ist ein geistlicher Leib, der geistlich genossen wird: Diese Speise verwandelt den, der sie isst, in sich und macht ihn ihr selbst gleich, geistlich, lebendig und ewig. Es ist dieselbe unvergängliche Speise, die im Abendmahl mit dem Mund leiblich und mit dem Herzen geistlich gegessen wird (23, 203, 14–33). Es gibt also im Abendmahl ein leibliches und ein geistliches Essen zugleich. Das geistliche nährt das Herz des Menschen (5, 665, 2–4).

      7. Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus und untereinander ist eine Folge des Abendmahls. Denn der Genuss des wirklichen Leibes Christi im Abendmahl schafft die Teilhabe am geistlichen Leib Christi (11, 439–441). Die Bedeutung oder das Werk dieses Sakraments ist Gemeinschaft aller Heiligen; darum nennt man es auch Communio, das ist Gemeinschaft Christi mit allen seinen Heiligen in einem geistlichen Körper (2, 743, 7–22). So wird das Abendmahl zu einem Gemeinschaftsmahl: Dass wir einerlei Brot und Trank genießen, das bewirkt auch, dass wir ein Brot und Trank werden, ja einer des andern Speise und Trank, gleichwie Christus uns Speise und Trank ist (11, 441, 3–8). Die Liebe ist also Folge der im Abendmahl empfangenen Gabe (2, 750f.). Auch Dank ist Folge des Abendmahls, das deshalb Eucharistie genannt wird (5, 198, 18f.; 6, 231, 6; 368, 8–10; 26, 463, 28f.).

      8. Das Abendmahl ist Merkmal der Kirche: Die Zeichen, an denen man äußerlich bemerken kann, wo dieselbe Kirche in der Welt ist, sind Taufe, Abendmahl und das Evangelium (6, 301, 3f.).

      |6|9. Das Abendmahl ist nicht heilsnotwendig, sondern wie alles für den Christen frei: Christus habe selbst das Abendmahl nicht als notwendig gefordert und durch ein Gesetz festgelegt, sondern es jedem freigestellt (12, 216, 33f.). Aber obwohl Christus wusste, dass alles unter einer Gestalt, ja allein im Glauben, ohne das Sakrament, empfangen würde, hat er nicht vergebens beide Gestalten eingesetzt (7, 399, 28–30; vgl. 6, 79, 32–34; 518, 17–23; 11, 433, 18–20). Aber das Abendmahl ist sowohl Gebot als auch Verheißung. Man soll niemand zum Abendmahl treiben noch zwingen, aber das soll man dennoch wissen, dass solche Leute für keine Christen zu halten sind, die sich lange Zeit dem Sakrament entziehen (30I, 227, 16–23).

      10. Das Abendmahl ist unter beiderlei Gestalt, als Brot und Wein, allen Glaubenden zu reichen, da es von Christus so eingesetzt wurde (2, 742f.). Es ist gottlos und tyrannisch, den Laien das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu verwehren (6, 506, 33f.; vgl. 7, 391. 399). So haben die Priester nun ein anderes Sakrament als die Laien (7, 395, 22f.). Nicht dass die gegen Christus sündigen, die eine Gestalt gebrauchen, denn Christus hat nicht geboten, sie zu gebrauchen, sondern hat es dem Willen eines jeden anheimgestellt. Aber diejenigen sündigen, die verbieten, denen, die das Abendmahl freiwillig so halten wollen, es in beiderlei Gestalt zu geben. Die Schuld liegt nicht bei den Laien, sondern bei den Priestern. Das Sakrament gehört nicht den Priestern, sondern allen (6, 507, 7–12; vgl. 6, 525, 12).

      12. Luther setzte sich zuerst mit der römischen Abendmahlslehre auseinander. Die erste Gefangenschaft des Abendmahls durch die römische Kirche ist für ihn die Verweigerung des Laienkelches und die Beschränkung auf die Gabe des Brotes an die Laien (6, 507). Die zweite Gefangenschaft ist die römische Lehre von der Transsubstantiation, wie sie vom vierten Laterankonzil 1215 dogmatisiert worden war, nach der in der Messe die Substanz der Elemente in Leib und Blut Christi gewandelt, die Akzidentien beibehalten werden. Luthers Kritik daran begründet eine neuartige Abendmahlslehre, die sich nicht mehr philosophischer Begriffe bedient und eine wissenschaftliche Meinung ausbildet. Die dritte Gefangenschaft ist das Verständnis der Messe als Opfer. Luther gibt der Messe eine neue Form, ohne Offertorium. Nach dieser Auseinandersetzung mit der römischen Messlehre verteidigte Luther gegen Karlstadt und Zwingli die im Glauben erfahrbare und geschichtlich wirksame Realpräsenz Christi im Abendmahl und gab so der lutherischen Abendmahlslehre ihren spezifischen Gehalt. Gegen Karlstadt hielt Luther am Sakramentscharakter des Abendmahls fest (18, 139–142; 162, 36).

      📖 Theodor Kochs, Art. Abendmahl, in: DWB 1, 137f. Christoph Markschies, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche, in: RGG 4. Aufl., 1, 15–21. Thomas Kaufmann, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 3. Reformation, ebd. 24–28. Jörg Baur, Art. Abendmahl III. Dogmatisch 1. Evangelisch, ebd. 31–36. Jürgen Diestelmann, Das Heilige Abendmahl bei Luther und Melanchthon, 2007. Hartmut Hilgenfeld, Mittelalterliche traditionelle Elemente in Luthers Abendmahlsschriften, 1971. Hans Grass, Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, 2. Aufl. 1954. Eberhard Grötzinger, Luther und Zwingli. Die Kritik an der mittelalterlichen Lehre von der Messe als Wurzel des Abendmahlsstreites, 1980. Franz Hildebrandt, Est. Das lutherische Prinzip, 1930. Ernst Kinder, Realpräsenz und Repräsentation. Feststellungen zu Luthers Abendmahlslehre, in: ThLZ 84 (1959) 881–894. Ulrich Kühn, Sakramente, 1985, 45–67. Athina Lexutt, Das Abendmahl. Die lutherische