Niels Weidtmann

Interkulturelle Philosophie


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einer Ausklammerung des Subjekts) forschen. Tatsächlich sind Ich und Selbst auch nicht vergleichbar, jedenfalls dann nicht, wenn man die Gründung des Ich im Selbst mitmacht.

      Etwas allgemeiner ließe sich sagen, dass komparative Philosophie grundsätzlich einen gemeinsamen Boden voraussetzen muss, auf dem stehend verschiedene Philosophien verglichen werden. Dieser gemeinsame Boden ist das wissenschaftlich objektive Interesse, das die zu vergleichenden Philosophien auf methodisch definierte Weise in den Blick nimmt. Die Methode besteht dabei anders als bei empirischen Wissenschaften nicht darin, alle außer einer oder einigen wenigen Variablen konstant zu halten, sondern vor allem in der Voraussetzung, die verschiedenen Philosophien mit den gleichen epistemischen Mitteln untersuchen zu können. Kantisch gesprochen bleiben die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis von den zu vergleichenden Philosophien unberührt. Sie werden vorausgesetzt. Damit aber ist eben nicht nur vorausgesetzt, dass sich verschiedene Philosophien grundsätzlich vernünftig erschließen lassen müssen, sondern darüber hinaus angenommen, dass die vernünftigen Mittel, die zur Erschließung der verschiedenen Philosophien gebraucht werden, dieselben sind. Die Vernunft selbst steht in der komparativen Philosophie also gar nicht in Frage. Nun ist Philosophie aber von alters her immer auch Vernunftforschung oder, richtiger, Selbsterforschung der Vernunft. Wie aber soll sich die Selbsterforschung der Vernunft sinnvoll untersuchen lassen, wenn immer schon ein bestimmtes Vernunftverständnis vorausgesetzt ist? Hier kommt quasi durch die Hintertür ein universalistischer Ansatz ins Spiel, der freilich nicht offensiv vertreten, sondern im Namen der Wissenschaftlichkeit stillschweigend vorausgesetzt wird (es ist nicht verwunderlich, dass es dementsprechend auch Ansätze komparativer Philosophie gibt, die dem Relativismus das Wort reden). Das ist in einer bestimmten Dimension völlig richtig, auch die komparative Philosophie bleibt deshalb auf ihre Weise im Recht. In dieser Dimension geht es um die Sammlung von Kenntnissen und das Erklären von Unterschieden, es geht in ihr dagegen nicht um Verstehen, Dialog oder Erfahrung. Es handelt sich folglich um eine sachliche Dimension. Die Sachen, um die es in dieser Dimension geht, sind die verschiedenen Philosophien. Komparative Philosophie interessiert sich dafür, die Philosophien anderer Traditionen kennen zu lernen, sie reflektiert aber in den seltensten Fällen auf die Begegnung von Kulturen selbst, die ja eine Vorbedingung für die Wahrnehmung der anderen Philosophien ist. Die Philosophie weitet ihr Arbeitsfeld in der komparativen Philosophie auf andere Kulturen aus; sie wird darin aber nicht selber interkulturell.

      ElberfeldElberfeld, Rolf macht am Beispiel der komparativen Ethik allerdings darauf aufmerksam, dass die komparative Philosophie nicht notwendiger Weise auf der rein sachlichen Ebene stehen bleiben muss. So verweist er auf das von HalbfassHalbfass, Wilhelm vorgeschlagene »dialogische Vergleichen«, das versucht, unterschiedliche Ethiken in ein Gespräch miteinander zu bringen.6 ConnollyConnolly, Tim unterscheidet zudem vier große Richtungen komparativer Philosophie: Universalismus, Pluralismus (gemeint ist Relativismus), Konsenstheorie und globale Philosophie.7 Die letztgenannte globale Philosophie geht über das Vergleichen hinaus darin, dass sie eine Interaktion der verschiedenen Philosophien und die gemeinsame Herausbildung einer globalen Philosophie propagiert. Das klingt gut, zumal damit erstmals ein Hinweis auf die Dynamik und Wandelbarkeit von Philosophien gegeben wird. Philosophien sind ja keine statischen Denkraster, sondern entwickeln sich – auch im Austausch mit anderen Philosophien – beständig weiter (wobei Weiterentwicklung nicht Fortschritt bedeuten muss). Freilich verbleibt eine solche Interaktion in der Perspektive komparativer Philosophie trotz allem in einer sachlichen Dimension. Die Interaktion wird nämlich so verstanden, dass die verschiedenen Philosophien mit Blick auf ein spezifisches Sachproblem unterschiedliche Lösungen oder Verständnisse bereitstellen, aus denen in komparativer Einstellung die beste gewählt werden kann. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass nicht nur die Antworten, die verschiedene Philosophien auf ein Sachproblem geben, verschieden ausfallen können, sondern dem zuvor schon das Sachproblem selbst möglicherweise ganz unterschiedlich aufgefasst wird. Der komparative Ansatz bleibt auf diesem Auge eigentümlich blind. Er verkennt die geschichtlichen Dimensionen, die in jeder Philosophie mitschwingen und die es schwierig machen, einzelne Einsichten ohne weiteres auf andere Traditionen zu übertragen.

      Der universalistische Tenor komparativer Philosophie kann deshalb trotz anders lautender Absicht dazu führen, die Philosophien anderer Traditionen an europäisch-westlichen Rationalitätsstandards zu messen. So spricht beispielsweise WireduWiredu, Kwasi von einer »cross-cultural evaluation«8 des Denkens auf der Grundlage universaler Rationalitätsstandards. Er sieht in der rationalen Prüfung von Einsichten anderer philosophischer Traditionen eine entscheidende Aufgabe komparativer Philosophie. Solche Prüfung ermöglicht es, Wiredu zufolge, die vermeintlich philosophischen Errungenschaften der verschiedenen Traditionen in zwei Gruppen zu unterteilen: Die eine Gruppe kann universale Gültigkeit beanspruchen; die andere kann das nicht und vermag deshalb auch nicht, Eingang in die Gestaltung einer transkulturellen Welt zu finden.

      2.1.3 Polylog

      Den Begriff des Polylog hat WimmerWimmer, Franz M. in die interkulturelle Philosophie eingebracht.1 Polylog bedeutet im Griechischen Vielstimmigkeit, womit freilich das wirre Durcheinander des bloßen Geredes gemeint ist. Dagegen setzten die Griechen die Einheit des Logos (der Vernunft), der die verschiedenen Stimmen auf ihre gemeinsame Grundlage verpflichtet. Wimmer hat den Begriff des Polylog aufgegriffen und auf die interkulturelle Situation bezogen. Er will die interkulturelle Vielstimmigkeit nun aber gerade nicht auf eine ihr zugrunde liegende Einheit reduzieren, sondern versteht den Polylog als einen offenen Austausch, in dem um den gemeinsamen Logos erst gerungen werden muss. So versteht er seinen polylogischen Ansatz denn als einen Schritt über bloß komparative Philosophie und die Aufklärung »mit dem Mittel einer voraussetzungslosen Wissenschaft« hinaus.2 Wenn er in seiner »Minimalregel« fordert, »keine philosophische These für gut begründet [zu halten], an deren Zustandekommen nur Menschen einer einzigen kulturellen Tradition beteiligt waren«,3 dann deshalb, weil er die Pluralität der Logoi ernst nimmt. Ein gemeinsamer Logos ist in erster Linie das Ergebnis des Austausches und erschöpft sich nicht darin, Voraussetzung für die Teilnahme am Polylog zu sein. Und doch gilt, dass sich am Polylog sinnvollerweise nur derjenige beteiligen kann, der zum gemeinsamen Logos auch etwas beizutragen hat. Der Polylog, so wie Wimmer ihn versteht, setzt deshalb neben der Pluralität der Logoi deren Fähigkeit voraus, zu einem gemeinsamen Logos beizutragen. Damit rückt er in deutliche Nähe zu HabermasHabermas, Jürgen’ Diskurstheorie. Der Polylog lässt sich geradezu als eine Anwendung der Diskurstheorie auf die interkulturelle Situation verstehen. Schon Habermas beschränkt den Diskurs nicht auf die europäisch-westliche Gesellschaft, sondern bindet grundsätzlich alle Menschen ein. Wimmer formuliert mit dem Polylog nun gleichsam den besonderen Fall eines interkulturellen Diskurses und fordert, jeden Geltungsanspruch kulturübergreifend zur Prüfung zu stellen. Es geht ihm nicht nur darum, grundsätzlich alle Menschen in den Diskurs einzubinden, sondern er betont die Notwendigkeit, endlich auch die Stimmen jener Völker zu hören, die in Zeiten von Kolonialismus und Eurozentrismus lange unterdrückt waren. Damit rückt das Ideal der Herrschaftsfreiheit der Sprechsituation in den Mittelpunkt. Wimmer spricht ausdrücklich von einem »gewaltfreien, entkolonialisierten Diskurs«.4 Auch legt er entscheidenden Wert darauf, nicht allein den »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« (s.o.) gelten zu lassen, sondern tatsächlich verschiedene Traditionen zu Wort kommen zu lassen. In einem späteren Text stellt Wimmer der negativen Formulierung der Minimalregel deshalb eine positive zur Seite: »Suche wo immer möglich nach transkulturellen Überlappungen von philosophischen Begriffen, da es wahrscheinlich ist, dass gut begründete Thesen in mehr als nur einer kulturellen Tradition entwickelt worden sind.«5 Darin spricht sich die Motivation, ehemals kolonialisierte und marginalisierte Völker und deren Traditionen als gleichberechtigte Gesprächspartner anzuerkennen, deutlich aus.

      Ebenso wie HabermasHabermas, Jürgen das für die Diskurstheorie tut, setzt freilich auch WimmerWimmer, Franz M. voraus, dass der Polylog von allen Beteiligten vernünftig geführt wird. Dabei wäre doch die Vernünftigkeit des Polylog – und nicht nur die Vernünftigkeit der Thesen – im Polylog selbst erst zu finden, ja möglicherweise gar zu erstellen. Es scheint mir diesbezüglich entlarvend zu sein, wenn Wimmer schreibt, dass »Schulbildungen und -auseinandersetzungen aus der […] Geschichte der europäischen Philosophie […] interkulturellen Dialogen analog sind«.6 Wimmer versteht Polyloge als Auseinandersetzungen, die innerhalb