das Phänomen des Fremden in der Diskurstheorie unterzubringen. Säkulare Rationalität und Religion anerkennen sich wechselseitig, jedenfalls solange wie die säkulare Rationalität keine befriedigenden Antworten auf die entscheidenden religiösen Fragen zu geben vermag. Solche Anerkennung geschieht aus Einsicht in die Berechtigung der religiösen Fragestellungen bei gleichzeitiger Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit, befriedigende Antworten zu geben. Sie zielt also gerade nicht darauf ab, die Differenz zwischen säkularer Rationalität und Religion aufzulösen.
Die habermasHabermas, Jürgen’sche Diskurstheorie scheint überall dort im Recht zu sein, wo tatsächlich allgemeine Rationalitätsstandards des Diskurses vorausgesetzt werden können. Selbst dann, wenn der eigene epistemische Status der Religion anerkannt wird, muss dies aus rationaler Einsicht geschehen. Damit hängt die Diskurstheorie wie KantsKant, Immanuel Philosophie auch an der Voraussetzung der Einheit der Vernunft. Die aber muss sich dann auch konkret feststellen lassen, sie muss sich gleichsam empirisch bewahrheiten. Habermas geht genau in diese Richtung, indem er Vernunft intersubjektiv begründet. Freilich stellt sich dann nicht nur die Frage, weshalb sich die Menschen de facto so schlecht über Geltungsansprüche verständigen können, sondern auch das ganz grundsätzliche Problem, wie man jemandem begegnen soll, der entweder die Rationalitätsstandards des Diskurses nicht anerkennt oder aber gleich ganz verweigert, überhaupt am Diskurs teilzunehmen. Diskurstheoretisch lässt sich mit solchen Personen nichts anfangen, sie stellen sich gleichsam selbst ins Abseits. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass der »zwanglose Zwang des besseren Arguments« seine Zwanglosigkeit einbüßt. Wer sich nicht auf vernünftige Weise am Diskurs beteiligt, der scheidet als gleichberechtigter Gesprächspartner aus. Das gilt auch für die Religionen. Den Religionen kann nur dann ein eigener epistemischer Status zuerkannt werden, wenn sie ihrerseits die Berechtigung eines säkularen Rationalismus aus rationalen Gründen anerkennen. Die Religionen müssen also selbst vernünftig sein, und das im Sinne des diskurstheoretischen Vernunftbegriffs.
Damit verkennt die Diskurstheorie aber die interkulturelle Situation, in der das gewachsene Vernunftdenken der europäisch-westlichen Tradition ja gerade herausgefordert wird. Natürlich wird keiner einzelnen Kultur Vernunft abgesprochen, das Spannende an der interkulturellen Situation aber ist gerade, dass die Vernunft nicht in ihrer kulturübergreifenden Einheit vorausgesetzt wird, sondern umgekehrt die verschiedenen Vernunfttraditionen angesichts der interkulturellen Situation auf ihre jeweilige Geschichtlichkeit aufmerksam werden. Ob es so etwas wie eine Einheit der Vernunft überhaupt gibt oder je geben kann, das steht in der interkulturellen Situation in Frage und darf nicht schon vorausgesetzt werden. Wir werden weiter unten sehen (vg. Kap. 2.2 und 2.3), dass die Einheit der Vernunft im 20. Jahrhundert schon in der europäischen Tradition in Frage gestellt wird. Vernunft kann nie einfach vorausgesetzt werden, sondern steht selber in jedem Moment mit auf dem Spiel.
Der Universalismus bleibt in bestimmten Dimensionen im Recht. So etwa, wie oben bereits angemerkt, wenn wir den Menschen als biologisches Wesen betrachten. Auch ist es unstrittig, dass logische Gesetze ihre Gültigkeit nicht dadurch verlieren, dass sie in kulturellen Kontexten ausgesprochen und angewandt werden, denen sie möglicherweise nicht selbst entstammen. Der Geltungsbereich von Logik ist so wenig wie der der Naturgesetze lokal oder historisch begrenzt; er ist aber wie die Naturgesetze auch auf eine bestimmte Dimension begrenzt. Die Naturgesetzte gelten in der natürlichen Dimension (für kulturelle Phänomene gelten sie immer nur insoweit, wie diese Phänomene ihrerseits auf die natürliche Dimension reduziert werden – so kann z.B. das kulturelle Phänomen des Essens und Speisens selbstverständlich auch in der natürlichen Dimension betrachtet werden), die logischen Gesetze in einer Dimension logischen Argumentierens und Handelns (die meisten Phänomene lassen sich unter logischen Gesichtspunkten betrachten, das bedeutet aber nicht, dass sie dadurch im Ganzen erfasst wären – so z.B. die Religionen).
Was universalistische Ansätze zumeist verkennen, ist freilich ihre eigene Herkunft. Gmainer-PranzlGmainer-Pranzl, Franz etwa schreibt, »Universalität stell[e] den entscheidenden Anspruch und zugleich die permanente Krise interkultureller Philosophie dar«.8 Das stimmt, aber es stimmt nur in einer ausgezeichneten Dimension, nämlich für das europäische Vernunft- und Philosophieverständnis, das sich durch die interkulturelle Situation herausgefordert sieht. Aus der Sicht anderer Traditionen stellen sich die Herausforderungen der interkulturellen Situation ganz anders dar. Das heißt nicht, dass an die Stelle des Universalitätsstrebens in anderen Traditionen die Befürwortung eines Relativismus tritt. Relativismus setzt Universalität immer schon voraus und erscheint deshalb nur vor dem Hintergrund universalistischen Denkens als eine (freilich abzulehnende) Alternative. Das universalistische Denken aber steht für die ursprünglich griechische Entdeckung der Vernunft (Logos) »als die Form, in der der Geist dem individuellen Menschen einwohnt«.9 Während der Geist als Einheit stiftendes Prinzip JaspersJaspers, Karl zufolge um die Achsenzeit (800–200 v. Chr.) an verschiedenen Orten weitgehend unabhängig voneinander entdeckt worden ist, zeichnet sich die griechische Entdeckung durch die Teilhabe des Einzelnen an dieser Einheit aus (»die Einheit der Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen«, s.o.). HeldHeld, Klaus hat beschrieben, wie sich auf der Grundlage der Entdeckung dieses Zusammenspiels von Einheit und Vielheit bei den Griechen die wesentlichen Grundpfeiler der europäischen Kultur ausgebildet haben, nämlich zum einen die Wissenschaft und zum anderen die Demokratie.10 Beide sind, das gehört zu dieser Entdeckung und zum europäisch-westlichen Denken dazu, nicht auf Europa beschränkt geblieben. Nun ist ein ähnlicher Gedanke beispielsweise in der ostasiatischen Tradition zwar keinesfalls unmöglich oder auch nur ungedacht, wohl aber nicht von derselben entscheidenden Wichtigkeit. Im ostasiatischen Denken kann die individuelle Teilhabe an der Einheit schon deswegen keine bestimmende Rolle spielen, weil das Individuum auf die Ebene des Selbst und noch weiter auf die Ebene des selbstlosen Selbst rückbezogen wird, von der aus gesehen die Unterscheidung bzw. das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit als abgeleitete und nachrangige Feststellungen erscheinen. Universalität ist nur in europäischer Perspektive das Grundproblem interkultureller Philosophie.
Abgrenzung vom Relativismus
Der entscheidende Gegner eines jeden universalistischen Ansatzes ist das Gespenst des Relativismus. Relativistische Positionen bergen immer die Gefahr, im wahrsten Sinne des Wortes haltlos zu werden, weil sie keinerlei verbindliche Vorgaben, Normen oder auch nur Verständigungsmöglichkeiten mehr akzeptieren. Dadurch aber droht alles beliebig und interkulturelle Verständigung schlicht unmöglich zu werden. HabermasHabermas, Jürgen wendet sich an verschiedenen Stellen gegen RortyRorty, Richard, dem er trotz einer gewissen Nähe zu seinem eigenen Modell der kommunikativen Vernunft einen letztlich unhaltbaren Relativismus vorwirft. Rorty unterstellt vernünftiger Argumentation anders als Habermas keinen universalen Geltungsanspruch, sondern schränkt diesen auf spezifische (kulturelle) Kontexte ein. Innerhalb gegebener Kontexte geht auch Rorty von der Ausbildung eines Konsens aus; die Möglichkeit einer Ausweitung dieses Konsens auf andere Kontexte und die damit verbundene mögliche kulturübergreifende Geltung aber bestreitet Rorty.
Vor allem für die universalistische Argumentation, die sich auf anthropologische Konstanten beruft, ist es typisch, dass sie sich mit dem Verweis auf die Notwendigkeit, die universale Geltung der Menschenrechte zu akzeptieren, gegen einen strikten Kulturrelativismus verwahrt. Würden die Weltansichten und das Handeln der Menschen in der Welt ihren Sinn tatsächlich ausschließlich relativ zu den einzelnen Kulturen gewinnen, dann wäre keine Verständigung über die Menschenrechte möglich. Was in der einen Kultur gilt, müsste in der anderen keinesfalls ebenso gelten. Die Verbindlichkeit eines vernünftigen Menschenrechtsdiskurses würde einer Form von Beliebigkeit weichen, was mit Blick auf die Menschenrechte einer contradictio in adjecto, einem Selbstwiderspruch, gleichkäme – so die Argumentation.1 Natürlich erheben die Menschenrechte zu Recht einen universalen Geltungsanspruch. Auch hier aber muss man sehr genau die Dimensionen unterscheiden. Auf einer Ebene, auf der der Mensch als biologische Spezies betrachtet wird und damit alle kulturellen Differenzen von selbst entfallen, lassen sich eben auch nur bestimmte Rechte einfordern. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung etwa oder das Recht auf Eigentum gehören eher nicht dazu. In der Gewährleistung dieser Rechte aber liegt ein großer kultureller Gewinn. Ich werde darauf in Kapitel 4 etwas ausführlicher eingehen.
Tatsächlich ist der Kulturrelativismus nur eine Kehrseite